Schwere Vorwürfe gegen Augustiner-Chorherren von Saint-Maurice

Nach Abt auch Interims-Klostervorsteher unter Missbrauchsverdacht

Veröffentlicht am 20.11.2023 um 15:26 Uhr – Lesedauer: 

Saint-Maurice ‐ Erst im September hat der Prior der Abtei Saint-Maurice die Vertretung seines unter Missbrauchsverdacht stehenden Abtes angetreten. Nun steht er selbst unter Verdacht – TV-Recherchen werfen ihm und weiteren Mitbrüdern Missbrauch vor.

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Der Prior der Schweizer Abtei Saint-Maurice, Roland Jaquenoud, soll vor 20 Jahren einen Novizen missbraucht haben. Neben Jaquenoud brachte eine Recherche des Schweizer Fernsehens RTS am Sonntag Vorwürfe gegen acht weitere lebende und verstorbene Mitglieder des Klosters der Augustiner-Chorherren ans Licht. Schwerpunkt der mutmaßlichen Taten ist der Zeitraum von 1995 bis 2005. Jaquenoud vertritt derzeit den Abt von Saint-Maurice, Jean César Scarcella, der sein Amt seit September 2023 aufgrund von Vorwürfen sexueller Übergriffe ruhen lässt. Der Prior unterrichtete bisher an der mittlerweile staatlichen ehemaligen Ordensschule. Am Montag suspendierte ihn der Kanton Wallis von seinen Aufgaben als Lehrer für alte Sprachen.

Laut den Recherchen von RTS soll Jaquenoud 2003 einen ihm direkt unterstellten Novizen sexuell missbraucht haben. Der Fall soll in der Abtei bekannt gewesen sein, sollte aber nach den Erkenntnissen des Senders vertuscht werden. Nach einer Anzeige durch einen Novizen beim Heiligen Stuhl sei der Fall im Vatikan bekannt gewesen, der eine Visitation durch den Abt der Benediktinerabtei Solesmes angeordnet habe. Danach sei Jaquenoud für einige Jahre nach Kasachstan versetzt worden und kehrte 2015 in die Abtei zurück, wo er als Prior das zweithöchste Amt im Kloster innehatte.

Die nun neu bekannt gewordenen Vorwürfe beziehen sich vor allem auf das ehemalige Internat der Augustiner-Chorherren und die Pfarreien, die zu der Territorialabtei gehören. Die RTS-Reportage berichtet von sexuellen Übergriffen von Ordensleuten der Abtei vor allem auf Minderjährige. Dabei kommen auch Betroffene zu Wort, die von Übergriffen und Missbrauch in ihren Wohnungen und in der Sakristei berichten. Anzeigen bei der Polizei und kirchlichen Stellen wurden nach Aussagen der Betroffenen größtenteils nicht ernst genommen und Ermittlungen eingestellt. Ein Priester sei zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und aus dem Klerikerstand entlassen worden, ein weiterer wurde innerhalb von fünf Jahren zweimal verhaftet. Laut RTS habe die Abtei erst bei der zweiten Verhaftung Konsequenzen gezogen, den Pater aus der Gemeindepastoral abgezogen und ihm den Umgang mit Jugendlichen verboten. Der Orden selbst äußerte sich zu den Vorwürfen noch nicht.

Ermittlungen gegen sechs Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz

Abt Scarcella gehört zu den Mitgliedern der Schweizer Bischofskonferenz, gegen die derzeit wegen Vertuschungsvorwürfen und einem Fall eines mutmaßlichen Übergriffs ermittelt wird. Mit der Voruntersuchung wurde der Churer Bischof Joseph Bonnemain betraut. Bei der Untersuchung wird Bonnemain von einem Kantonsrichter und einer Professorin für Strafrecht unterstützt. Im Rahmen einer kanonischen Voruntersuchung wird geprüft, ob genügend Anhaltspunkte vorliegen, um ein kirchenrechtliches Strafverfahren zu eröffnen. Mitte August hatte der Basler Bischof Felix Gmür unabhängig von den aktuellen Fällen Fehlverhalten im Umgang mit einem Missbrauchsfall eingeräumt.

Die Abtei Saint-Maurice ist ein Kloster der Augustiner-Chorherren im Schweizer Kanton Wallis. Sie gilt als ältestes ohne Unterbrechung bestehendes Kloster des Abendlandes. Als Territorialabtei ist das Kloster und ein zu ihm gehörendes Gebiet von fast 100 Kilometern einem Bistum gleichgestellt. Die Vorsteher von Territorialabteien gehören durch ihr Amt der jeweiligen Bischofskonferenz an, obwohl sie in der Regel nicht zu Bischöfen geweiht sind. In der Schweizer Bischofskonferenz ist neben dem Abt von Saint-Maurice auch der Abt der Territorialabtei Einsiedeln vertreten. (fxn)