Fragen zum Unterrichtsfach waren Teil der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung

Ein Hoffnungszeichen? Was die KMU-Studie über Religionsunterricht sagt

Veröffentlicht am 25.02.2024 um 12:00 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 

Bonn ‐ Immer wieder gibt es öffentliche Debatten darüber, ob man den Religionsunterricht an Schulen zumindest reduzieren sollte – zuletzt etwa in Bayern. Wie Menschen den Unterricht bewerten, war auch ein Teil der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. Und die Studie zeigt überraschende Ergebnisse.

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Innerhalb des schulischen Fächerkanons hat der Religionsunterricht mitunter einen schweren Stand. Denn im Gegensatz zu Deutsch, Mathematik oder Sport wird immer wieder über einen reduzierten Umfang oder gar ein Ende des Religionsunterrichts diskutiert. So forderte der Landesschülerbeirat Baden-Württemberg in seinem Grundsatzprogramm im Januar des vergangenen Jahres, den Religionsunterricht zu reduzieren – und traf damit einen Nerv: Auch säkulare Medien berichteten über die regionale Initiative. Und auch die Politik beschäftigt sich mit solchen Ideen: Erst kürzlich brachte Bayerns Kultusministerin Anna Stolz (Frei Wähler) im Landtag den Vorschlag ein, in der Grundschule könne – zugunsten von mehr Deutsch- und Mathematik-Unterricht – auch auf Religionsstunden verzichtet werden. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) beeilte sich jedoch, die Debatte bei einer Klausurtagung mit einem Machtwort schnell zu beenden. Man sei sich einig: "Bei Religion wird nicht gekürzt."

Auch wenn diese Initiativen also nicht zu nachhaltigen Änderungen geführt haben, so bleibt doch der Eindruck: Der Religionsunterricht wird in der Öffentlichkeit als verzichtbarer angesehen als andere Fächer. Dabei sichert schon das Grundgesetz den Religionsunterricht als ordentliches Fach an öffentlichen Schulen zu. Der Religionsunterricht wird dazu vom Staat "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" erteilt, heißt es dort (Artikel 7, Absatz 3 GG).

20 Fragen in aktueller KMU-Studie zu Religionsunterricht

Doch wie bewerten katholische und evangelische Kirchenmitglieder und Konfessionslose den Religionsunterricht tatsächlich? Das war Teil der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU), die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Mit dieser Untersuchung versucht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) seit 1972 das empirische Wissen über die Beteiligung an kirchlichen Angeboten zu vertiefen. Zum ersten Mal war daran im vergangenen Jahr die Katholische Kirche beteiligt. Und zum ersten Mal war auch der Religionsunterricht ein Fokus der Studie. Allein 20 Fragen zielten auf das Schulfach ab.

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Ein Ergebnis der Befragung: 77 Prozent der Grundschulkinder nehmen am Religionsunterricht teil – und 35 Prozent davon sind konfessionslos. "Das ist schon eine erstaunlich hohe Zahl", sagt Clauß Peter Sajak, Professor für Religionspädagogik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Dieses Ergebnis mache deutlich, dass das Klischee nicht zutreffe, der Religionsunterricht sei ein Fach der Kirchen für ihr Klientel. Mit 34 Prozent in der Mittelstufe und 28 Prozent in der Oberstufe verringert sich dieser Wert der konfessionslosen Teilnehmenden am Religionsunterricht kaum, je älter die Kinder und Jugendlichen werden. "Das bedeutet, dass der Religionsunterricht eine große Strahlkraft in die Schule hinein hat – und das weit über die christlichen Kinder hinaus", betont Sajak.

Religionsunterricht wird zunehmend plural wahrgenommen

Diese Strahlkraft scheint tatsächlich auch jenseits der Kirchenmitglieder anzukommen: So stimmen immerhin 50 Prozent der konfessionslosen Befragten der Aussage zu "Mein Religionsunterricht war gut, ich habe ihn gerne besucht", bei der Gesamtbevölkerung sind es sogar 62 Prozent. Die Autorinnen und Autoren der KMU-Studie halten zudem fest, dass der eigene Religionsunterricht von den Befragten im Rückblick von Generation zu Generation zunehmend als plural und weniger als konfessionell ausgerichtet empfunden worden ist. Dieser Wandel von Inhalt, Kommunikationsform und Adressatenkreis werde ausdrücklich begrüßt und als wirksam erlebt. "Die wahrgenommene Relevanz des Religionsunterrichts für das eigene Leben und für Haltungen zu religiösen Fragen ist umso höher, je stärker der Unterricht eine offene Diskussionskultur aufwies und andere Religionen behandelte", heißt es in den Studien-Ergebnissen.

Sajak glaubt, dass sich der Religionsunterricht in Zukunft weiter in diese Richtung entwickeln wird. "Letztlich wird es auf Modelle interreligiöser Kooperation hinauslaufen, das zeigt auch die KMU-Studie." Schon jetzt würden Kinder aus unterschiedlichen christlichen Konfessionen an vielen Schulen im evangelischen und auch im katholischen Religionsunterricht kooperativ gemeinsam unterrichtet. Künftig müssten jedoch auch Kinder aus anderen Religionsgemeinschaften sowie konfessionslose Kinder zum Begegnungslernen zusammengebracht werden, fordert der Religionspädagoge. Damit ist er nicht allein: 83 Prozent der Bevölkerung stimmen laut KMU der Aussage "Im Schulfach Religion sollten Schulkinder unterschiedlicher Religionszugehörigkeiten gemeinsam unterrichtet werden" zu.

Theologieprofessor Clauß Peter Sajak
Bild: ©Privat (Montage:katholisch.de)

"Wenn man das nüchtern betrachtet, ist die Mitwirkung der Kirchen bei der Erstellung der Lehrpläne in den Bundesländern sehr unterschiedlich und oft rein formal", sagt Clauß Peter Sajak. Er ist Professor für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Eine Abschaffung der kirchlichen Mitwirkung am Religionsunterricht hält er für nicht plausibel.

Diese Entwicklung beschäftigt auch die Kirchen. Ein Thesenpapier der Bistümer und der Evangelischen Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2022 hält fest: "Ein zukunftsfähiger Religionsunterricht muss die aktuellen 'Zeichen der Zeit' unverstellt wahrnehmen, seine Anliegen und seine Relevanz entsprechend ausschärfen und sich nicht zuletzt auf Basis empirischer Vergewisserung konzeptionell weiterentwickeln." Als eine der Thesen formulieren die Kirchen, dass interreligiöse Module den Religionsunterricht bereichern. Für einen zukunftsfähigen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen sei es daher unter anderem erforderlich, Modelle, Leitlinien und Qualitätsstandards der Zusammenarbeit mit anderen Religionsunterrichten – wie etwa dem islamischen – und auch Ersatzfächern zu entwickeln.

Mit Verweis auf das Grundgesetz betonen die Kirchen dabei, dass der Religionsunterricht bekenntnisbezogen bleiben und die Kirchen weiter beteiligt werden müssen. Die KMU-Studie meldet an diesem Faktum jedoch Zweifel an: Gut 80 Prozent der religiösen Kirchenmitglieder beider Konfessionen befürworten eine Mitwirkung der Kirchen am Religionsunterricht, aber nur knapp 60 Prozent aller Kirchenmitglieder. Bei den Konfessionslosen liegt die Zustimmung sogar nur bei 30 Prozent. Im Altersvergleich nimmt die Ablehnung einer kirchlichen Mitwirkung am Religionsunterricht von der ältesten Generation der über 70-Jährigen bis hin zu den jüngsten Befragten (14–29-Jährige) immer stärker zu. So sprechen sich rund 70 Prozent eben jener jüngsten Altersgruppe dagegen aus, dass Kirchen den Religionsunterricht mitverantworten sollen.

Sajak: Mitwirkung der Kirchen bei Lehrplänen "sehr unterschiedlich und oft rein formal" 

Sajak sieht hier vor allem eine Unkenntnis darüber, wie limitiert der kirchliche Einfluss beim Religionsunterricht tatsächlich ist. "Wenn man das nüchtern betrachtet, ist die Mitwirkung der Kirchen bei der Erstellung der Lehrpläne in den Bundesländern sehr unterschiedlich und oft rein formal", so der Religionspädagoge. Da die kirchliche Mitwirkung am Religionsunterricht sich vor allem auf organisatorische Faktoren beschränke, sei eine Abschaffung dieser Mitwirkung nicht plausibel. "Ich hätte die Sorge, dass wir dann zu einem Fach kommen, dass nicht mehr Religionsunterricht ist, sondern ein Mischfach, in dem vieles verhandelt wird", sagt Sajak. "Dann käme das zu kurz, worum es im Religionsunterricht geht: die Frage der religiösen Perspektive auf die Wirklichkeit und die damit verbundenen Konsequenzen." Um fundiert über die unterschiedlichen religiösen Perspektiven zu unterrichten, benötige der Staat zwingend die Expertise der Religionsgemeinschaften.

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Aus Sicht des Religionspädagogen ergibt sich aus den Ergebnissen aber dennoch eine Aufgabe für die Kirche: "Die Kirchen täten gut daran, stärker als bisher deutlich zu machen, warum sie sich im Bildungsbereich engagieren." Letztlich gehe es darum, Kinder und Jugendliche für das Leben vorzubereiten. Im Religionsunterricht würden dabei grundlegende Fragen verhandelt, die von hoher gesellschaftlicher Relevanz seien und nicht nur mit dem eigenen Bekenntnis zu tun hätten.

Auch wenn die derzeitige Form des konfessionellen Religionsunterrichts und die kirchliche Mitwirkung daran durchaus kritisch gesehen wird, so formulieren die Autorinnen und Autoren der KMU doch: "Die Position, dass der Religionsunterricht generell abgeschafft werden solle, findet keine Mehrheit."

Ein paar "religionspädagogische Silberstreifen" am Horizont?

Während andere Ergebnisse der KMU-Studie etwa zu kirchlicher Sozialisation oder Glaubenspraxis relativ ernüchternd ausfallen, bewertet Klaus Kießling die Studie hoffnungsvoll. Der Professor für Religionspädagogik, Katechetik und Didaktik an der Hochschule Sankt Georgen hat an der Untersuchung mitgearbeitet. In einem Beitrag für die "Zeitschrift für Pädagogik und Theologie" schreibt er von "ein paar religionspädagogischen Silberstreifen" am düsteren Horizont der derzeitigen Lage der katholischen Kirche. Als Beispiel dafür nennt er etwa, dass sich die Positionierung der Lehrpersonen im Religionsunterricht über die Altersgruppen hinweg als stabil erweist, dass die Versuche einer Einflussnahme zurückgehen und die Schülerinnen und Schüler so selbst zu einem für sie stimmigen Standpunkt finden können.

Religionspädadogik-Professor Sajak dagegen warnt vor zu großem Optimismus, nur weil der Religionsunterricht in der KMU-Studie besser abschneide als andere kirchliche Bereiche und Sozialisationskonstellationen. "Dass der Staat unter Mithilfe der Kirchen mit dem Religionsunterricht eine relativ solide religiöse Bildung vermitteln kann, macht mich durchaus hoffnungsvoll", betont er. Die Kirche dürfe jetzt aber nicht darauf setzen, diese vermeintliche Stärke auszuspielen und zu versuchen, das auszunutzen, um das eigene Image wieder aufzubessern und negativen Entwicklungen entgegenzutreten. "Dass so Abbrüche und negative Entwicklungen gestoppt werden, halte ich für illusorisch."

Von Christoph Brüwer