Jesuit Seibel ist tot: Tausende Publizisten gingen durch seine Schule
1968, im Jahr, das einer ganzen Generation den Namen gegeben hat, bleibt auch auch die katholische Kirche von der revolutionären Unruhe nicht unberührt. Sie gründet eine eigene Journalistenschule. Doch ein vernünftiger Name will den Bischöfen partout nicht einfallen. Und so wird aus dem gewählten sperrigen Begriff "Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses" (ifp) umgangssprachlich bald das "Seibel-Institut" – in respektvoller Anerkennung für Gründungsdirektor Wolfgang Seibel. Am Sonntag ist der Jesuit in München gestorben. Er wurde 95 Jahre alt.
Der Ordensmann litt schon seit Jahren an einer Augenkrankheit, die seinem Sehvermögen immer mehr zusetzte. Auch mit dem Hören wollte es nicht mehr so gut klappen. Doch noch über seinen 95. Geburtstag hinaus freute sich Seibel über Besuch und Anrufe. Die ihm dabei hinterbrachten Neuigkeiten saugte er mit großem Interesse auf. Und versah sie bisweilen mit scharfzüngigen Kommentaren.
Unvergessen bleibt sein letzter großer Auftritt 2018, bei der 50-Jahrfeier des ifp in München. Da stahl der Pater dem bekanntesten ifp-Absolventen Thomas Gottschalk die Show. Seibel bekam den längsten Applaus, mehr als der TV-Entertainer, auch mehr als der Münchner Kardinal Reinhard Marx. Das zeugte von der hohen Wertschätzung von Generationen katholischer Journalistinnen und Journalisten, die durch seine Schule gingen.
Der Sohn eines Hauensteiner Schuhfabrikanten war durch und durch ein Mann des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Über dessen Reformbeschlüsse berichtete er für die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) aus Rom. Das Konzil versuchte die in der katholischen Kirche lange vorherrschende Abwehrhaltung gegenüber der Moderne zu überwinden. Statt zu verurteilen und sich abzugrenzen, propagierte die Bischofsversammlung den Dialog mit allen Menschen guten Willens, mit Anders- und Nichtgläubigen. Seibel machte daraus ein Programm für die Journalistenausbildung. Deren Absolventinnen und Absolventen sollten "im offenen Dialog nach der Wahrheit suchen", "nie in der Pose des allwissenden Lehrmeisters auftreten", sondern "gemeinsam mit allen anderen um die Lösung der Probleme ringen". So lautete das Vermächtnis des Paters bei seiner Verabschiedung nach 23 Jahren im Oktober 1991. Es ist aktueller denn je.
Seit 2004 zeichnet der Förderverein des ifp herausragende journalistische Nachwuchsarbeiten mit dem Pater-Wolfgang-Seibel-Preis aus und führt auch damit dessen geistiges Erbe fort.
Als ifp-Direktor hatte Seibel es mit zwei Vorbehalten zu tun: Von außen wurde geargwöhnt, die Kirche wolle mit ihrer Journalistenschule gleichsam eine "fünfte Kolonne" in die bundesdeutschen Medien einschmuggeln, um so Einfluss zu nehmen. Nach innen musste er sich des Vorwurfs von Bischöfen erwehren, die Kirche züchte mit dem ifp ihre eigenen Kritiker heran. Diesen konterte der Jesuit mit einem Hinweis auf das Konzil, in dem sich die Kirche als stets erneuerungsbedürftig bezeichnet habe. Daher sollten die Bischöfe lieber dankbar sein für kritische Journalisten. Prophetische Worte, die durch den Missbrauchsskandal noch einmal stärker nachhallen.
Frühe Reformvorschläge
Als Chefredakteur der Jesuiten-Monatszeitschrift "Stimmen der Zeit" setzte Seibel von 1966 bis 1998 auch mit eigener Feder Akzente, vor allem kirchenpolitische. In Leitartikeln zu Themen wie "Bischofsernennungen" oder "Die Stellung der Frau in der Kirche" griff er schon vor mehr als 40 Jahren Reformvorschläge auf, wie sie zuletzt beim Synodalen Weg verhandelt wurden. Dabei befürwortete er durchaus radikale Neuerungen und fing sich dafür einige böse Briefe aus Rom ein.
Je weiter das Alter voranschreitet, desto stärker lichtet sich die Schar gleichaltriger Freunde. Doch richtig einsam wurde es um Seibel herum nie. Nicht nur, weil ihm so einige seiner Journalistenschüler die Treue hielten. Mit dem Münchner Kardinal Friedrich Wetter (96) verband den Pfälzer mehr als eine Klassenkameradschaft auf dem Landauer Gymnasium. Von Wetter hatte Seibel Schwimmen gelernt. Regelmäßig trafen sich die hochbetagten Herrn in einem Restaurant unweit der Münchner Oper. Nach Seibels Umzug in ein katholisches Pflegeheim wohnten sie seit März sogar unter einem Dach. Aber viel Zeit blieb ihnen nicht mehr.