Bischof Ipolt über Flucht, Vertreibung und das Kriegsende

"Verzeihen und Versöhnen"

Veröffentlicht am 04.05.2015 um 00:00 Uhr – Von Gottfried Bohl (KNA) – Lesedauer: 
"Verzeihen und Versöhnen"
Bild: © KNA
Zweiter Weltkrieg

Görlitz  ‐ 70 Jahre danach: Der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt spricht über das Kriegsende, Flucht und Vertreibung sowie die aktuelle Flüchtlingsdebatte.

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Frage: Herr Bischof Ipolt, 70 Jahre ist es her, dass der Krieg zu Ende ging. Damit begann aber auch für viele Deutsche das Kapitel Flucht und Vertreibung. Welche Rolle spielt dieses Thema heute noch?

Ipolt: Zum einen werden sicher in diesen Tagen und Wochen bei vielen älteren Menschen Erinnerungen wach. Da wird manches nochmals hochkommen, zum Teil auch Leid und Wehmut und so einiges, was bis heute nicht wirklich verarbeitet ist. Aber diese Erlebnisgeneration wird ja naturgemäß immer kleiner. Die nächste Generation der Kinder - zu der ich mich auch zählen würde - kennt oft noch viele Erzählungen ihrer Eltern über Flucht und Vertreibung, aber für die Jüngeren spielt das heute kaum noch eine Rolle.

Frage: Welche Rolle spielt das Thema in Ihrem Leben?

Ipolt: Heute würde man wohl sagen, ich bin ein Bischof mit Migrationshintergrund. Meine Eltern sind Sudetendeutsche und waren damals auch Vertriebene. Sie sind 1946 in den Thüringer Raum gekommen wie viele andere katholische Christen auch. Ich kenne viele Erzählungen aus der Zeit und bin dann später auch regelmäßig in den Orten gewesen, wo meine Eltern geboren wurden. In unserer Familie ist das ganz gut verarbeitet worden, glaube ich. Sicher auch, weil oft darüber gesprochen wurde. Aus dieser Erfahrung heraus kann ich vieles ganz gut nachempfinden, denke ich.

St. Jakobus in Görlitz ist die östlichste Bischofskirche in Deutschland.
Bild: ©KNA

Das Bistum Görlitz liegt direkt an der Grenze zu Polen. St. Jakobus (Bild) ist die östlichste Bischofskirche in Deutschland.

Frage: Wie sollte das Gedenken heute sinnvoll begangen werden?

Ipolt: Ich denke, im Mittelpunkt sollten die Themen Verzeihen und Versöhnen stehen, aber auch die Verbindung zu Flucht und Vertreibung heute. Wir erinnern ja in diesem Jahr auch an den Deutsch-Polnischen Briefwechsel zwischen den beiden Bischofskonferenzen vor genau 50 Jahren. Das war ein wichtiger Meilenstein, bei dem die Kirche beispielhaft vorangegangen ist. "Wir vergeben und bitten um Vergebung" lautete ja der berühmte Satz, der einen Versöhnungsprozess eingeleitet hat, der sehr viel Gutes bewirkt hat.

Frage: Und der Bezug zur aktuellen Flüchtlingsdebatte?

Ipolt: Heute sind wieder Millionen Menschen auf der Flucht oder werden aus ihrer Heimat gewaltsam vertrieben. Das führt uns doch ganz deutlich vor Augen, dass das Thema nicht nur eins von gestern und vorgestern ist. Ich weise auch gerne mal in Predigten oder Diskussionen darauf hin, dass viele der Christen in unseren Gemeinden - gerade hier im Osten - selbst Vertriebene und Flüchtlinge sind oder deren Nachfahren.

„Heute würde man wohl sagen, ich bin ein Bischof mit Migrationshintergrund.“

—  Zitat: Bischof Wolfgang Ipolt

Frage: Was bedeutet das aus Ihrer Sicht?

Ipolt: Wie vor 70 Jahren kommen heute wieder Menschen als Fremde. Meine Eltern zum Beispiel wurden bei Leuten einquartiert, die sie nie zuvor gesehen oder gesprochen hatten und die ihnen plötzlich die Hälfte ihrer Wohnung freiräumen mussten. Und es hat funktioniert. Heute ist es ja deutlich weniger dramatisch als damals - auch was die Zahl der Flüchtlinge angeht. Das sollten wir uns bewusst machen. Und auch dass wir als Christen aufgerufen sind, die Fremden wie unsere Schwestern und Brüder aufzunehmen. Das ist ein Gebot der Nächstenliebe und steht uns heute gut zu Gesicht. Gerade diejenigen, die das selbst erlebt haben - beziehungsweise ihre Kinder und Enkel - sollten heute ein wenig von dieser Gastfreundschaft zurückgeben. Das wäre aus meiner Sicht eine ideale Form der Erinnerung!

Von Gottfried Bohl (KNA)