"Ben Hur", "Die Zehn Gebote" – und weniger erfolgreiche Jesus-Streifen

Was die Bibelfilm-Klassiker der 50er und 60er Jahre ausmacht

Veröffentlicht am 29.03.2024 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Jedes Jahr an Ostern und Weihnachten greifen Fernsehmacher auf sie zurück: monumentale Bibelfilme wie "Die Zehn Gebote", "Ben Hur" oder "Die größte Geschichte aller Zeiten". Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der "biblical epics" – und wie gut sie gealtert sind.

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Mindestens einer von ihnen taucht jedes Jahr im österlichen und weihnachtlichen TV-Programm auf: aufwendig inszenierte Filme von epischer Länge aus den 1950er und 1960er Jahren, die biblische Geschichten behandeln oder deren Plot in biblischer Zeit spielt, oft nach einer Romanvorlage. Die Rede ist von Streifen wie "Die Zehn Gebote" (1956), "Ben Hur" (1959) oder "Die größte Geschichte aller Zeiten" (1965). Manche dieser sogenannten Monumentalfilme haben Hollywood-Geschichte geschrieben und gelten bis heute als Klassiker. Anderen war ein nicht so großer Erfolg beschieden – was Fernsehverantwortliche dennoch nicht davon abhält, auch sie in geprägten Zeiten hin und wieder aus dem Archiv zu holen. Was steckt hinter solchen "biblical epics"? Und wie gut sind sie gealtert?

Dass sich Hollywood seit den 1950er Jahren besonders auf antik-biblische Themen stürzte, ist kein Zufall. Es sind Geschichten, die die damals noch bibelfestere Gesellschaft kannte und die man durch technische Fortschritte cineastisch immer besser umsetzen konnte: Das Publikum war neugierig, wie die Erzählungen aus der Bibel im Film dargestellt werden – die Macher wiederum lockten die Zuschauer mit dem Versprechen einer anschaulichen, möglichst realistischen Darstellung der biblischen Zeit in die Kinosäle. So wurden die Filme zu regelrechten Materialschlachten, die Unsummen an Budget verschlangen. Die Produktion von "Ben Hur" kostete beispielsweise rund 16 Millionen Dollar. Damit zählt sie heute noch zu den aufwendigsten der Filmgeschichte.

Schlupflöcher und Einreden in die Zeit

Doch die Häufung der Filme in diesen Jahren hatte weitere Gründe, wie Reinhold Zwick erklärt. Der Theologe ist emeritierter Professor für Bibeldidaktik an der Universität Münster und beschäftigt sich in seiner Forschung schwerpunktmäßig mit Theologie und Film. Zum einen seien biblische Themen eine Gelegenheit für die Filmemacher gewesen, Sachen zu zeigen, die sonst der Zensur unterworfen gewesen wären. "Wir haben es in dieser Zeit auch mit Bibelfilmen wie 'Salome' oder 'Samson und Delilah' zu tun, die mit frivolen Szenen nicht gegeizt haben. Das biblische Sujet war sozusagen ein Schlupfloch, um Nacktheit und Erotik darzustellen." Dasselbe gelte für das Thema Gewalt.

Zum anderen – und das ist für Reinhold Zwick der springende Punkt – waren viele Bibelfilme Einreden in die damalige Zeit. "Es waren Selbstverständigungstexte im historischen Gewand für das Amerika der Nachkriegszeit", sagt der Experte. Die amerikanische und die mit ihr verbundene westliche Kultur hatte sich nach dem Schrecken des Faschismus und im Angesicht des aufkommenden Kommunismus in Osteuropa neu über die tragenden Werte und das christliche Fundament der Weltordnung verständigt. "Da liefen Wertediskurse: Was sind die typischen Tugenden, was ist Männlichkeit, was ist das Freiheitsideal?" Das griff auch der Bibelfilm auf. Sehr deutlich zeigt sich das beim größten Kinoerfolg der 1950er Jahre: In "Die Zehn Gebote“ von Cecil B. DeMille, der quasi am Vorabend des Kalten Kriegs in die Kinos kam, wird Mose als Herold der Freiheit aufgebaut. Demgegenüber steht der Pharao als Repräsentant eines totalitären Systems. Im Hintergrund schwang für jeden Zuschauer klar ersichtlich der Konflikt USA gegen Sowjetunion mit.

„Da liefen Wertediskurse: Was sind die typischen Tugenden, was ist Männlichkeit, was ist das Freiheitsideal?“

—  Zitat: Theologe und Filmexperte Reinhold Zwick über die Hintergründe der monumentalen Bibelverfilmungen der 1950er Jahre

Neben "Die Zehn Gebote" feierten in den 1950er Jahren weitere Filme aus dem biblischen oder bibelnahen Genre große Erfolge. Es sind vor allem Romanverfilmungen: "Quo vadis?" (1951) über die frühen Christen in Rom zur Zeit Neros, "Das Gewand" (1953) über einen römischen Tribun, der sich den Christen anschließt – und als Höhepunkt schließlich "Ben Hur",  eine Geschichte über die Freundschaft zwischen einem jüdischen Aristokraten und einem Vertreter der römischen Obrigkeit, die zur erbitterten Feindschaft wird. In allen drei Filmen ist Jesus eine Randfigur und wird nie frontal gezeigt. Für die Dramaturgie aber ist er aber von zentraler Bedeutung.

Dass Jesus in diesen Filmen nur sehr diskret dargestellt wird, liegt nicht nur an den Plots. Man hatte generell Scheu, den Heiland auf die Leinwand zu bringen. "Das hängt auch mit der in den USA sehr eingefleischten protestantischen Bilderfeindlichkeit und den pietistischen Traditionen zusammen", sagt Reinhold Zwick. Jesus einfach wie jeden anderen Helden der Geschichte darzustellen, galt in der Gesellschaft als undenkbar. So wurden vor allem Filme gemacht, die das Wirken Jesu ins Zentrum stellten – wie bei "Das Gewand", wo der Protagonist mit einem Kleidungsstück Jesu in Berührung kommt, oder in "Quo vadis", wo die Apostel Petrus und Paulus im Mittelpunkt stehen und Jesus in Erscheinungen auftaucht.

Lange Pause bei Jesus-Filmen

So tat man sich konsequenterweise auch lange Zeit schwer mit reinen Jesus-Filmen. Zwar machte man sich schon kurz nachdem die Bilder laufen gelernt hatten an Passagen aus der Passionsgeschichte. Die Dauer dieser Filme betrug oft nur wenige Minuten. Die erste abendfüllende Verfilmung des Lebens Jesu war "König der Könige" von Cecil B. DeMille aus dem Jahr 1927 und somit aus der Endzeit des Stummfilms. Danach dauerte es – abgesehen von einigen evangelikalen Produktionen, die komplett verschwunden sind – wegen der großen Vorbehalte über 30 Jahre, bis sich erneut ein Regisseur an die Jesus-Geschichte traute: 1961 kam ein Streifen in die Kinos, der ebenfalls "König der Könige" heißt. Es ist die erste Verfilmung des Lebens und Leidens Jesu Christi, die in Farbe und Ton produziert wurde. Regie führte Nicholas Ray, der vor allem durch "… denn sie wissen nicht, was sie tun" (Hauptrolle: James Dean) und Western-Produktionen bekannt war.

Als leitend bei Ray sieht Reinhold Zwick den Versuch an, ein jüngeres Publikum für den Jesus-Film zu interessieren. Das zeigt sich am juvenilen Jesus-Darsteller Jeffrey Hunter, der in der damaligen Zeit besonders durch Jugendfilme populär geworden ist. Das hat jedoch nicht funktioniert: Die Kritik spottete über den "Teenage Jesus" – und insgesamt war der Film an den Kinokassen ein großer Flop, trotz Werbung der Kirchen bis hinauf zum Vatikan. Auch Zwick findet "König der Könige" enttäuschend. Technisch hätten sich die Macher zwar einiges einfallen lassen, besonders bei der Kameraführung, der Ästhetik und der Farbsymbolik. "Aber in der Erzählhaltung ist er noch zu sehr dem Duktus der Monumentalfilme verhaftet – und das war kein überzeugender Ansatz mehr." Auch eine innovative theologische Linie fehle dem Film. "Dazu war er zu konventionell inszeniert."

Ein Kreuz auf einem Berg im Sonnenuntergang.
Bild: ©Spectral Design/Fotolia.com (Symbolbild)

Lange Zeit trauten sich die Filmemacher nicht an Verfilmungen der Lebens- und Leidensgeschichte Jesu.

Woran "König der Könige" auch scheiterte: Als er in die Kinos kam, befand sich das Genre des biblischen Monumentalfilms bereits im Niedergang. "Der Zeitgeist war Anfang der 1960er bereits ein anderer", sagt Zwick. Andere Themen und andere Genres wurden populär. Er war schlicht zu spät dran. Das gilt erst recht für "Die größte Geschichte aller Zeiten", ein Jesusfilm mit Max von Sydow in der Hauptrolle, der 1965 rauskam. Auch diese Produktion, eine persönliche Herzensangelegenheit von Regisseur George Stevens, fiel beim Publikum krachend durch. "Er war am Anfang zu lang, dann wurde er nach und nach immer weiter gekürzt, aber war immer noch lang. Auch die ganze Ästhetik war den damaligen Zuschauern fremd." Weil Stevens bei der Produktion das Geld ausgegangen ist, investierte er sein gesamtes Privatvermögen in den Film – und verlor alles. "Danach war der Jesus-Film als große Hollywood Produktion für 40 Jahre eigentlich tot." Abgesehen von einigen Ausnahmen, die andere Ansätze verfolgten, brach erst Mel Gibsons "Die Passion Christi" (2004) diesen Bann.

Aus heutiger Sicht ist "Die größte Geschichte aller Zeiten" für den Theologen und Filmexperten jedoch ein verkannter Film. "Er bringt jetzt keine Action, sondern nimmt sich einen langen Atem und inszenierte die Jesus-Geschichte im Duktus der johanneischen Hoheitschristologie." Auch der Inkarnationsgedanke ist leitend. Deutlich wird das schon in den Eingangsbildern: Er beginnt mit einem Fresko des Hauptdarstellers als Pantokrator, die Kamera fährt runter und das Bild wechselt zum Licht in der Grotte in Bethlehem. Am Ende, bei der Darstellung der Himmelfahrt Christ, kommt die umgekehrte Bewegung. Der Sendungsgedanke des Johannesevangeliums und typisch johanneische Reden dominieren. "Es ist ein sehr liturgisch anmutender Film, in manchen Passagen sehr weihevoll und feierlich erhaben." Wenn man sich auf den langsameren Rhythmus des Films einlasse, sei er bis heute empfehlenswert. Zudem sei Max von Sydow ein Jesus, der "gegen den Strich gebürstet" ist: Er sei härter, nicht so gefällig wie etwa ein Jeffry Hunter in derselben Rolle. "Das macht den Blick auf Jesus frei und setzt einen Kontrast zu den eingewurzelten Jesusbild-Traditionen in den Köpfen der Zuschauer."

Zeitlose Sujets und Anklänge in der Gegenwart

"Die größte Geschichte aller Zeiten" tauchte zuletzt vor drei Jahren im deutschen Fernsehprogramm auf – "Ben Hur" oder "Die Zehn Gebote", jeweils mit Schauspiel-Legende Charlton Heston in der Hauptrolle, nahezu jährlich zu jedem Hochfest. Beide wurden in den 2010er Jahren sogar neu verfilmt. Ihre Popularität liegt laut Reinhold Zwick gerade in den Themen, die sie behandeln. "Ben Hur" ist ein monumentales Epos mit der Geschichte einer zerbrochenen Freundschaft, die zu Feindschaft wird: ein zeitloses Sujet. Dazu ist er mit dem Wagenrennen samt dargestellter viriler Männlichkeit ein früher Actionfilm. "Mit seiner Konfliktkonstellation und seinem Spannungspotential ist er einfach auch für heutige Zuschauer attraktiv."

Das bei "Die Zehn Gebote" mitschwingende Thema bekam in den vergangenen Jahren erschreckende Aktualität. War es bei Veröffentlichung des Films der Konflikt zwischen dem Westen und den sozialistischen Diktaturen, kann man ihn heute vor der Folie der zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen liberalen Demokratien und autokratisch geführten Ländern wie Russland oder China lesen. "Er bleibt in seinem historischen Duktus und transportiert seine Botschaft nicht aufdringlich plump", betont Zwick. So sei er anschlussfähig für den Transport in die Gegenwart. "Es wäre interessant, ihn einmal aus der heutigen Warte zu sehen, da es oft heißt, die Welt stehe wieder vor einem Kalten Krieg."

Was bleibt von diesen Filmen? Für Reinhold Zwick ist es in erster Linie die Verschiedenartigkeit der Versuche, sich filmisch an das biblische Genre anzunähern. "Letztlich ist es eine zeitlose Fragestellung: Wie kann man diese Geschichten inszenieren?" Und zwar so, dass der jeweilige Zuschauer in der jeweiligen Zeit damit etwas anfangen kann. Manchen Machern ist es derartig gut gelungen, dass ihre Filme viele Geschmacksveränderungen überdauert haben. Andere blieben schlicht Produkte ihrer Epoche, die ihren Erfolg hatten – oder auch nicht.

Von Matthias Altmann