Abschlussbericht im Fall Dillinger – der Blick in den Abgrund kommt
Im Dezember 2023 zogen die Sonderermittler im monströsen Fall Dillinger noch ein ernüchterndes Zwischenfazit: "Gelingt es nicht, die an verschiedenen Stellen vorliegenden Erkenntnisse zusammenzuführen, besteht die Gefahr, dass die Aufarbeitung insgesamt Stückwerk bleibt." Am Dienstag aber dürften die beiden erfahrenen Ermittler nachlegen: der ehemalige Koblenzer Generalstaatsanwalt Jürgen Brauer und der frühere stellvertretende Leiter der Staatsanwaltschaft Trier, Ingo Hromada. Dann stellen sie in Trier den Abschlussbericht zu den Missbrauchsvorwürfen gegen den Priester Edmund Dillinger (1935-2022) aus dem Bistum Trier vor.
Der 2022 gestorbene Priester steht im Verdacht, jahrzehntelang Jugendliche und junge Erwachsene nackt fotografiert und missbraucht zu haben. In seinem Haus wurden nach seinem Tod Fotos und Unterlagen gefunden, die diesen Verdacht nahelegen. Brauer und Hromada untersuchen den Komplex im Auftrag der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Trier (UAK). Ihren Abschlussbericht werden sie bei einer Pressekonferenz in Trier veröffentlichen - bewusst an einem nicht-kirchlichen Ort, einem Raum der Volkshochschule Trier. Die UAK arbeitet unter Vorsitz des Trierer Staats- und Kirchenrechtlers Gerhard Robbers, der von 2014 bis 2016 rheinland-pfälzischer Justizminister war.
Staatsanwaltschaft hat Unterlagen vernichtet
Dillinger war Priester in mehreren Kirchengemeinden im Saarland und in Rheinland-Pfalz. In seinem Besitz wurden nach seinem Tod tausende Fotos gefunden - darunter laut Staatsanwaltschaft Mainz zehn strafrechtlich relevante jugendpornografische Aufnahmen und zwölf Fotos im Grenzbereich zur Jugendpornografie.
Der Abschlussbericht dürfte nun wohl aufführen, wieviele Personen Dillinger tatsächlich sexuell missbraucht hat. Die Sonderermittler betonten im Dezember 2023: "Wir hoffen weiterhin, dass sich Betroffene an uns wenden." Damals hatten Brauer und Hromada 6 Interviews mit Betroffenen und 26 Interviews mit Zeitzeugen geführt. 9 Betroffene seien namentlich bekannt, hieß es. Zudem seien "auch alle jungen Menschen, die D. in sexualbetonten Posen ablichtete, Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden". Deren Zahl lasse sich "nicht seriös abschätzen". Vor einigen Wochen aber klang Brauer dann entschlossener: "Wir haben eine Menge über das bewegte Leben Dillingers herausbekommen", sagte er dem "Trierischen Volksfreund".
Am Dienstag dürfte nun die "Gesamtbewertung" erfolgen, von der die Ermittler im Dezember noch bewusst abgesehen hatten. Scharf kritisierten die Sonderermittler aber bereits die von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken angeordnete und vollzogene Vernichtung zahlreicher Unterlagen – insbesondere der Jahresterminkalender Dillingers aus rund vier Jahrzehnten ab 1967. Die vorhandenen "Restakten" seien für die Aufarbeitung "ohne Erkenntnisgewinn", hieß es. Dies gelte "erst recht" für eine mögliche Beteiligung an einem Ring von Sexualstraftätern.
Taten wohl seit den 1960er Jahren
Bisherige Ergebnisse sprechen nach Einschätzung der Sonderermittler dafür, dass Dillinger seit den 1960er Jahren sexuell übergriffiges Verhalten zeigte. Die ältesten von ihm gemachten Aufnahmen seien bei Schulausflügen, Klassenfahrten, Messdienerfahrten, Ferienlagern, Sportfesten oder Pfadfindertreffen entstanden. Es gebe etwa Bilder spärlich bekleideter männlicher Jugendlicher in Waschräumen von Sportstätten oder Jugendherbergen.
Dillinger, der die Hilfsorganisation CV-Afrika-Hilfe gegründet hatte, war zudem in vielen afrikanischen Ländern unterwegs. Deshalb hatten die Sonderermittler mehrere Organisationen um Mithilfe nach möglichen Betroffenen aus Afrika gebeten - darunter das Hilfswerk missio, das Auswärtige Amt sowie international agierende Organisationen wie SNAP (Survivors Network of those Abused by Priests). Doch: Antworten stünden noch aus, hieß es vor fünf Monaten.
Die UAK im Bistum Trier erklärte im Dezember, die Fakten seien erschreckend und belastend. "Die Taten des Edmund Dillinger erstrecken sich über viele Jahrzehnte und viele Kontinente - oft unter Ausnutzung seiner ehrenamtlichen und vor allem kirchlichen Kontakte", so die UAK. "Vor allem im Bistum, aber auch in anderen Behörden herrschte anscheinend Wegsehen und Versagen."
Bischöfe im Bistum Trier seit den 1960er Jahren waren Matthias Wehr (1951-1966), Bernhard Stein (1967-1980), Hermann Josef Spital (1981-2001), Reinhard Marx (2002-2008) und Stephan Ackermannn (seit 2009). Erst 2012 verbot das Bistum Dillinger, Messen zu feiern und Kontakt zu Jugendlichen zu haben.