Unterwegs sein

Über das Reisen ist schon viel Gutes gesagt worden. "Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt…", so beginnt ein bekanntes deutsches Volkslied, gedichtet von Joseph von Eichendorff. "Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen." Das wusste schon der alte Goethe. Und von Jean Paul stammt der schöne Satz: "Das Leben ist wie ein Buch, und wer nicht reist, liest nur ein wenig davon."
Gleichwohl: Reisen ist immer auch riskant und birgt stets die Möglichkeit, das Ziel aus den Augen zu verlieren und nicht zu erreichen. Da kann man schon einmal in Unwetter geraten und Schiffbruch erleiden wie Paulus vor Malta auf seinem Weg von Cäsarea nach Rom oder über Bord gehen wie Jona auf seiner Flucht vor Gottes Auftrag. Man kann sich verirren wie das eine Schaf, das nicht bei den neunundneunzig anderen der Herde blieb, oder unter die Räuber geraten wie jener Mann, den der "barmherzige Samariter" halb tot von der Straße auflas. Der Euphorie des schwungvollen Aufbruchs können Durststrecken und "Wüstenerfahrungen" folgen.
Das Risiko des Unterwegsseins eingehen
Vielleicht kennen Sie das von den eigenen Aufbrüchen in Ihrem Leben: Situationen, in denen Sie es sogar bereut haben, den "sicheren Boden" des Vergangenen verlassen zu haben, selbst wenn es damals unerträglich war. "Wären wir doch in Ägypten durch die Hand des Herrn gestorben, als wir an den Fleischtöpfen saßen und Brot genug zu essen hatten," so klagen die hungrigen Israeliten gegenüber ihren Führern Mose und Aaron in einer der zahlreichen "Murrgeschichten" des Exodus. Wären wir doch zu Hause geblieben und erst gar nicht losgegangen! Da wussten wir zumindest, woran wir waren...
Mit den Augen der Bibel gesehen, spricht dennoch alles dafür, das Risiko des Unterwegsseins einzugehen. Von Anfang an scheint es zum Selbstverständnis der Christen dazugehört zu haben, sich auf dem Weg zu wissen. Als es Markus als erster unternahm, ein Evangelium zu schreiben, schildert er das Wirken Jesu wie einen einzigen großen Weg von Galiläa nach Jerusalem, und Matthäus und Lukas tun es ihm nach. Und noch bevor die Jünger des Jesus von Nazareth nach Ostern "Christen" genannt wurden, sprach man von ihnen als den "Anhängern des neuen Weges". Niemals wäre das Evangelium, die "Frohe Botschaft", bis an die Grenzen der Erde gelangt, wenn sich nicht immer wieder Menschen auf den Weg gemacht und allen Gefahren getrotzt hätten.
Den Aufbruch wagen!
Die Wege und Reisen unseres Lebens mögen weniger dramatisch und manchmal auch reichlich profan sein. Doch es ist wichtig, den Aufbruch zu wagen, nicht zu kleben an dem, was uns am Leben und Wachsen hindert. Und so wünsche ich uns allen das "Herz des Wanderers", wie Gisela Dreher-Richels einmal ein Gedicht betitelte. Darin findet sich der Aufruf: "Schlaf nicht zu lang in gesicherten Wänden: Haus hab als Zelt."
Wenn die Bibel von Gottes Gegenwart, von seinem "Wohnen" unter den Menschen spricht, findet sich übrigens im Urtext eigentlich das Wort "Zelten". Ich finde diese Vorstellung sehr ermutigend: Wohin auch immer unsere Wege uns führen, Gott ist mit uns unterwegs . Und wo auch immer wir Station machen, da schlägt auch er sein Zelt mitten unter uns auf!
Von Rita Müller-Fieberg