Neuer Studiengang: "Wir suchen nach neuen theologischen Orten"
Wer Gemeindereferent oder Gemeindereferentin werden will, hat bisher meist Religionspädagogik an einer Fachhochschule studiert. Nun gibt es einen neuen Zugang zum Beruf: Die Jesuitenhochschule Sankt Georgen in Frankfurt bietet seit einem Semester einen Bachelor-Studiengang "Kirchliche Praxis in säkularer Gesellschaft" an, der berufsbegleitend studiert werden kann. Im Interview erläutern der Rektor der Hochschule, der Kirchenrechtsprofessor Thomas Meckel, und der Studiengangskoordinator Vincent Jünger, für wen das Studium gemacht ist – und welche Auswirkungen der neue praxisorientierte Studiengang für das klassische Theologiestudium hat.
Frage: Der neue berufsbegleitende Studiengang heißt "Kirchliche Praxis in säkularer Gesellschaft". Ist das nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass sich heute jeder theologische Studiengang in einer säkularen Gesellschaft bewegt, Herr Meckel?
Meckel: Ja. Das gilt für alle Studiengänge. Die berufsbegleitende Konzeption des Studiengangs ist aber eine Reaktion auf die kirchliche Situation bzw. die Situation kirchlichen Personals, da sich immer mehr Personen, die schon ein Berufsleben hinter sich haben, für eine Tätigkeit in der Kirche entscheiden. Er antwortet auf die Situation, dass es immer mehr Nicht-TheologInnen im kirchlichen Dienst gibt, die sich theologisch weiterbilden möchten. Unsere Träger, darunter Bistümer aus dem Norden Deutschlands, haben Bedarf nach einem berufsbegleitenden Studiengang signalisiert, der auf deren spezifische Situation auch in der Diaspora ausgelegt ist und als nicht-kanonischer Studiengang für GemeindereferentInnen und Nicht-TheologInnen konzipiert ist. Der Studiengang ist nicht von einem theologischen Magisterstudiengang her konzipiert, sondern ein genuin eigener Studiengang.
Im Unterschied zum kanonischen Magisterstudiengang dient der Studiengang nicht der Priester- und PastoralreferentInnenausbildung, sondern die Hochschule Sankt Georgen verleiht den akademischen Grad "Bachelor of Arts (B.A.)", der rein staatliche Wirkung hat.
Durch den Studiengang ist es gelungen, dass an der Hochschule Sankt Georgen alle pastoralen Berufe gemeinsam ausgebildet werden: Priester, Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten, Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten.
Frage: Bisher ist der übliche Zugang zum Beruf von Gemeindereferentinnen und -referenten ein Studium der Religionspädagogik. Was unterscheidet Ihr Angebot davon?
Meckel: Angehende Gemeindereferentinnen und -referenten sind eine von drei Zielgruppen. Wir wenden uns auch an Nicht-TheologInnen, die schon in der Kirche tätig sind, aber sich weiter qualifizieren wollen, und an allgemein theologisch Interessierte. Das Studium ist so aufgebaut, dass es die Kriterien der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für die Berufsausbildung für GemeindereferentInnen erfüllt, es beschränkt sich aber nicht nur darauf. Wir haben uns zum einen gefragt, was das kirchliche Personal der Zukunft braucht. Wir haben zum anderen geschaut, welche Kompetenzen in der Zukunft benötigt werden und welche Elemente des Profils der Hochschule Sankt Georgen den Studiengang mitprägen können: Das ist interreligiöse und interkulturelle Kompetenz, es gibt eine soziale/gesellschaftliche Dimension, es geht um Kirchenentwicklung, aber auch um spirituelle/existentielle Kompetenzen. Das wird nicht in der Binnenlogik einzelner Fächer, sondern interdisziplinär verschränkt behandelt. So wird ein Thema, etwa der interreligiöse Dialog, aus der Perspektive verschiedener theologischer und nichttheologischer Disziplinen gelehrt. Der Anteil der nichttheologischen Disziplinen (z. B. Humanwissenschaften) ist dabei wesentlich höher als der Anteil der theologischen Disziplinen. So sind die Module in der Regel interdisziplinär verschränkt, ohne nur die Perspektive eines einzelnen Fachs einzunehmen. Alle Lehrveranstaltungen wurden eigens und originär für diesen Studiengang konzipiert.
Die Dimensionen des Studiengangs sind in zwei bzw. drei Semestern studierbar und können auch zum Erwerb eines einzelnen Zertifikats studiert werden, sodass auch theologisch Interessierte, beispielsweise Ehrenamtliche, einzelne Dimensionen studieren können.
Frage: Herr Jünger, als Studiengangskoordinator können Sie jetzt auf das erste Semester zurückblicken. Was für Leute haben sich eingeschrieben, und bleiben sie auch nach dem ersten Semester dabei?
Jünger: Wir freuen uns, dass wir tatsächlich alle drei Zielgruppen erreicht haben. Die Studierenden teilen sich sogar etwa je zu einem Drittel auf die Gruppen auf und kommen von Norddeutschland bis Österreich aus ganz unterschiedlichen Gegenden und sind in unterschiedlichen Berufen tätig. Wir haben eine sehr breite Altersspanne, von Mitte 20 und neu im Beruf bis hin zu Menschen, die im Ruhestand noch einmal studieren wollen. Das Studium ist zwar berufsbegleitend, aber wir legen viel Wert darauf, dass sich die Studierenden in den Präsenzphasen in Sankt Georgen zu Beginn und am Ende jedes Semesters auch persönlich hier auf dem Campus kennenlernen.
Frage: Wie fließt die spirituelle Dimension ins Studium ein?
Jünger: Dies ist eine Dimension in der Vertiefungsphase des Studiengangs. Wir beginnen immer mit einer theoretischen Einführung, die dann aber direkt in die Praxis überführt wird. Bei der Spiritualität beginnen wir mit Grundlagen theologischer und philosophischer Anthropologie, die Studierenden entwickeln aber auch selbst zeitgemäße liturgische Formen, die im besten Fall auch tatsächlich an ihrem Wirkungsort gefeiert werden. Ähnlich machen wir es mit den Grundlagen geistlicher Begleitung.
Frage: Schauen da nicht die "klassischen" Magister-Studierenden neidisch auf diese neuen Formen des Studiums?
Meckel: Was wir in diesem Studiengang in digitaler und berufsbegleitender Lehre durchführen, kann auch auf andere Studiengänge ausstrahlen, ohne sich mit diesen zu vermischen. Wir Lehrende lernen ja selbst einiges dabei, wenn wir neue Formen entwickeln. Das Volltheologie-Studium hat aber andere Vorgaben, was alles zum Lehrstoff gehört. Ganz so frei lässt sich da nicht arbeiten, auch wenn die zunehmende Kompetenzorientierung in eine ähnliche Richtung geht.
Frage: Die theologische Landschaft verändert sich. Die Zahl der für den Vollstudiengang Eingeschriebenen sinkt, immer mehr Hochschulen bieten neue Studienangebote an im Stil von "Theologie und Wirtschaft" oder "Theologie und Nachhaltigkeit". Wie verändert das die Theologie insgesamt an der Hochschule?
Meckel: Ich glaube nicht, dass das ein Risiko ist. Nicht alle streben einen kanonischen Abschluss an – die Bezeichnung "Volltheologie" dafür ist ja auch seltsam, als wäre alles andere nur irgendetwas Halbes. Gerade für Menschen, die sich später im Leben noch einmal für ein Studium interessieren, sind solche Angebote oft passend. Es gibt ja auch Wechselwirkungen: Dass Leute danach noch mehr wollen und erst durch solche Angebote auf die Idee kommen, umfassend Theologie zu studieren.
Frage: Für eine wissenschaftliche Karriere braucht es den kanonischen Abschluss. Gräbt sich die akademische Theologie nicht selbst das Wasser ab mit dem Angebot nicht-kanonischer Studiengänge? Die Zahl des akademischen Nachwuchses in der Theologie ist ja jetzt schon sehr überschaubar.
Meckel: Die Entwicklung des akademischen Nachwuchses gibt Anlass zur Sorge. Aber neue nicht-kanonische Studiengänge sind nicht die Ursache dafür. In der Tat: Für eine akademische Laufbahn in Theologie bedarf es des Vollstudiums der Theologie mit kanonischem Abschluss.
Frage: Die Jesuiten gelten als sehr intellektueller Orden, die Jesuitenhochschule Sankt Georgen ist für ihren systematischen Schwerpunkt bekannt. Warum dann dieser praktische Studiengang hier – wäre da eine katholische Fachhochschule nicht viel besser geeignet?
Meckel: Das Leitwort unserer Hochschule ist "Pietati et Scientiae", also die Verbindung von Wissenschaft und Spiritualität bzw. geistlicher Praxis. Sankt Georgen verwirklicht als kirchliche Ordenshochschule nicht nur in der Theorie des Leitbildes der Hochschule die Verknüpfung von Spiritualität und Wissenschaft, sondern auch in der Praxis und im Alltagsleben. Die Hochschule hat einen Schwerpunkt in systematischer Theologie und Philosophie und ist zugleich in der praktischen Theologie sehr gut aufgestellt. Auf dem Campus sind auch wissenschaftliche Institute wie z.B. das Institut für Pastoralpsychologie und Spiritualität und andere Einrichtungen wie das Institut für Weltkirche und Mission und die Fachstelle für den christlich-islamischen Dialog CIBEDO beheimatet. Auf dem Campus gibt es zudem den Berufungscampus. Alle Lehrveranstaltungen wurden eigens und originär für diesen Studiengang konzipiert. Somit unterscheidet er sich bereits durch den überwiegenden Anteil nicht-theologischer Disziplinen vom kanonischen Vollstudium. Dies zeigt sich auch in der interdisziplinären Verschränkung der Lehrveranstaltungen.
Frage: Wie kann man sich die interdisziplinäre Verschränkung vorstellen?
Meckel: Wenn ich zum Beispiel etwas aus dem Bereich Kirchenrecht anbiete, dann ist das nicht eine abgespeckte Variante der Vorlesung für die Studierenden im Vollstudium, sondern eine eigene Lehrveranstaltung abgestimmt auf die zentrale Frage: Was braucht es für Kirchenentwicklung heute? Das bedeutet dann: Was ist die kirchenrechtliche Dimension von Kirchenentwicklung, was ist nach geltender Rechtslage möglich? Das alles wird nicht isoliert von anderen Fächern gelehrt. Stattdessen arbeiten wir über die Disziplinen hinaus zusammen und beleuchten Fragestellungen, etwa aus kirchenrechtlicher, dogmatischer, praktisch-theologischer Sicht, in einer Veranstaltung.
Frage: Und was braucht es heute für die Kirchenentwicklung?
Meckel: Die Kirche entwickelt sich auch dort, wo es erst einmal nicht nach Kirche aussieht. Wir suchen mit unseren Studierenden nach theologischen Orten – und das sind heute ganz oft nicht nur "offizielle" Situationen wie Religionsunterricht oder Pfarrseelsorge, sondern Orte, wo Getaufte eigenständig Kirche leben. Kirchliches Handeln ist viel breiter als das Handeln im Namen der Kirche. Alle Getauften haben eine Sendung und handeln im eigenen Namen. Christinnen und Christen machen vieles in Eigeninitiative, ohne dass sie dafür eine amtliche Delegation haben und brauchen. Das Handeln der Kirche als Volk Gottes ist viel breiter als das Handeln im Namen der Kirche, zu dem Kleriker wie Laien befähigt werden können. Solche Orte wollen wir gemeinsam mit unseren Studierenden entdecken und gestalten, sie theologisch reflektieren und ihr Potential heben.
Mehr Informationen zum Studiengang
Seit dem Wintersemester 2023/24 biete die Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen einen von Grund auf neuen und unabhängig von anderen Studiengängen der Hochschule konzipierten, berufsbegleitenden Bachelorstudiengang an: Kirchliche Praxis in säkularer Gesellschaft. Darin werden aktuelle gesellschaftliche Debatten aus verschiedenen Blickwinkeln der Theologie und Philosophie beleuchtet.