Buch von Martin Niemöller jr. beleuchtet innerprotestantischen Konflikt

Als Hitler evangelische Kirchenführer zum Empfang lud

Veröffentlicht am 25.01.2024 um 00:01 Uhr – Von Thomas Klatt (KNA) – Lesedauer: 

Berlin ‐ Adolf Hitler versuchte, nach der Machtergreifung Frieden mit den Kirchen zu schließen. Während er mit der katholischen Kirche ein Konkordat abschloss, wollte er bei einem Treffen mit evangelischen Kirchenführern die Protestanten für sich gewinnen.

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Vor 90 Jahren, am 25. Januar 1934, empfing Reichskanzler Adolf Hitler die evangelischen Bischöfe und Kirchenführer in Berlin in der Staatskanzlei. Ein einmaliges Treffen. Ihm waren die Streitigkeiten zwischen den Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche ein Dorn im Auge. Hitler wollte Ruhe an der Konfessionsfront. Der jüngste Sohn von Martin Niemöller, Martin Niemöller jr., ehemaliger stellvertretender Präsident des Bundesgerichtshofes, hat die Aussagen und Protokolle wie bei der Beweisführung für einen Gerichtsprozess nochmals geprüft. Herausgekommen ist eine minutiöse Darstellung der Ereignisse rund um diesen historischen 25. Januar 1934.

"Hitler hatte mit Recht die Vorstellung, wenn ich Niemöller und den Notbund erstmal ausgeschaltet habe, dann werde ich mit dem Rest der evangelischen Kirche schon ganz gut fertig werden", schätzt Martin Niemöller jr. heute das historische Treffen von damals ein. An dem denkwürdigen Treffen nahm auch der Berlin-Dahlemer Pastor Martin Niemöller teil. Er war Vorsitzender des Pfarrernotbundes, dem zu diesem Zeitpunkt mehr als 7000 der reichsweit rund 15.000 evangelischen Pfarrer angehörten. Ein Fakt, den weder die etablierten Bischöfe noch der Führer ignorieren konnten. Der Zusammenschluss der Gemeindepfarrer protestierte gegen jedes Führerprinzip in der Kirche. Die Durchsetzung des Arierparagraphen in der Kirche lehnten sie ab.

Im Januar 1934 war der Kirchenkampf auf seinem Höhepunkt. Adolf Hitler war sich seiner uneingeschränkten Macht noch nicht sicher. Nach dem Konkordat mit der katholischen Kirche im vergangenen Sommer wollte er jetzt auch Ruhe bei den Evangelischen. Bei dem Kanzlerempfang ließ sich aber Martin Niemöller als einziger von Hitler nicht einschüchtern und bot ihm die Stirn. "Rührte hier der Beginn der Abneigung Hitlers gegen Martin Niemöller her, den er drei Jahre später als 'persönlichen Gefangenen des Führers' an der Gerichtsbarkeit vorbei in das Konzentrationslager Sachsenhausen-Oranienburg verbringen ließ?", schreibt Martin Niemöller jr. in seinem Buch.

Deutsche Christen hatten Kirchenwahlen gewonnen

Dabei waren die Machtverhältnisse schon im Jahr zuvor geklärt. Bei den Kirchenwahlen vom 23. Juli 1933 ging die Glaubensbewegung der Deutschen Christen als Sieger hervor. Ihr Ziel war die Errichtung einer einheitlichen Reichskirche unter der Führung des Königsberger Wehrkreispfarrers Ludwig Müller, den Hitler schon am 25. April 1933 zum "Bevollmächtigten für die Angelegenheiten der evangelischen Kirche" ernannt hatte. Alles schien für die Nationalsozialisten zu sprechen. Das Dritte Reich wurde von den meist deutsch-national eingestellten Pfarrern begrüßt. Auch vom ehemaligen U-Boot-Kommandanten im Ersten Weltkrieg Martin Niemöller.

Doch die Deutschen Christen (DC) verspielten ihre erlangte Macht. Ihr Gauobmann Reinhold Krause forderte im Berliner Sportpalast am 13. November 1933 im Beisein zahlreicher DC-Kirchenführer, sich vom Alten Testament mit seiner "jüdischen Lohnmoral", von "diesen Viehhändler- und Zuhältergeschichten", loszusagen, Menschen "judenblütiger Art" aus der Kirche auszuschließen und auf die "Sündenbock- und Minderwertigkeitstheologie des Rabbiners Paulus" zu verzichten. Das traf auf Widerstand. Kirchen, die nicht unter DC-Kontrolle waren, insbesondere die Landeskirchen in Bayern, Württemberg, Hannover und die Provinzialkirche Westfalen liefen Sturm gegen Reichsbischof Müller. Der wiederum verbot den "Mißbrauch des Gottesdienstes zum Zwecke kirchenpolitischer Auseinandersetzungen." Mehrere Landeskirchen lehnten die Durchführung dieses "Maulkorberlasses" ab.

"Müller hat noch einen draufgesetzt, weil er Ende Dezember 1933 in einem Schurkenstreich sondergleichen das gesamte evangelische Jugendwerk an die HJ [Hitlerjugend, Anm.d.Red.] übertragen hat, ohne das vorher mit irgendjemanden von der Kirche vereinbart zu haben", sagt Martin Niemöller jr. heute. Beide Seiten wurden in die Reichskanzlei bestellt. Die Forderung der Opposition war klar: Reichsbischof Müller muss weg! Niemöller setzte ganz auf den "Führer", der davon überzeugt werden müsse, dass "er uns", also der Kirche, "den nötigen Lebensraum gibt."

Adolf Hitler (l.) und Hermann Göring am Abend des 30. Januar 1933 an einem Fenster der Reichskanzlei in Berlin.
Bild: ©picture alliance / akg-images

Adolf Hitler (l.) und Hermann Göring am Abend des 30. Januar 1933 an einem Fenster der Reichskanzlei in Berlin.

Hitler wurde von seinem Minister Hermann Göring auf das Treffen vorbereitet. Als Hauptunruhestifter wurden Niemöller und sein Pfarrernotbund ausgemacht. Niemöllers Telefon im Dahlemer Pfarrhaus wurde überwacht. Göring trug zu Beginn des Treffens ein verfälschtes Abhörprotokoll vor: Niemöller habe von "der letzten Ölung" gesprochen, "die Sache sei gut gedreht" und die "Minen seien gelegt". Der Kirchenopposition wurde Staatsopposition unterstellt. Hitler reagierte mit Empörung: "Die Sorge um das Dritte Reich überlassen Sie mir und sorgen Sie für die Kirche." Hitler warf dem Pfarrernotbund schädliche Beziehungen zur Auslandspresse vor. Hitler drohte, der Kirche die finanzielle Unterstützung zu entziehen.

Zum Schluss traf Hitler jedoch keine Entscheidung, sondern richtete an die versammelten Kirchenführer den dringenden Appell, es um der Lage des deutschen Volkes willen noch einmal mit dem Reichsbischof Müller zu versuchen und sich in Frieden und Eintracht mit ihm zu verständigen: "Sie haben doch auf der Synode in Wittenberg den Reichsbischof selber gewählt." Nachdem Niemöller von Göring überrumpelt und als vermeintlicher Volksverräter bloßgestellt war, erklärten sich auch die Vertreter der Bekenntnisgruppe kleinlaut bereit, es erneut mit dem Reichsbischof zu versuchen. Nur Martin Niemöller nicht!

"Mein Vater hat dann die Hand etwas länger festgehalten, als es zur Verabschiedung nötig gewesen wäre: 'Herr Reichskanzler, ich sage Ihnen, dass weder Sie noch sonst eine Macht in der Welt in der Lage sind, uns als Kirche die Verantwortung, die uns von Gott für Volk und Vaterland auferlegt ist, abzunehmen.' - Und das war das Ende. Hitler hat dann dazu nichts mehr gesagt und hat sich abgewandt", sagt Martin Niemöller jr. heute.

Reichsbischof Müller beurlaubte Niemöller

Das hat Hitler dem Dahlemer Pastor wohl nie verziehen. Mit dem Ausgang des Kanzlerempfangs stand die kirchliche Opposition schlechter da als zuvor. Der Unmut der Bischöfe richtete sich allein gegen Niemöller. Er habe durch sein unachtsames Plappern am Telefon der Sache mehr als nur geschadet. Auch vor dem Führer habe er nicht still sein können. Er solle seinen Vorsitz beim Notbund niederlegen, was er aber brüsk ablehnte.

Reichsbischof Müller griff hart durch. Niemöller wurde beurlaubt und mit Bescheid vom 10. Februar 1934 in den Ruhestand versetzt. Der Presse wurde mitgeteilt: "Unter dem Eindruck der großen Stunde, in der die Kirchenführer der Deutschen Evangelischen Kirche mit dem Herrn Reichskanzler versammelt waren, bekräftigen sie einmütig ihre unbedingte Treue zum Dritten Reich und seinem Führer." - Eine Unterwerfungserklärung! Vor allem in Bayern, Württemberg und Hannover fühlten sich viele Pfarrer daran gebunden. So schieden in den kommenden Wochen etwa 1500 Pfarrer dieser Landeskirchen aus dem Notbund aus.

Allerdings rückten die anderen enger zusammen. Niemöller ließ sich nicht entmutigen. "Dass sich der Widerstand der Bekenntnistreuen im Kirchenkampf davon noch einmal erholen, als Bekennende Kirche neu formieren und frische Kraft schöpfen konnte, ist je nach säkularer oder religiöser Perspektive ein Glücksfall oder ein Wunder. Die Entwicklung mündete in die berühmte Barmer Bekenntnissynode (29.-31. Mai 1934)", schreibt Martin Niemöller jr. zum Ende seines Buches. Ein spannendes Buch, das sich wie ein Kirchengeschichtskrimi rund um den 25. Januar 1934 liest.

Von Thomas Klatt (KNA)

Das Buch

Martin Niemöller jr.: Evangelische Kirchenführer bei Hitler. Der Kanzlerempfang vom 25. Januar 1934. Es umfasst 160 Seiten, ist im Lutherverlag erschienen und kostet 20,00 Euro.