Ein Seelsorger, erprobt am Beton von Saint-Denis

Pascal Delannoy tritt im gebeutelten Erzbistum Straßburg an

Veröffentlicht am 15.04.2024 um 00:01 Uhr – Von Alexander Brüggemann (KNA) – Lesedauer: 

Straßburg ‐ Dass Pascal Delannoy Problem-Milieu kann, hat er in der Pariser Vorstadt Saint-Denis unter Beweis gestellt. Nun übernimmt er als Erzbischof im von Krisen gebeutelten Straßburg. Wie stark ist der soziale und religiöse Mörtel, den er anrühren kann?

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Pascal Delannoy, bislang Bischof von Saint-Denis im betongrauen Pariser Nordosten, sagt: "Man darf nicht nur auf die Tragödien schauen. Ich erlebe jeden Tag ein ganz anderes Saint-Denis, als es in den Medien dargestellt wird. Es gibt hier enorme Brüderlichkeit und Solidarität unter den Menschen." Solidarität – zusammenstehen: Das wird auch im oft als beschaulich geltenden Straßburg notwendig sein, wo der 67-Jährige am kommenden Sonntag als 107. Bischof von Straßburg eingeführt wird.

Denn die Metropole des Elsass, über Jahrhunderte ein Streitobjekt zwischen Frankreich und Deutschland, ist hinter den Kulissen ein religiöser Brennpunkt. Nicht nur dass die 290.000-Einwohner-Stadt neben Paris und Marseille als eine Hochburg des Islamismus in Frankreich gilt. Auch was den – hier vergleichsweise gut betuchten – Katholizismus angeht, ist zuletzt einiges in Schieflage geraten.

Rücktritt des Vorgängers nach monatelangen Auseinandersetzungen

Rückblende: Vor einem Jahr, im Mai 2023, hatte Papst Franziskus den Rücktritt des Straßburger Erzbischofs Luc Ravel (66) angenommen; nach monatelangen Auseinandersetzungen um Ravels Amtsführung und nach einer vatikanischen Überprüfung. Zuvor hatten auf dem Vorplatz des Straßburger Münsters Katholiken für seine Abberufung demonstriert.

Ravel leitete das Erzbistum seit Anfang 2017. Kritiker beschrieben den Ordensmann, der zuvor Frankreichs Militärbischof war, als aufbrausend und menschenfern, zuweilen schneidend und autoritär. Seine Anhänger wiesen dies freilich zurück. Im Juni 2022 zum Beispiel wurde der Finanzchef der Diözese, Jacques Bourrier, fristlos und ohne Begründung entlassen. Der frühere Marineoffizier kündigte Rechtsmittel an – und sprach von "Bananenrepublik-Praktiken des Bischofs".

Bild: ©katholisch.de/cph

Blick auf das Münster in Straßburg.

Auseinandersetzungen gab es auch um die beiden Straßburger Weihbischöfe, Christian Kratz (71) und Gilles Reithinger (51). Erzbischof Ravel hatte Kratz weitgehend entmachtet – nachdem berichtet worden war, der Vatikan habe ihn Interimsverwalter (Apostolischen Administrator) ausersehen, um Ravel die Leitungsgewalt der Erzdiözese zu entziehen. Immerhin: Diese Kontroverse hatte sich dann – mit Ravels Abgang – erledigt.

Anders als die Personalie Reithinger. Er trat vor zwei Monaten, Mitte Februar zurück, nachdem ihm vorgeworfen worden war, er habe sexuelle Übergriffe vertuscht. Die offizielle Lesart lautete: "wegen gesundheitlicher Probleme".

Recht gerupftes Personaltableau

Das ist das recht gerupfte Personaltableau, das der neue Erzbischof Delannoy vorfindet. Und mit noch einer Besonderheit wird er in seiner neuen Aufgabe umgehen müssen – die auf den ersten Blick gar nicht sehr unangenehm klingt: Das Erzbistum Straßburg ist deutlich vermögender als die meisten anderen Diözesen in Frankreich.

Das liegt an einer staatskirchenrechtlichen Besonderheit im Elsass und in Lothringen: Die laizistische Dritte Republik hat 1905 das französische Konkordat von 1801 aufgekündigt und für Frankreich eine strikte Trennung von Staat und Kirche vollzogen. Allerdings gehörten Elsass und Lothringen zwischen den Kriegen von 1870/71 und 1914/18 zu Deutschland – so dass das Konkordat dort bis heute in Kraft ist. Das bedeutet auch, dass der französische Staat die Gehälter der Geistlichen sowie Bauzuschüsse zahlt.

„Er hört den Menschen zu. Seine Predigten sind konkret. Man kann spüren, dass er gearbeitet hat, bevor er sich für das Priestertum entschied.“

—  Zitat: Der Jesuit Marcel Remon über Pascal Delannoy

Das, so ein Insider der Diözese, vermittele manchen Priestern auch "ein gewisses Gefühl der Unabhängigkeit gegenüber dem Bischof". Einige achteten gut auf ihre Vorteile aus einer wirtschaftlich komfortablen Position. So habe es Unmut gegeben, als Delannoys Vorgänger schon wenige Wochen nach seiner Ankunft in Straßburg christliche Sattheit kritisierte und erklärte, niemand könne ein guter Pfarrer sein ohne leidenschaftliche Liebe zu Christus. Zu Beginn gleich abgekanzelt zu werden, habe viele empört.

Diesen Fehler wird "der Neue" nicht machen: Konzilianz im Umgang, Besonnenheit, Menschenkenntnis und Analyse, Zuhören- und Vermittelnkönnen; diese Eigenschaften werden sowohl in der Bischofskonferenz, wo Delannoy viele Jahre Vize-Vorsitzender war, als auch in seiner früheren Diözese geschätzt.

"Er hört den Menschen zu. Seine Predigten sind konkret"

So beschrieb der Bischof von Le Havre, Jean-Luc Brunin, den neuen Erzbischof in der Zeitung "La Croix" als einen Friedensstifter; er könne die tiefe Vertrauenskrise in Straßburg überwinden. Und der Jesuit Marcel Remon aus Delannoys bisherigem Bistum Saint-Denis betont dessen Bescheidenheit und Zugänglichkeit als Pfarrer: "Er hört den Menschen zu. Seine Predigten sind konkret. Man kann spüren, dass er gearbeitet hat, bevor er sich für das Priestertum entschied."

Tatsächlich war Delannoy, gebürtig in Comines an der Grenze zu Belgien, eigentlich Wirtschaftsprüfer, bevor er mit 32 Jahren geweiht wurde. Sein erster Einsatz als Priester: das wirtschaftsschwache und vom Strukturwandel gebeutelte Roubaix, unter Radsportfans auch als "die Hölle des Nordens" bekannt. Nach Jahren als Weihbischof in Lille kam er dann 2009 als Bischof ins Departement Seine-Saint-Denis, das zu den ärmsten in Frankreich zählt. Nicht umsonst leitet Delannoy auch den Rat für Solidarität und Diakonie der Bischofskonferenz.

Die Kathedrale von Saint-Denis gilt als Protobauwerk der Gotik.
Bild: ©picture alliance / GES / Marvin Guengoer

Das Bistum Saint-Denis (im Bild die Kathedrale) war seit 2009 bis zuletzt die Wirkungsstätte von Pascal Delannoy.

Auch ein großes Gespür für kulturelle Diversität bringt der neue Erzbischof mit: Maghrebiner, Schwarzafrikaner, Chinesen, Tamilen – etwa 130 Nationalitäten leben in Saint-Denis. Delannoy: "Das verhindert, dass eine bestimmte Gruppe die Oberhand gewinnt, wie es das in anderen Regionen gibt. Hier wäre es eine totale Illusion zu glauben, man könnte ein Ding nur unter Franzosen machen." Natürlich, Katholiken meinen oft: Verschiedenheit ist eine Chance. "Klar kannst du das sagen", so der Bischof – "und trotzdem ist dann noch gar nichts geschafft! Das ist ein ganz schön dickes Brett."

Besonders liegt Delannoy die Jugend am Herzen. "Wir müssen aufhören, immer nur zu denken, sie seien die Zukunft der Kirche", sagt er. "Sie sind unsere Gegenwart!" Und: "Wenn wir den Jugendlichen keine Arbeit bieten können, dann signalisieren wir ihnen, dass wir sie nicht brauchen. Und das richtet Verheerendes in den Köpfen an."

Bischofsmotto "Mit Demut und Zuversicht"

Delannoys Bischofsmotto lautet: "Mit Demut und Zuversicht". Beides kann er in seiner neuen Aufgabe gut gebrauchen. Und auch seine von den Amtsbrüdern oft nachgefragte Finanzkompetenz als Wirtschaftsprüfer – denn in Straßburg gibt es tatsächlich Kirchengelder zu verwalten; ein starker Kontrast. Ebenso die Zahl der Geistlichkeit: Statt 140 Diözesan- und Ordenspriester in Saint-Denis werden es nun mehr als 600 sein.

Ihnen zuzuhören und sie zu verstehen, das dürfte dem Prüfer Delannoy gelingen. Autoritäres freilich liegt ihm fern. Bei aller Abwägung auch Entscheidungen zu treffen und sich durchzusetzen; darin sehen manche Beobachter eine künftige Herausforderung.

Von Alexander Brüggemann (KNA)