Magdeburg feiert 1.000 Jahre Grundsteinlegung seiner Bischofskirche

Vom Pferdestall zur Kathedrale

Veröffentlicht am 16.05.2015 um 00:00 Uhr – Von Markus Kremser – Lesedauer: 
Geschichte

Magdeburg ‐ Bischofskirche ist St. Sebastian noch nicht allzu lange - und doch hat die Kathedrale des Bistums Magdeburg eine große Geschichte. Im Interview berichtet Peter Zülicke von den 1.000 Jahren, die seit der Grundsteinlegung vergangen sind.

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Frage: Herr Zülicke, Magdeburg hatte schon vor 1.000 Jahren einen großen Dom, einen Vorgängerbau des heutigen Domes. Warum steht nur wenige hundert Meter daneben gleich eine weitere so große Kirche.

Zülicke: Magdeburg war durch Kaiser Otto ja besonders hervorgehoben worden. Die Stadt war so etwas wie eine Hauptstadt im Kaiserreich. Seine Nachfolger haben diesen Gedanken nicht weiter verfolgt. Stattdessen stieg das Ansehen des Erzbischofs von Magdeburg. Und dieser Erzbischof hat Zeichen setzen wollen. Deswegen begann er rings um den Dom, in der sogenannten Domfreiheit, Stiftskirchen zu errichten. St. Sebastian war die erste und vornehmste dieser Kirchen. Dann folgte noch das Kloster Unserer Lieben Frau und später sind auch noch andere Stiftskirchen in der Domfreiheit wie ein Kranz um den Dom herum entstanden.

Frage: St. Sebastian hat eine so wechselvolle Geschichte wie wahrscheinlich keine andere Kathedrale in Deutschland. Was waren die größten Einschnitte?

Zülicke: Die größten Einschnitte waren die Zerstörungen. Das ist auch am Bau sichtbar. Von dem ersten Bau ist nichts mehr erhalten. Die romanische Basilika, die dann erbaut wurde, hat durch zwei große Stadtbrände Schaden genommen, wurde aber schließlich fertig gestellt. Im 15. Jahrhundert stand das Stift dann so gut da, dass man es sich leisten konnte, die Kirche im Stil der Gotik zu modernisieren. So ist die gotische Hallenkirche entstanden auf den Fundamenten der romanischen Basilika. Es gibt kaum eine Kathedrale in Deutschland, die in solcher Schlichtheit und doch Helligkeit die Aufmerksamkeit so auf das Wesentliche lenkt, die Eucharistie, wie St. Sebastian in Magdeburg.

Frage: Sachsen-Anhalt ist das Kernland der Reformation. Welche Auswirkungen hatte das in Magdeburg?

Zülicke: Martin Luther hat 1524 in Magdeburg in der Altstadt gepredigt. Daraufhin hat sich fast die ganze Stadt gleich dem Luthertum zugewandt, nur die Domfreiheit blieb noch einige Jahrzehnte katholisch. Dann war aber der Druck auf die Stiftsherren in St. Sebastian so stark, dass in Magdeburg alle kirchlichen Einrichtungen entweder protestantisch wurden oder geschlossen wurden und die katholischen Ordensleute auswanderten. Auch St. Sebastian wurde protestantisch. Nur ein Kloster hat in Magdeburg die Reformationszeit überlebt. Dieses Kloster wurde dann aber im frühen 19. Jahrhundert in Folge der französischen Revolution säkularisiert.

St. Sebastian
Bild: ©KNA

Eine Seitenansicht der Bischofskirche.

Frage: Im Dreißigjährigen Krieg wurde Magdeburg fast vollständig zerstört. Auch St. Sebastian?

Zülicke: Ja, die Kirche ist schwer beschädigt wurden. Bei der Erstürmung Magdeburgs brannte 1631 die Kirche nieder. Aber schon 30 Jahre später ist verzeichnet, dass eine hölzerne Decke eingezogen worden ist. Nochmal 30 Jahre, bis 1692, hat es dann gedauert, bis die Kirche wieder für den protestantischen Gottesdienst genutzt werden konnte.

Frage: St. Sebastian ist dann später als Magazin genutzt worden. Warum wurde die Kirche aufgegeben?

Zülicke: Sie wurde aufgegeben, weil sie schlicht nicht mehr gebraucht wurde. In der Stadt gab es die Pfarrkirchen, die ihre Gemeinden hatten. St. Sebastian hat nie eine Gemeinde gehabt, war immer Stiftskirche. Als dieses Stift evangelisch geworden war, ist es nur noch spärlich weitergeführt worden. So hat man sich entschlossen, die Stiftsgemeinschaft aufzulösen. Die Kirche wurde dann als Lagerraum genutzt, und als die französische Besatzung 1806 kam, wurde die Kirche sofort beschlagnahmt. Die napoleonischen Truppen haben dann dort eine Feldschmiede eingerichtet und die Kirche als Lager und zeitweilig auch als Pferdestall genutzt.

Frage: Ab 1845 ist das Gebäude dann wieder als Kirchenraum genutzt worden.

Zülicke: Ja, zuerst haben einige wenige Jahre die sogenannten Deutschkatholiken den Chor von St. Sebastian genutzt. Der Rest des Gebäudes war in einem ziemlich desolaten Zustand. Diese Gemeinde war aber schnell so zerstritten, dass die Stadt Magdeburg ihnen das Nutzungsrecht wieder entzogen hat. Das war eine kurze Episode. 1873 ist dann in einem Vertrag festgelegt worden, dass die katholische Gemeinde die Kirche bekommt und auch das Geld, das zur Renovierung nötig ist. Seit 1878 gibt es wieder regelmäßig katholische Gottesdienste in St. Sebastian.

Frage: Seit wann gibt es wieder eine katholische Gemeinde in Magdeburg?

Zülicke: Es hat in Magdeburg auch während der Reformationszeit immer eine kleine katholische Gemeinde gegeben. Die hat sich um das Kloster erhalten. Im 18. Jahrhundert wuchs diese Gemeinde, weil Preußen Magdeburg als Festungsstadt ausbaute. Dadurch kamen viele katholische Soldaten in die Stadt. Franziskanerpatres aus Halberstadt haben für diese Soldaten regelmäßig Militärgottesdienste gehalten, zu denen auch die Katholiken aus Magdeburg dazukamen. Neben den Gottesdiensten im Kloster gab es also auch diese Gottesdienste in den Festungsanlagen. Preußen hat damals festgestellt, dass die neue Gemeinde an St. Sebastian die Nachfolgerin der Klostergemeinde ist, und dass damit die Verpflichtungen des preußischen Staates für die Gemeinde weiter bestehen. Diese Verpflichtungen sind heute durch ein Konkordat abgelöst, das der Heilige Stuhl mit dem Land Sachsen-Anhalt geschlossen hat.

1.000 Jahre und 44 Nationen

Vor 1.000 Jahren wurde der Grundstein der heutigen Magdeburger Kathedrale St. Sebastian gelegt. Dieses Jubiläum feiert das Bistum ab heute mit einem mehrtägigen Fest. Zwar steht die kleine Kathedrale meist im Schatten des großen Doms. Dennoch hat sie viel zu bieten.

Frage: Magdeburg gehört zu den Städten, die im 2. Weltkrieg nahezu dem Erdboden gleich gemacht worden sind. Wie hat St. Sebastian das überstanden?

Zülicke: Die St.-Sebastians-Kirche hat großes Glück gehabt. Östlich und westlich sind Schneisen der Zerstörung gezogen worden. Die Altstadt wurde zu 85 Prozent zerstört. Nur St. Sebastian und einige wenige Gebäude nördlich und südlich vor ihr sind von diesem Flächenbombardement verschont worden. Die Kirche ist auch nach dem großen Angriff vom 16. Januar 1945 erhalten geblieben. Die Fenster sind durch die Sprengbomben alle kaputt gegangen. Helfer konnten alle Brände auf dem Dach der Kirche über dem Schiff rasch löschen. Nur durch Funkenflug sind die beiden Turmhelme in Brand geraten und vollkommen abgebrannt. Die Türme standen dann erstmal einige Jahre ohne Bedeckung da.

Frage: Die deutsche Teilung führte auch zur Abtrennung von Magdeburg vom Erzbistum Paderborn. War von vornherein klar, dass St. Sebastian die Hauptkirche des Bischöflichen Kommissariats werden würde?

Zülicke: St. Sebastian in Magdeburg war schon im ganzen 20. Jahrhundert eine der Hauptkirchen im Ostteil des Erzbistums Paderborn. Dieser Teil war ja auch territorial von Paderborn getrennt. Von daher war das hier schon seit 1811 ein eigener Verwaltungsbezirk. Der Propst von St. Sebastian war immer auch der sogenannte Bischöfliche Kommissar. Diese Eigenverwaltung hatte im 19. Jahrhundert schon begonnen und ist dann durch die Teilung Deutschlands noch verstärkt worden. 1949 nahm der zweite Paderborner Weihbischof seinen Sitz in Magdeburg und 1952 erhielt sein Nachfolger auch die Vollmachten eines Generalvikars für unser Gebiet. So ist in kleinen Schritten dieses Gebiet selbständiger geworden. Einen ersten Abschluss hat das gefunden als ab 1973 es in Magdeburg keinen Paderborner Weihbischof mehr gab, sondern einen Apostolischen Administrator des Bischöflichen Amtes. Das war ein Sonderfall, den es zuvor nie gab.

Frage: Seit 1994 gibt es das Bistum Magdeburg, und St. Sebastian ist seitdem Kathedrale. So bedeutend wie heute war die Kirche in ihrer ganzen tausendjährigen Geschichte zuvor noch nie.

Zülicke: Ja, mit der Bistumserhebung ist St. Sebastian die Kathedrale des Bistums Magdeburg geworden. Hier ist der Sitz des Bischofs und des Domkapitels. Man könnte sagen, die Kirche hat eine tolle Karriere gemacht: Vom Pferdestall zur Kathedrale.

Zur Person

Geistlicher Rat Peter Zülicke (77) lebt im Ruhestand in Wolmirstedt bei Magdeburg. Zülicke wurde 1962 von Weihbischof Friedrich Maria Rintelen zum Priester geweiht und wirkte als Seelsorger unter anderem in Gommern, Zwochau und Staßfurt. Der Kirchenhistoriker gilt als einer der profundesten Kenner der Geschichte des Bistums Magdeburg.
Von Markus Kremser