Franziskanerprovinzial: Keiner muss sich im Kloster outen
Wie geht man mit Homosexualität im Orden um? Bruder Markus Fuhrmann ist Provinzial der Deutschen Franziskanerprovinz und engagiert sich bei #OutInChurch. Auch in seiner Ordensgemeinschaft hat sich Fuhrmann öffentlich dazu bekannt, dass er homosexuell ist. Im Interview mit katholisch.de berichtet der Franziskaner davon, inwieweit die sexuelle Orientierung im Orden eine Rolle spielt.
Frage: Bruder Markus, Sie haben sich innerhalb Ihrer Ordensgemeinschaft wie auch öffentlich zu Ihrer Homosexualität bekannt. Wie kam es dazu?
Bruder Markus Fuhrmann: Als ich im Januar 2022 die Präsentation der Missbrauchsstudie des Erzbistums München und Freising in den Medien verfolgte, dachte ich: Was die Kirche in diesen Zeiten dringender denn je braucht, das ist Wahrhaftigkeit! Doch dann fragte ich mich, wie es denn um meine eigene Wahrhaftigkeit bestellt ist. Habe ich zum Beispiel jemals protestiert, wenn Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität diskriminiert werden – auch und gerade in der Kirche? Und das, obwohl ich doch selbst schwul bin. Bis dahin hatte ich mich nur Teilen meiner Familie, guten Freunden und einigen Mitbrüdern gegenüber geoutet und zu diesem Thema öffentlich geschwiegen. Ich merkte, dass ich etwas ändern musste, um meiner eigenen Wahrhaftigkeit willen. Deshalb beteiligte ich mich an der Kampagne #OutInChurch und gehörte zu den über 120 Mitarbeitenden der katholischen Kirche in Deutschland, die sich am 24. Januar 2022 öffentlich geoutet haben. Mit dem Outing verbunden waren verschiedene Forderungen der Kampagne, wie die Revision des kirchlichen Arbeitsrechts und eine Erneuerung der kirchlichen Sexualmoral. Manches davon konnte ja zwischenzeitlich schon erreicht werden.
Frage: Sie haben sich dann ganz konkret vor Ihrer Wahl zum Provinzial bei Ihren Mitbrüdern geoutet?
Bruder Markus: Im Juni 2022 stand dann im Rahmen unseres Provinzkapitels die Wahl einer neuen Provinzleitung an. Die Vorwahlen zeigten bereits, dass ich einer der Kandidaten für das Amt des Provinzials sein würde. Vor dem entscheidenden Wahlgang gab es noch einmal eine offene Aussprache der Brüder mit den Kandidaten. Ich sprach über das, was mir für die Zukunft unserer Ordensprovinz als wichtig erscheint. Und dann sagte ich am Ende noch: "Da gibt es noch etwas, dass ich euch sagen möchte. Ich gehe davon aus, dass nicht alle von euch wissen, dass ich schwul bin. Da ich mich bei #OutInChurch engagiere, ist meine sexuelle Orientierung kein Geheimnis mehr, und so ist es nur redlich, dass ihr vor der Wahl wisst: Wenn ihr mich zum Provinzial wählt, dann habt ihr einen öffentlich geouteten Provinzial. Überlegt euch das."
Frage: Wie waren die Reaktionen Ihrer Mitbrüder auf diese Worte?
Bruder Markus: Es gab Applaus. Die Wahl fiel dann tatsächlich auf mich. Ich denke, meine sexuelle Orientierung hat dabei für die Brüder keine Rolle gespielt. Ob meine Wahl ein Zeichen gesetzt hat oder ob ich nun eine Ermutigung für andere bin, weiß ich nicht. Wenn ja, würde mich das freuen. Mir ist wichtig, dass ich ehrlich sagen kann, wer ich bin und was ich bin. Und ich möchte, dass wir in unserer Ordensprovinz eine Atmosphäre haben, in der niemand Angst haben muss, offen zu seiner sexuellen Orientierung zu stehen.
Frage: Gab es auch negative Stimmen?
Bruder Markus: Ja, die gab es, neben vielen positiven und bestärkenden Reaktionen. Einige Brüder meinten zu mir, dass sie ja nichts dagegen hätten, dass ich schwul sei, aber das müsse ich doch nicht öffentlich sagen. Da die kirchlichen Medien weltweit über die Wahl eines homosexuellen Franziskanerprovinzials berichteten, gab es auch Proteste von einigen Mitbrüdern in Leitungs- oder Ausbildungsverantwortung aus anderen Kontinenten. Sie fragten die Generalleitung des Ordens an, wie man mich zum Amt des Provinzials zulassen könne, da ich doch schwul sei. Hier spiegelt unser Weltorden die Situation und die Kontroversen in der Weltkirche wider. Wir haben das auch bei den Auseinandersetzungen um den Synodalen Weg der Kirche in Deutschland erlebt.
„Niemand sucht sich seine sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität aus. Viele Menschen sind von Gott heterosexuell begabt und manche Menschen sind eben homo- oder bisexuell, sind transident oder nicht-binär, sind also queer begabt.“
Frage: Nach wie vor gibt es Stimmen, die sagen, dass Homosexualität eine Sünde sei...
Bruder Markus: Ja, nach wie vor gibt es Menschen die sagen, dass Homosexualität eine Sünde sei, eine Krankheit oder eine Fehlentwicklung. In der Regel begründen diese Stimmen das mit dem Naturrecht oder der Schöpfungsordnung, wobei sie dann meinen, selbst definieren zu können, was denn "natürlich" oder "der Schöpfungsordnung gemäß" sei. Dem möchte ich entgegenhalten: Solche abwertenden und diskriminierenden Äußerungen werden weder der Lebenswirklichkeit und dem Erleben queerer Menschen gerecht, noch entsprechen sie dem heutigen Stand der humanwissenschaftlichen, sexualethischen und exegetischen Fachdiskussion. Niemand sucht sich seine sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität aus. Viele Menschen sind von Gott heterosexuell begabt, und manche Menschen sind eben homo- oder bisexuell, sind transident oder nicht-binär, sind also queer begabt. Dies zeigt die wunderbare Vielfalt der Schöpfung Gottes.
Frage: Wenn jemand in den Orden eintreten will und sagt, dass er schwul ist, wäre das ein Ausschlusskriterium?
Bruder Markus: Nein, das wäre es nicht. Wichtig wäre jedoch, dass er seine Sexualität insgesamt annimmt, wie sie ist, und dass er sie gut in sein Leben integriert. Und zu einem Leben im Orden gehört auch, dass man bereit und fähig ist, auf ausgelebte Sexualität innerhalb einer Partnerschaft zu verzichten.
Frage: Wird denn bei einem Bewerber nach seiner sexuellen Orientierung gefragt?
Bruder Markus: Keiner muss sich outen, wenn er in den Orden eintreten möchte. Wer Franziskaner werden möchte, muss sich allerdings nicht nur mit dem eigenen Glauben und seiner Gottesbeziehung auseinandersetzen, sondern auch mit seiner Biographie, seiner Leiblichkeit und seiner Sexualität. Das heißt, man sollte sich auch über die eigene sexuelle Orientierung im Klaren sein beziehungsweise werden und sie bejahen.
Frage: Welche Kriterien sind entscheidend bei der Berufungsklärung?
Bruder Markus: Gott ist es, der beruft; ich berufe mich nicht selbst. Berufung umfasst im Wesentlichen zwei Aspekte: Motivation und Eignung. Es ist Aufgabe des Kandidaten selbst, aber auch der Brüder in der Berufungspastoral und der Ordensausbildung zu klären, ob beide Aspekte der Berufung für ein Ordensleben tragfähig sind. Motivation meint: Was bewegt mich, Franziskaner zu werden? Welche Ereignisse, Personen und Erfahrungen spielen dabei eine Rolle? Flucht vor den Härten des Lebens und den Risiken einer Partnerschaft oder der Wunsch nach einem abgesicherten Leben bilden gewiss keine tragfähige Motivation. Eignung meint, ob der Kandidat, so wie er ist, mit seinen Fähigkeiten und Begrenzungen und auch mit dem, was ihn bewegt und erfüllt, in die konkrete Gemeinschaft passt. Wenn das nicht der Fall ist, wird weder die Gemeinschaft noch der Ordenskandidat froh. Wer beispielsweise eine stets gleiche Tagesstruktur am selben Ort, gregorianischen Choral sowie Abgeschiedenheit von der Welt sucht, der mag vielleicht zu einem Ordensleben berufen sein, ist aber bei uns Franziskanern falsch. Franziskaner sein bedeutet: Bruder sein; Bruder der Menschen, mit denen ich lebe und denen ich tagtäglich begegne. In der Begegnung mit den Anderen, besonders mit Benachteiligten und Ausgegrenzten, gilt es, das Evangelium zu leben, offen für die Welt und ihre Herausforderungen. In der Ordensausbildung geht es darum, menschlich, christlich und auch franziskanisch zu wachsen und sich zu entwickeln. Und im Letzten muss ich dabei für mich klar bekommen, ob ich mich und mein Leben wirklich mit Haut und Haar Gott überlassen und das Abenteuer eines Ordenslebens wagen will.
Frage: Der eigene Körper, die eigene Sexualität spielt dann doch eine entscheidendere Rolle bei der Berufung fürs Ordensleben?
Bruder Markus: Ja, das denke ich auch. Es geht eben auch darum, den eigenen Körper und die eigene Sexualität anzunehmen und möglichst fruchtbar mit dem Ordensleben zu verbinden. Wenn ich meine eigene Sexualität und meine Homosexualität verdrängen oder abwerten würde, dann wird mein Ordensleben mich und andere unglücklich machen. Das Leben in Gemeinschaft kann mir Feedback und Halt geben; es kostet aber auch schon mal Kraft und Nerven. Wenn es gut läuft, lässt mich das Leben in einer Gemeinschaft reifen. Hilfreich ist meines Erachtens aber auch, Freundschaften zu pflegen zu Menschen außerhalb der Ordensgemeinschaft, idealerweise zu Männern und Frauen. Als bereichernd erlebe ich auch unsere alle zwei Jahre stattfindenden Treffen mit unseren ehemaligen Mitbrüdern, die den Orden verlassen haben und jetzt in Partnerschaften oder mit Familie leben. Deren Lebensgeschichten bereichern uns auch als Gemeinschaft. All diese Beziehungen helfen mir, mich ehrlich mit meinen eigenen Bedürfnissen auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung ist auch hilfreich bei der Prävention von sexualisiertem oder geistlichem Machtmissbrauch. Wenn ich mir meiner selbst bewusst bin, meinen Stärken und Schwächen und meinen Bedürfnissen, wenn ich weiß, was mir guttut und was nicht, dann gerate ich nicht so leicht in Abhängigkeitsverhältnisse oder schräge Beziehungen. Es hilft, meine Grenzen und die Grenzen anderer zu erkennen und zu respektieren.