Was hinter der Transparenzoffensive des Glaubensdikasteriums steckt
Fast täglich kommt ein neues Dokument aus dem Glaubensdikasterium. Die Liste auf der Vatikan-Webseite wurde lange Jahre nur sehr langsam gefüllt. 19 Einträge verzeichnet sie für die gesamte Amtszeit von Kardinal Luis Ladaria, der der Behörde von 2017 bis 2023 als Präfekt vorstand. Seit Víctor Férnandez im September das Ruder übernommen hat, ist die Seite im typischen Vatikan-Design der späten 90er-Jahre aus dem Dornröschenschlaf erwacht.
In dem knappen Vierteljahr sind schon neun Einträge dazugekommen: Audienzreskripte, Antworten auf Dubia, Briefe. Nur wenige davon haben nicht weltweit Schlagzeilen gemacht. Die neue Transparenz scheint nicht nur auf Begeisterung gestoßen zu sein: Die jüngste Veröffentlichung ist ein Audienzreskript, in dem sich der Präfekt ausdrücklich vom Papst bestätigen lässt, dass er veröffentlichen darf, was Franziskus ihm unterschrieben hat – alle veröffentlichten Dokumente tragen die Unterschrift des Papstes.
Bereits vor seinem Amtsantritt hatte der Papst seinem neuen Präfekten klare Anweisungen mitgegeben: Endgültig sollte sich das Glaubensdikasterium vom Ruf seiner Vorgängerbehörde, der Inquisition, lösen. Früher habe die Behörde bisweilen unmoralische Methoden angewandt, und auch in der jüngeren Vergangenheit hatten die Präfekten der Glaubenskongregation – wie sie bis zur Kurienreform hieß – eher den Ruf des Wächters als des Möglichmachers. Unvergessen ist die ätzende Kritik an Kardinal Joseph Ratzinger, dem Glaubenspräfekten von Papst Johannes Paul II., der trotz seiner im Umgang milden Natur als "Gottes Rottweiler" teils gefürchtet, teils verspottet wurde.
Reformprojekt Glaubensdikasterium
Vor der umfassenden Kurienreform im März 2022 baute Papst Franziskus das Dikasterium um. Im Februar schon bekam die Glaubenskongregation mit dem Motu proprio "Fidem servare" ihre neue Gestalt und ihren neuen Auftrag. Neben einer Stärkung der für die Bekämpfung von Missbrauch zuständigen Abteilung wurde vor allem die klare Ausrichtung auf die Evangelisierung gestärkt und die Arbeit dialogischer ausgelegt. Statt nur theologische Werke kritisch zu prüfen, soll sie jetzt auf den Dialog mit den Verfassern setzen.
Das betonte Franziskus auch in seinem Brief, den er Férnandez anlässlich seiner Ernennung schrieb. Die zentrale Aufgabe des neuen Präfekten sei, über die Lehre, die aus dem Glauben hervorgeht, zu wachen, um "Rede und Antwort zu stehen für unsere Hoffnung, aber nicht als Feinde, die anzeigen und verurteilen". Damit zitierte der Papst sich selbst: Der Satz stammt aus dem Apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium", die er im Jahr seiner Wahl gewissermaßen als Programm seines Pontifikats veröffentlicht hatte.
Dieser Rückgriff auf die zu Beginn genannten Schwerpunkte hilft bei der Deutung der Neuausrichtung und Transparenzoffensive des Glaubensdikasteriums. In den vergangenen Jahren war durch die Weltsynode vor allem die Synodalität im Blick, dazu kamen vielfältige strukturelle Reformen in der Kurie und bei den Finanzen und Verwaltungsgremien des Vatikans. Die frühen Schwerpunkte der Evangelisierung und der Barmherzigkeit schienen weniger im Fokus zu sein. Mit der Veröffentlichung einer Vielzahl auch kleinerer Dokumente aus der täglichen Arbeit des Dikasteriums wird deutlich, woran die Behörde tagtäglich arbeitet.
Großer Bogen zum Beginn des Pontifikats
Mit großer Wahrscheinlichkeit sind die neun veröffentlichten Texte keine vollständige Dokumentation der ersten drei Monate der Férnandez-Behörde, wie die Überschrift der Webseite verspricht. Darauf deutet allein schon die Protokollnummer "803/2023" bei der jüngsten Veröffentlichung hin. Eine Auswahl macht aber Schwerpunkte deutlich. Die Auswahl ist programmatisch zu verstehen. Und tatsächlich ziehen sich Muster durch die einzelnen Texte, die die Kontinuität zum Anfang des Pontifikats deutlich machen. Férnandez zitiert jeweils ausführlich Franziskus, teilweise auch aus seiner Zeit vor der Wahl zum Papst, und setzt damit einen Auftrag aus dem Brief zu Beginn seiner Amtszeit um: Maßschnur solle nicht nur "der reiche Humus der immerwährenden Lehre der Kirche" sein, sondern auch, das "gegenwärtige Lehramt" zu berücksichtigen.
Begonnen hatte die Veröffentlichungsserie mit den Antworten auf die Dubia zur Weltsynode, die fünf konservative Kardinäle an den Papst gerichtet hatten. Schon vor Férnandez’ Amtsantritt hatte ihnen der Papst geantwortet, zu Beginn der Amtszeit des neuen Präfekten wurden die Antworten veröffentlicht. Die Form der Dubia sieht eigentlich vor, der zuständigen Autorität echte Zweifelsfragen vorzulegen, die dann mit einem klaren "Ja" oder "Nein" zu beantworten sind. Papst Franziskus hatte sich dieser klaren Erwartungshaltung der Kardinäle entzogen – und dabei betont, dass die Kirche in einem geschichtlichen Prozess lernt und die unveränderliche und verbindliche göttliche Offenbarung immer besser verstehen muss, auch wenn dadurch scheinbar Brüche und Widersprüche entstehen: "Kulturelle Veränderungen und die neuen Herausforderungen der Geschichte verändern die Offenbarung nicht, aber sie können sie anregen."
Die Kardinäle fragten, ob Segnungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zulässig seien – und hofften wohl auf ein klares "Nein". Darauf ließ sich Franziskus nicht ein: Ohne vom klaren Verständnis der Kirche von der Ehe abzuweichen, betonte er die pastorale Nächstenliebe. Es gebe zwar Situationen, die objektiv betrachtet nicht moralisch akzeptabel sind. Es verbiete sich aber, andere einfach als "Sünder" zu bezeichnen. Was aus pastoraler Tugend geschieht, wird dadurch nicht notwendig zur Norm.
Dieses Motiv der pastoralen Klugheit, der Barmherzigkeit und des Eingehens auf den Einzelfall und den einzelnen Menschen zieht sich durch die Dokumente. Auch dem tschechischen Kardinal Dominik Duka verweigerte er eine klare Schwarz-Weiß-Antwort auf die Frage nach der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene und machte stattdessen Abwägungen im Einzelfall stark.
Konkrete Fragen statt allgemeine Dokumente
Für weniger Schlagzeilen als die Antworten auf Dubia sorgte die Antwort an den Kardinalbischof von Como zur Frage der Authentizität von Visionen an einem Schrein in der Diözese. Sie ist auf denselben Tag datiert wie die Antworten auf Duka. Auch wenn das Dikasterium an den mutmaßlich göttlich inspirierten Botschaften viel Gutes findet, hält es sich doch damit zurück, einen übernatürlichen Ursprung zu bestätigen: "Da das Dikasterium jedoch gewisse Anzeichen für ein Wirken des Heiligen Geistes inmitten dieser Erfahrung erkennt, hat es keine Schwierigkeiten, wenn Euer Eminenz beschließen, mit der pastoralen Würdigung dieser geistlichen Erfahrung fortzufahren. Es ist sogar zu hoffen, dass die Verkündigung der barmherzigen Liebe der Dreifaltigkeit, die die Menschen zur Umkehr anregt und die Gnade der kindlichen Hingabe schenkt, durch die geistlichen Früchte, die in diesen Jahren entstanden sind, intensiviert werden kann." Trotz der abschlägigen Antwort auf den Wunsch nach Gewissheit durch die Glaubensbehörde ist die Marschrichtung des Dokuments klar, das mit einer kompakten Katechese über die Barmherzigkeit beginnt: Es kommt auf die pastorale Klugheit vor Ort an.
Noch deutlicher wird die Stoßrichtung bei den vier jüngsten inhaltlichen Positionen. Ihnen allen ist gemein, dass sie Ergebnisse eines dialogischen Prozesses sind: Bischöfe aus der Weltkirche haben sich mit konkreten pastoralen Fragen an das Glaubensdikasterium gewandt. Ein brasilianischer Bischof fragt nach dem Umgang mit queeren Menschen bei der Taufe, als Taufpaten und Trauzeugen, ein Bischof von den Philippinen braucht Gewissheit, wie er mit der in seinem Land auch unter Katholiken verbreiteten Freimaurerei umgehen soll, der Erzbischof von Bologna, der Papstvertraute Kardinal Matteo Zuppi, schildert seine pastoralen Nöte im Umgang mit der auch in Italien zunehmenden Feuerbestattung, und schließlich fragt ein Bischof aus der Dominikanischen Republik ganz formlos per E-Mail danach, wie er mit alleinerziehenden Müttern umgehen soll, die zur Kommunion treten wollen.
Gerade die letzte Frage hat im Westen eher für Verwunderung gesorgt: Als sei es nicht selbstverständlich, dass alleinerziehende Mütter nicht von der Eucharistie ausgeschlossen werden sollen. Dass für diese Frauen selbstverständlich dasselbe gilt wie für alle anderen Gläubigen, dass nämlich nach einer Beichte die Kommunion offen steht, ist keine Überraschung. Mit der Antwort auf die Anfrage von Bischof Ramón de la Cruz Baldera kann das Glaubensdikasterium aber deutlich machen, dass je nach den seelsorgerischen Realitäten vor Ort andere Themen relevant sind – und zeigt damit am konkreten Beispiel, was Kardinal Duka auf seine Dubia als Antwort bekommen hat. In der Dominikanischen Republik scheint es ein Problem zu sein, dass alleinerziehende Mütter von Priestern und Laien diskriminiert werden. Die Antwort ist Barmherzigkeit – und Konsequenz statt Rigorismus: Die Kirche kann nicht Lebensschutz predigen, um zugleich die Frauen wegzustoßen, die sich für ein Kind entschieden haben. Wenn Frauen durch Armut in die Prostitution gezwungen werden, dann ist es die Aufgabe von Christen, ihnen zu helfen, nicht sie zu verurteilen. In der Karibik zeigt sich das an der Frage der Alleinerziehenden – aber auch in anderen Teilen der Weltkirche gibt es Rigorismus und Heuchelei. Zugleich ist der eine knappe Satz zur Beichte vor der Kommunion ein klares Signal, dass Barmherzigkeit der Lehre der Kirche gerade nicht entgegensteht.
Barmherzigkeit ohne Rütteln an der Lehre
Die Entscheidung zu den alleinerziehenden Müttern verweist auf die Begebenheit aus dem Evangelium, in der Jesus auf die Ehebrecherin trifft. Erst sagt Jesus, dass wer frei von Sünde ist, den ersten Stein werfen soll. Am Ende sagt er zur Ehebrecherin, dass sie nicht mehr sündigen soll. Férnandez beklagt einen falschen Fokus in der Auslegung: Im Zentrum steht für ihn nicht "sündige von jetzt an nicht mehr" ist die Kernbotschaft des Evangeliums, sondern dass niemand den ersten Stein werfen soll.
In diese Richtung zeigt auch die Entscheidung zur Taufe von Transpersonen und den Umgang mit queeren Taufpaten und Trauzeugen. Im Zentrum steht nicht die objektive negative moralische Beurteilung der jeweiligen Situation, an der das Glaubensdikasterium nicht rüttelt. Im Zentrum ist die bedingungslose Liebe Gottes, "die in der Lage ist, auch mit dem Sünder einen unwiderruflichen Bund zu schließen, der immer offen ist für eine Entwicklung, die auch unvorhersehbar ist". Eine liberale Position hat das Dikasterium hier nicht: Immer noch ist es kritisch gegenüber queeren Menschen und stellt die Zulassung zu den Patenämtern unter Vorbehalte. Inklusion im Sinne eines Rechts gibt es nicht. Die pastorale Klugheit muss wieder zum Zug kommen und darf gegen die Zulassung entscheiden, "wenn die Gefahr eines Skandals, einer unzulässigen Legitimation oder einer Desorientierung im Erziehungsbereich der kirchlichen Gemeinschaft besteht".
Deutlich weniger kontrovers ist die Entscheidung zum Umgang mit der Asche Verstorbener. Bei der Feuerbestattung hat die Kirche ihre einst unmissverständliche Ablehnung immer weiter zurückgenommen. Heute ist die Feuerbestattung für Katholiken nur noch dann unzulässig, wenn damit eine kirchenfeindliche Haltung zum Ausdruck gebracht werden soll. Den Umgang mit der Asche reguliert die Kirche dennoch klar: Anonymes Bestatten und Ausstreuen sind verboten, die Asche muss würdig aufbewahrt werden und darf nicht etwa in Schmuckstücken oder der Urne auf dem Kaminsims untergebracht werden, auch dort, wo das staatliche Recht das erlaubt. Auf die Fragen Zuppis ändert das Glaubensdikaserium wiederum nichts an der Lehre, reagiert aber auf die pastoralen Bedürfnisse: Das anonyme Ausstreuen bleibt verboten. Das gemeinsame Ausstreuen der Asche mehrerer Verstorbener aber ist dann gestattet, wenn es nicht anonym erfolgt. Weiterhin müssen sterbliche Überreste würdig bestattet werden – aber die Friedhofspflicht wird etwas gelockert zugunsten anderer heiliger Orte mit einer Bedeutung für die Familie des Verstorbenen. Das Dikasterium nutzt das Antwortschreiben, um noch einmal das christliche Verständnis von Tod und Auferstehung zu erklären – eine geschickte Kommunikationsstrategie: Ein Kernbereich christlicher Lehre und Hoffnung wird durch eine medienwirksame Entscheidung zur Nachricht.
Nur für Freimaurer gibt es keine pastorale Unterscheidung
Nur die Entscheidung zur Freimaurerei fällt zunächst aus dem Rahmen: Im Duktus der anderen Texte hätte man annehmen können, dass auch hier pastorale Unterscheidung, eine Betrachtung des Einzelfalls und des Kontextes stark gemacht werden. Stattdessen schärft die Erklärung nur noch einmal die Richtlinien des Glaubensdikasteriums von 1983 ein: Eine Mitgliedschaft in Freimaurer-Logen bleibt für Katholiken verboten, die kirchliche Lehre und die Lehre der Freimaurer bleiben unvereinbar. Bei den Freimaurern hört die pastorale Flexibilität also auf – wahrscheinlich auch deshalb, weil Papst Franziskus von seinen Gegnern immer wieder selbst Sympathien für die Freimaurerei zugesprochen werden und der Vorwurf, selbst Freimaurer zu sein, zum Standard-Repertoire reaktionärer Kreise selbst gegen Bischöfe und Kardinäle gehört. Die lebhafte Erinnerung an die zur politischen Geheimorganisation gewordenen Freimaurerloge "Propaganda Due", die in den 1970er Jahren in Italien die Demokratie zersetzen wollte, dürfte ihr übriges tun. Wie die übrigen Texte dient die Freimaurer-Entscheidung also dazu, das Pontifikat von Franziskus abzusichern.
Mit seiner regen Veröffentlichungspraxis macht der Kardinalpräfekt die bis vor kurzem völlig unspektakuläre Dokumentenrubrik der Webseite seiner Behörde plötzlich zu einem zentralen Instrument der Programmatik des Papstes: Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee, ist eines der frühen Schlagworte von Franziskus, ebenfalls aus "Evangelii Gaudium" und seither vielfach wiederholt. Umfangreiche Lehrdokumente sind notwendig abstrakt, weil sie über den Einzelfall hinaus reichen müssen. Die Veröffentlichung von Teilen der Korrespondenz des Glaubensdikasteriums dagegen kann viel kleinteiliger, viel individueller den Umgang mit den vielfältigen Realitäten der Weltkirche illustrieren. Wer Franziskus also verstehen will, muss die Dokumentensammlung des Glaubensdikasterium im Blick behalten. Manchmal wird dann aber doch der klassische Weg gewählt: Die Erklärung "Fiducia supplicans", mit der am Montag eine Segnung von unverheirateten und gleichgeschlechtlichen Paaren unter Bedingungen erlaubt wurde, wurde über den ordentlichen Dienstweg des vatikanischen Presseamtes veröffentlicht.
Liste der Dokumente des Glaubensdikasteriums
Die Liste der Dokumente des Glaubensdikasteriums geht bis 1966 zurück – aber erst unter ihrem aktuellen Präfekten wird die Übersicht wirklich dynamisch.