Missbrauchsstudie: Diakonie-Präsident über protestantische Probleme
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Pfarrer Rüdiger Schuch ist gerade erst im Amt, als die "ForuM-Studie" zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche veröffentlicht wird. Darin zeigt sich, dass ein Großteil der Übergriffe in Einrichtungen der Diakonie passiert sind – ein herber Schlag für den ehemaligen Leiter des Evangelischen Büros NRW, der gerade erst seine neue Position in Berlin angetreten hat.
Frage: Sie kommen in sehr unruhigem Fahrwasser in Berlin an, wenn man bedenkt, dass in Ihren ersten vier Wochen im Amt die „ForuM-Studie“ veröffentlich wurde. Die Zahlen zeigen: Viele Übergriffe sexualisierter Gewalt sind in Einrichtungen der Diakonie passiert. Wie ist das für Sie?
Pfarrer Rüdiger Schuch (Präsident der Diakonie Deutschland): Mit dem Thema sexualisierte Gewalt in Kirche und Diakonie bin ich seit längerem befasst. In meiner letzten Stelle als Beauftragter der drei Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen habe ich zusammen mit meinem Kollegen aus dem katholischen Büro schon mehrere Jahre erlebt, dass die Kirchen in einer Vertrauenskrise sind.
Zunächst einmal haben die Menschen – sehr stark transportiert über die Problematik in der katholischen Kirche – das Vertrauen in die Kirche nicht nur ein Stück weit, sondern fast komplett verloren.
Wenn Sie sich die Kirchenmitgliedschaftsstudie anschauen, dann ist das Vertrauen, das die Menschen gegenüber der katholischen Kirche haben, unter zehn Prozent gerückt. Bei der evangelischen Kirche lag es, glaube ich, bei knapp einem Drittel. Diese Prozentzahlen werden jetzt sinken.
Wir haben letztes Jahr in Nordrhein-Westfalen im Landtag eine Phase gehabt, wo wir in Ausschüssen über sexualisierte Gewalt in Kirche und Diakonie Rede und Antwort stehen mussten. Und das auch völlig zu Recht.
Letztlich steckte hinter der Frage der Landtagsabgeordneten die Frage: Kann man den Kirchen heute noch vertrauen? Und sind sie auch in ihren sozialen Angeboten vertrauenswürdig? Da sind wir auskunftspflichtig.
Ich habe damals schon sehr deutlich gesagt, dass sexualisierte Gewalt kein Problem der katholischen Kirche ist, auch im Blick auf beide Kirchen, sondern dass es sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche gibt, wie in der katholischen auch und dass das kein Thema des Zölibats ist. Das mag ein Spezifikum der katholischen Kirche sein, aber es gibt andere Spezifika in der evangelischen Kirche.
Ich fand auch das Narrativ verkehrt zu sagen: Die evangelische Kirche ist so liberal, die Probleme, die wir haben, die haben alle in der Gesellschaft. Nein! Es gibt spezifisch protestantische Probleme.
Auch das dritte Narrativ, die evangelische Kirche möge das Problem vereinzelt haben. Das seien Einzelschicksale. Es sei kein generelles Problem der Institution. Das gebe es allenfalls in der Diakonie. Auch dieses Narrativ habe ich damals schon sehr deutlich angezweifelt. Genau das ist uns jetzt auch in der Studie, finde ich, sehr stark vor Augen gehalten worden.
Frage: Was sind denn spezifisch protestantische Probleme?
Schuch: In dieser Studie hat sich noch mal sehr deutlich, vor allen Dingen durch die qualifizierten Interviews, gezeigt, dass das Pfarrhaus ein besonderer Ort ist.
Zum Beispiel, dass in einem Pfarrhaus die Trennung zwischen privat und dienstlich sehr viel schwieriger zu ziehen ist als in anderen Bereichen und dass das Möglichkeiten des Missbrauchs eröffnet.
Wie in der katholischen Kirche auch ist die Position des Pfarrers zu nennen. Trotz des Priestertums aller Gläubigen in der evangelischen Kirche ist die Position des Pfarrers ein Problem – und ich spreche jetzt mal männlich, weil es ja Täter sind, von denen in der Studie berichtet wird. Es sind keine Täterinnen, sondern es sind Täter.
Die Machtposition, die der Pfarrer hat, hat auch Machtmissbrauch ermöglicht. Protestantische Pfarrer sind in besonderer Weise kommunikativ ausgebildet. Sie sind in besonderer Weise ausgebildet, intrinsisch zu motivieren und zu überzeugen usw. All das kann auch eine Kehrseite haben, wenn es zum Instrumentarium wird, Menschen zu belästigen und zu missbrauchen. Da müssen wir als evangelische Kirche sehr kritisch hinschauen.
Dramatische Zahlen: So steht es um Glaube und Kirche in Deutschland
Gesunkene Kirchenbindung, kaum noch Vertrauen, hohe Austrittszahlen: Die neue Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, an der sich erstmals auch die katholische Kirche beteiligt hat, beschreibt schonungslos die Lage der Kirchen in Deutschland. Und doch: Die Studie räumt ihnen noch Handlungsmöglichkeiten ein.
Frage: Schauen wir auf die Politik: Mit einiger Verspätung ist jetzt der Bundeshaushalt verabschiedet worden. Was denken Sie, wieso war das so schwierig?
Schuch: Wenn so ein Bundeshaushalt beschlossen werden will und man versucht, zwei Grundlinien nicht zu verlassen, nämlich keine Schulden aufzunehmen, aber auch die Steuern nicht zu erhöhen, dann ist das Geld, das Sie haben, um alle Aufgaben in diesem Haushalt abzubilden, begrenzt.
Dann ist es natürlich für uns fragwürdig, wenn es Diskussionen gibt, ob man die Menschen, die Bürgergeld erhalten und womöglich ihren Verpflichtungen nicht immer nachgegangen sind, gleich stark sanktioniert.
Warum muss man am untersten Ende anfangen, über Gelder zu sprechen von Menschen, die in der Regel seit vielen Jahren in ganz schwierigen Lebensverhältnissen leben? Die Menschen haben in der Regel keine Stimme und sie haben es schlichtweg schwer, wenn sie zum Beispiel von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, überhaupt wieder in die Lage zu kommen, nach vorne zu schauen, Selbstwirksamkeit zu spüren und Eigeninitiative zu entwickeln.
Eine solche Diskussion halte ich für völlig verfehlt und übrigens auch schädlich für das soziale Miteinander in der Gesellschaft.
Frage: Haben Sie manchmal das Gefühl, drei Ampel-Parteien bremsen sich gegenseitig aus, weil alle in unterschiedliche Richtungen wollen?
Schuch: Wir haben momentan eine interessante Situation. Auf der einen Seite erleben wir seit zwei Jahren eine Regierung, die sich öffentlich darüber streitet, was der richtige Weg ist, den sie einschlagen wollen. Einerseits könnte man denken: So muss Demokratie sein. Sehr transparent zeigt diese Ampel, wie sie um den richtigen Weg ringt.
In einer Zeit, in der wir spüren, dass wir von sehr vielen Krisen gerade gefangen genommen sind, verunsichert das aber zugleich. Es verunsichert, dass diejenigen, die für unser Wohlergehen politisch agieren, offensichtlich so von Uneinigkeit geprägt sind.
Ich finde, das ist eine Spannung, die wir da erleben. Einerseits ist das gelebte Demokratie und andererseits verunsichert es, weil wir das Bedürfnis haben, in diesen schwierigen Zeiten eine klare politische Führung zu erleben.
„Wir werden als Diakonie und Caritas gehört, wenn wir uns gemeinsam für Themen einsetzen und wenn wir eine gemeinsame starke Stimme erheben.“
Frage: Schaffen Sie das denn, da Ihre Stimme auch noch mit in den Diskurs zu bringen? Werden Sie gehört?
Schuch: Wir werden als Diakonie und Caritas auch im Verbund mit der freien Wohlfahrtspflege gehört, wenn wir uns gemeinsam für Themen einsetzen und wenn wir eine gemeinsame starke Stimme erheben. Das kann man zum Beispiel im Bereich der Kindergrundsicherung sagen, wo wir sehr deutlich gemacht haben, dass es sinnvoll ist, an der Stelle umzustellen.
Ich finde, dass die freie Wohlfahrt eine starke Stimme hat und sie auch in der Politik deutlich gemacht hat. Als es um die Kürzung bei den Freiwilligendiensten ging, ist die freie Wohlfahrt geschlossen auf die Straße gegangen. Das hat Wirkung gezeigt. Ich glaube schon, dass wir im politischen Berlin und übrigens auch in den Ländern jeweils gehört werden.
Frage: Es ist eine Tradition bei uns im Himmelklar-Podcast, gegen Ende nach der persönlichen Hoffnung unserer Gäste zu fragen. Ich würde also gerne auch von Ihnen wissen: was gibt Ihnen persönlich Hoffnung?
Schuch: Das kann ich, glaube ich, in einem Satz gar nicht sagen.
Frage: Das ist ja schön, wenn es viel gibt.
Schuch: Ich habe in der Weihnachtszeit wahnsinnig intensiv das Lied "Ich steh an deiner Krippen hier" wahrgenommen vom Text. Das hat mich in meinem Glauben in dem Moment sehr bestärkt und mich gleichzeitig demütig gemacht. Ich habe sehr viel Kraft in dem Moment im Glauben gespürt und ich habe ein Aufgehobensein gespürt. Das hat mir unglaublich gutgetan.
Wir haben gar nicht darüber gesprochen, dass eines der zentralen Themen momentan ist, dass wir uns um unsere Demokratie sorgen müssen. Ich war vor anderthalb Wochen auf der Demonstration in Berlin, auf der ich auch sprechen durfte.
Wenn Sie dann 100.000 Menschen dort sehen und wenn Sie in Gespräche eintauchen, wo ganz viele sagen, sie wären das erste Mal auf einer solchen Demonstration, aber sie haben das Gefühl, es ist wichtig, dass wir jetzt ein Zeichen setzen gegen Rassismus, gegen Menschenhass und für die Grundfesten für das, wie wir in diesem Staat leben wollen, dann macht mich das sehr hoffnungsfroh.