Rätselhafte Himmelskönigin: Die Gottesmutter in der Kunst
Im Mittelpunkt Maria mit dem Kind, dazu Josef und die Tiere im Stall von Bethlehem – die heilige Familie zählt zu den beliebtesten Motiven der Kunstgeschichte. Insbesondere die Muttergottes, die Madonna, fordert Künstler seit Jahrhunderten heraus.
Dargestellt wird Maria bereits in frühchristlicher Zeit. Die byzantinische Kunst sieht sie als strenge Majestät. In der westlichen Kunst will die Spätgotik – im deutschsprachigen Raum ist das etwa die Zeit von 1430 bis 1500 – sie nicht mehr so stehen lassen: Eine feine S-Linie fährt durch den Körper, die Gottesmutter kommt in Bewegung, wird nahbar. In ihren Zügen und Gebärden kann Empathie zutage treten und weiblicher Liebreiz. Die Renaissance dann glänzt mit detailverliebtem Porträtrealismus. Es geht sogar, die eigene Liebste zu vergöttlichen: Der italienische Maler Raffael setzt die von ihm geliebte Margherita Luti ins Bild – und die schöne Bäckerstochter aus Siena wird Himmelskönigin.
Meist kostbar und königlich ausstaffiert
Meist wird die Madonna kostbar und königlich ausstaffiert. Da drängte es einen Rembrandt im 16. Jahrhundert, das Wunder zu erden: Er malte die heilige Familie als Kleinfamilie in der Zimmermannwerkstatt. Stilistische Veränderungen spiegeln auch veränderte Glaubensgrundsätze. Das späte Mittelalter brachte neue Marienbilder hervor, um ihre "Rolle im christlichen Heilsplan" zu verbildlichen, wie Jochen Sander sagt, stellvertretender Direktor des Städel-Museums in Frankfurt am Main. Beispiele seien die "Demuts-Madonna", die "auf dem blanken Boden oder einer Rasenbank hockt" statt auf einem Thron zu sitzen, oder die "Schutzmantelmadonna". Sie breitet ihren Umhang über die Gläubigen wie ein Zelt.
Ab circa 1525 wird sie seltener dargestellt. Sander: "Mit der Reformation wurde in den protestantischen Gebieten alles anders, Marienbilder wurden abgeschafft." Dagegen verdrängten in Regionen, die beim alten katholischen Glauben geblieben seien, neue Marienbilder ältere Motive, wie die über ihre Widersacher triumphierende Mondsichelmadonna als "Apokalyptisches Weib". Eines der prachtvollsten Gemälde der deutschen Renaissance ist die rund 500 Jahre alte "Darmstädter Madonna" von Hans Holbein dem Jüngeren. Die Madonna neigt sich dem Kind zu, das seine Hand dem Betrachter entgegenstreckt. Das Gemälde ist derzeit Juwel einer Holbein-Ausstellung im Frankfurter Städel mit vielen besonderen
Madonnendarstellungen: eine Ouvertüre zur Weihnachtszeit.
Stifter Jacob Meyer ließ sich in Lebensgröße mit in Holbeins Bild malen. Eine große Ausnahme, sei das, sagt Kurator Sander, spiele doch der Drang nach repräsentativer Selbstdarstellung, wie er im Bildnis seit der Renaissance unübersehbar sei, im Madonnenbild normalerweise kaum eine Rolle. Ihre persönliche Eitelkeit zeigen in der Neuzeit ungeniert auch die Maler. Selbstbewusst integrierte Albrecht Dürer seine Person in das "Rosenkranzfest" von 1506 mit Maria und Kind im Zentrum: Der an einen Baumstamm gelehnte Dürer ist die eigentliche Bildsignatur.
Studierende der Kunstgeschichte können sich an Darstellungen der Muttergottes kaum sattsehen. Jedes Detail hat Bedeutung: Wie ist in dieser oder jener Epoche die Körperhaltung, wie die Kleidung? Wird die Figur eher statisch oder dynamisch aufgefasst, verdeckt das Gewand den Leib oder lässt der zumeist exquisite Faltenwurf Körperformen erahnen – und was ist mit der Frisur? Die Haartracht Mariens mag üppig ausfallen wie in Martin Schongauers Gemälde der Geburt Christi von 1480 oder verschwindet unter einer Kapuze, die wiederum ein Heiligenschein förmlich einrahmt, wie in einem Weihnachtsbild von Giotto, entstanden um das Jahr 1310.
Das Mütterliche überdeckt beinahe das Göttliche
Bei ihm präsentiert die gegen Kälte gewappnete Maria das Kind im minimalistischen Stall dem Ochsen und dem Esel, während Josef einsam am Bildrand hockt. Im Stall von Bethlehem kommen Glaube, Liebe, Hoffnung, Demut und das Unfassbare zusammen: eine Jungfrau, die ihr Kind im mysteriösen Modus der "unbefleckten Empfängnis" bekam – Maria als rätselhafteste Frau von allen.
Kunstsoziologen kann beschäftigen, ob die Kleidung dem Ausdruck von Frömmigkeit dient oder Maria im Lauf der Kunstgeschichte mehr als modische Figur auftritt, in der sich Zeitgenossinnen wiedererkennen.
In Italien triumphiert früh ein eher lebenswahres Bild der Maria, die lange entrückte Frau wird vermenschlicht. Sandro Botticellis sogenannte "Rockefeller Madonna" – benannt nach der langjährigen Besitzerfamilie – ist besonders zugewandt. Die um 1490 gemalte Madonna mit Kind beugt sich weit herunter zum kleinen Johannes, der betend am Boden kauert: Das Mütterliche überdeckt beinahe das Göttliche.