"Cor unum"-Sekretär Dal Toso über Papst Franziskus und kirchliche Hilfe

Ein neues Klima für Caritas

Veröffentlicht am 13.04.2015 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Vatikan

Vatikanstadt ‐ Giovanni Pietro Dal Toso (50), Priester des Bistums Bozen-Brixen, arbeitet seit 20 Jahren im Päpstlichen Rat "Cor unum" und ist seit 2010 dessen Sekretär. Im Interview mit katholisch.de äußert er sich zur Caritas-Arbeit unter Papst Franziskus. Außerdem spricht er von dessen besonderem Engagement für die Flüchtlinge in Syrien, aber auch über absehbare Folgen der Kurienreform für seine Behörde.

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Frage: Monsignore Dal Toso, hat sich die Caritas-Arbeit der Kirche seit dem Amtsantritt von Papst Franziskus geändert?

Dal Toso: Der Bereich findet nach meinem Eindruck in letzter Zeit eine viel größere Aufmerksamkeit, in der Kirche wie in nichtkirchlichen Kreisen. Dazu hat wesentlich Papst Franziskus beigetragen: Durch seine Äußerungen - indem er immer wieder das Thema Armut anspricht, sich zu den Problemen der Schwachen, der Migranten, von Asylsuchenden, von Menschen an den Rändern der Gesellschaft äußert - aber auch durch seine Taten und Zeugnisse. Er ist nach Lampedusa gefahren, seine römischen Pfarreibesuche führen oft an soziale Brennpunkte. Schon in seinen ersten Amtstagen hat er die arme Kirche für die Armen angemahnt. Mit seinen häufigen Appellen für Gerechtigkeit und Frieden, mit dem Aufruf, neue Wege für die heutige Wirtschaft zu finden, hat er ein neues Klima geschaffen. Und in der Kirche atmet man dieses Klima.

Frage: Inwieweit hat sich die Caritas-Arbeit verändert?

Dal Toso: Ich weiß nicht, ob "verändern" der richtige Begriff ist; ich würde sagen, unsere Arbeit hat sich im genannten Sinne vertieft. Aber ich sehe dabei eine Kontinuität mit den früheren Päpsten. Schon Paul VI. hat eine Linie der Einfachheit in die Kirche gebracht. Er hat auf die Tiara verzichtet und sie den Armen von Kalkutta geschenkt. Er hat sich für einen einfacheren Lebensstil und für bescheidenere Strukturen eingesetzt, hat eine Vereinfachung der Titel in der Kirche verfügt. Johannes Paul II. hat die Schwestern der Mutter Teresa in den Vatikan geholt. Benedikt XVI. hat seine erste Enzyklika zum Thema Liebe und christlicher Liebesdienst geschrieben, ein Novum in der Kirchengeschichte. Er hat damit nochmals kirchenamtlich bestätigt, dass der kirchliche Liebesdienst, eine der drei Säulen des christlichen Lebens bildet - neben der Verkündigung und dem Sakramentendienst. Er machte deutlich, dass der christliche Liebesdienst für die Kirche nicht einfach ein Plus ist, sondern dass es zur Natur, zum Wesen der Kirche gehört.

Giovanni Pietro Dal Toso ist Sekretär im Päpstlichen Rat "Cor unum".
Bild: ©KNA

Giovanni Pietro Dal Toso ist Sekretär im Päpstlichen Rat "Cor unum".

Frage: Welche Vorgaben hat Franziskus ihrer Behörde gemacht?

Dal Toso: Der Papst verfolgt unsere Aktivität mit großem Interesse. Bei einer der ersten Begegnungen hat er uns gebeten, unsere besondere Aufmerksamkeit auf die Altersgruppen der Alten, aber auch der jungen Leuten zu richten. In unserer auf Produktivität ausgerichteten Gesellschaft kommen diejenigen oft zu kurz und werden an den Rand gestellt, die am wenigsten "produzieren". Zudem mahnte er uns, unseren Blick nicht nur auf die materielle sondern auch auf die geistliche Armut zu richten. Gerade in den Großstädten Lateinamerikas hätten viele Leute nur noch wenig Kontakt zur Kirche, Kinder könnten nicht einmal das Kreuzzeichen machen. Die Kirche dürfe vor beiden Formen der Armut nicht ihre Augen verschließen.

Frage: Welche Regionen liegen dem Papst besonders auf Herzen?

Dal Toso: Auffallend ist bei Papst Franziskus sein besonderes Interesse für Syrien. Wir hatten hier zwei Koordinationssitzungen für die dort tätigen katholischen Hilfswerke, und beide Male wollte der Papst mit uns darüber sprechen. Weiter liegt ihm die Hilfsarbeit für Haiti am Herzen. Unser Bilanztreffen in diesem Januar "Fünf Jahre nach dem Erdbeben in Haiti" mit den wichtigsten Akteuren dieser Aufbauphase - katholische Hilfswerke, einige Bischofskonferenzen, Orden - war ihm sehr wichtig. Sein Anliegen ist es, dass die Kirche in Situationen präsent ist, wo es brennt und es den Menschen wirklich schlecht geht. Dem versuchen wir in unserer Arbeit Rechnung zu tragen.

Frage: Geht es jetzt also stärker um Hilfe in Notsituationen? Bislang standen doch eher theoretische Überlegungen zum Profil katholischer Hilfsarbeit im Vordergrund...

Dal Toso: Ja und nein. Die besonderen Initiativen für Syrien begannen bereits unter Benedikt XVI. Ich bin zu Beginn des Kriegs nach Damaskus zu einer Begegnung mit den Bischöfen gefahren. Und im November 2012 wurde unser Präsident, Kardinal Robert Sarah, mit einem offiziellen Besuch in Namen des Papstes beauftragt. Aber unsere Behörde beschäftigt sich auch weiterhin mit theologischen Grundsatzfragen zum christlichen Liebesdienst. Bereits in seinen ersten Amtstagen hat Franziskus eine klare Vorgabe gemacht und betont, dass die Kirche keine soziale Nichtregierungsorganisation sei. In diesen Aufgabenbereich gehört auch ein Studienprojekt zum Verhältnis von katholischer Soziallehre und Caritas-Theologie, das wir seit drei Jahren gemeinsam mit der Akademie Mönchengladbach durchführen. Und ich würde mir wünschen, dass Initiativen wie der Arbeitsbereich Caritaswissenschaften an der Universität Freiburg international Schule machten.

Frage: "Cor unum" ist ja im Auftrag des Papstes auch für dessen Soforthilfe für Naturkatastrophen weltweit zuständig, von Sri Lanka bis Nordkorea. Hat sich da was verändert?

Dal Toso: Wir haben in letzter Zeit neben kleineren Spenden zur Soforthilfe verstärkt größere Projekte finanziert, ein oder zwei im Jahr. Auf den Philippinen haben wir nach dem Unwetter von 2013 ein großes Sozialzentrum samt einer Kapelle erbaut. Der Papst hat es beim jüngsten Besuch gesegnet.

Frage: "Cor unum" steht in der öffentlichen Wahrnehmung etwas im Schatten des rührigen päpstlichen Almosenmeisters. Waran liegt das?

Dal Toso: Wir haben verschiedene Aufgaben. Der Almosenmeister leistet traditionell die unmittelbare Caritasarbeit des Papstes in dessen Bistum Rom. "Cor unum" ist für die konkrete weltweite Hilfe im Namen des Papstes zuständig, also für Hilfsprojekte, Stiftungen und Reisen in Katastrophengebiet. Dies ist aber nur ein kleiner Teil unserer Arbeit. Viel verpflichtet uns die theologische Vertiefung des Caritas-Dienstes, was insbesondere bei den Ad-limina-Besuchen eine zentrale Rolle spielt, sowie um die Begleitung und Orientierung der großen kirchlichen Hilfswerke. Und da haben wir in letzter Zeit große Fortschritte erzielt, wie sich etwa bei der Zusammenarbeit für Syrien zeigte. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Harmonisierung der Arbeit der Kirche in diesem Bereich. Darüber hinaus sollen wir das Motu Proprio "Intima Ecclesiae Natura" über das Profil kirchlicher Hilfstätigkeit in Anwendung bringen.

Frage: Eine Zeitlang bestanden doch erhebliche Spannungen zwischen ihrer Behörde und Caritas Internationalis. Ist das behoben?

Dal Toso: Es stimmt, dass es hier in der Vergangenheit nicht immer einfach war. Es wurden im Mai 2012 neue Normen für Caritas Internationalis herausgegeben. Ich muss sagen, wir haben heute eine glänzende Zusammenarbeit. Das zeigt sich auch daran, dass unser Untersekretär mit dem Sekretär von Caritas Internationalis und anderen Vertretern Ende März einen offiziellen Besuch in Erbil gemacht hat, bei den Flüchtlingen aus dem Irak. Und auch mit dem Deutschen Caritasverband haben wir gute Kontakte.

Frage: Um soziale Belange kümmern sich im Vatikan neben "Cor unum" ja auch andere Behörden, etwa "Justitia et pax", der Migrantenrat und der für Krankenpastoral. Wo liegen die Grenzlinien?

Dal Toso: Die Aufgaben lassen sich in zwei Richtungen trennen. "Justitia et pax" kümmert sich in erster Linie um das Soziale. Subjekt ist die Gesellschaft: Was soll sie tun, damit sie zu einer gerechteren Gesellschaft wird? Bei den drei anderen Behörden ist das Subjekt aber die Kirche. "Cor unum" reflektiert den Caritas-Dienst als Wesensausdruck der Kirche und macht das mit der Koordinierung und Orientierung der kirchlichen Hilfswerke. Der Migrantenrat betreut diesen Sektor der Pastoral, ebenfalls der Rat für das Gesundheitswesen, der sich um Personal und Struktur der Krankenhäuser kümmert. Jedoch besteht keine strikte Trennung der Bereiche, es gibt Überschneidungen.

Der Petersplatz am 12.03.12.
Bild: ©dpa/Riccardo De Luca

Der Petersplatz am 12.03.12.

Frage: Signalisiert das nicht einen Reformbedarf?

Dal Toso: Ich bin sicher der Meinung, dass wir hier eine Form der besseren Harmonisierung finden müssen. Meiner Ansicht nach ist eine bessere Koordinierung dieser Arbeit notwendig. Über die Formen beraten seit geraumer Zeit die vom Papst beauftragten Gremien und Instanzen, etwa der Kardinalsrat für die Kurienreform. Ich halte es für sehr opportun, Synergien zu fördern.

Frage: Warum?

Dal Toso: Weil die Akteure, die diese kirchliche Arbeit leisten, sehr oft die gleichen sind. Es gibt viele Hilfswerke, in denen sich keine klare Trennungslinie zwischen Krankendienst und Flüchtlingsdienst ziehen lässt. Wir müssten da eine Form der Synthese finden.

Frage: Wie könnte das aussehen?

Dal Toso: Wie und wann die laufenden Überlegungen verwirklicht werden, weiß ich nicht. Die ersten Vorschläge des K9-Rates wurden im November 2014 von den Chefs der Dikasterien diskutiert, dann erneut überarbeitet, und im Februar beim Konsistorium der Kardinäle beraten. Aber diese Arbeit muss noch theologisch und kanonisch verfeinert werden.

Frage: Der Vatikan brachte den Begriff eines Sozial-Pools ins Spiel, in dem mehrere Behörden zusammengefasst werden sollen.

Dal Toso: Soweit ich weiß, können wir davon ausgehen, dass es einen solchen Pool geben soll, in dem die päpstlichen Räte zusammengeführt werden, die sich mit der Förderung des Menschen befassen. Ein Dikasterium zu dem, was die Kirche für die Förderung des Menschen beiträgt. Nach meinem Empfinden greift der Begriff "Sozial-Pool" aber zu kurz. Denn es geht ja auch um pastorale Aufgaben und Kompetenzen, die nicht sozial gelöst werden können.

Frage: Welches der vier Dikasterium wird in der neuen Struktur dominieren? Ist das der Rat für Gerechtigkeit und Frieden?

Dal Toso: Ich glaube, die eingeschlagene Linie geht in eine andere Richtung. Nach dem Konsistorium sprach der Vatikan von Überlegungen zu einem neuen Dikasterium "für Liebe, Gerechtigkeit und Frieden". Ich würde dabei nicht so sehr von der Fusion von Dikasterien sprechen, sondern von der Schaffung einer neuen Instanz, einer neuen Struktur. Entscheidend geht es nicht darum, Dikasterien zusammenzulegen, sondern darum, eine Vision zu ergreifen.

Das Interview führte Johannes Schidelko