Bonner Moraltheologe zum DBK-Plädoyer für staatliche Fakultäten

Sautermeister: Kirche und Gesellschaft brauchen universitäre Theologie

Veröffentlicht am 06.06.2024 um 13:00 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Was hat die konfessionelle Theologie an einer staatlichen Universität zu suchen? Das ist heute nicht mehr allen klar. Der Bonner Theologe Jochen Sautermeister betont die Bedeutung der Uni für das Fach – und was das für andere Weltanschauungen bedeutet.

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Als die ersten Universitäten entstanden, war eine Universität ohne Theologie nicht denkbar. Heute ist es anders: In einer säkularen Gesellschaft ist es nicht selbstverständlich, dass das Thema Religion konfessionell und aus einer glaubenden Perspektive seinen Platz an staatlichen Universitäten hat. Auch in der Kirche ist das außerhalb des deutschen Sprachraums keine Selbstverständlichkeit – anderswo sind kirchliche Fakultäten, Universitäten und Hochschulen für das Theologiestudium zuständig.

Die Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) hat jetzt ein Plädoyer für die universitäre Theologie veröffentlicht und erklärt damit, warum die Theologie an die staatliche Universität gehört und den Dialog mit anderen Wissenschaften braucht. Im Interview mit katholisch.de erläutert Professor Jochen Sautermeister von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, was das besondere an universitärer Theologie ist, ob es auch humanistische oder marxistische Fakultäten braucht – und warum sich die Glaubenskommission dazu äußert und nicht die von Kardinal Rainer Maria Woelki geleitete Wissenschaftskommission.

Frage: Professor Sautermeister, "Ohne die Theologie würde der Universität etwas Wesentliches fehlen", heißt es in der Stellungnahme der Glaubenskommission. Was würde denn fehlen?

Sautermeister: Die Theologie ist die einzige Wissenschaft an der Universität, die Sinnfragen und Sinnangebote nicht nur als kulturelle Phänomene betrachten, wie es zum Beispiel in der Soziologie, der Psychologie, der Kultur- oder Religionswissenschaft geschieht. Die Theologie thematisiert aus einer existenziell involvierten Perspektive Sinnfragen und Sinnangebote, indem sie auf Glaubenserfahrungen, Glaubensüberlieferungen und Glaubenspraktiken reflektiert. Im Anschluss an den Theologen Edward Schillebeeckx kann man daher auch von Theologie als einer Erfahrungswissenschaft sprechen.

Frage: Aber es gibt doch einige Erfahrungswissenschaften und empirische Wissenschaften an der Universität.

Sautermeister: Das stimmt. Aber als Erfahrungswissenschaft ist die Theologie zugleich eine Glaubenswissenschaft. Darin unterscheidet sie sich auch von der Philosophie. Im Unterschied zu den anderen Wissenschaften hat zwar auch die Philosophie nicht nur einzelne Ausschnitte bzw. Bereiche der Wirklichkeit im Blick. Allerdings thematisiert die Theologie das Lebensganze aus einem Zusammenspiel von Glaube und Wissenschaft. Der Theologe Max Seckler hat das einmal so formuliert, dass sowohl Vernunft als auch Offenbarung Erkenntnisquellen sind und sich beide letztlich nicht widersprechen können. Damit gewinnt die Theologie eine besondere Reflexions- und Sprachfähigkeit hinsichtlich existentieller Fragen wie Tod, Sterben, Krankheit, Schuld, Scheitern, Hoffnung, Verantwortung oder Sehnsucht nach einem erfüllten Leben und Erlösung. So lässt sich die Theologie als eine wissenschaftliche Anwältin für den Menschen in seiner Freiheit und Würde verstehen. Der Mensch lässt sich nicht auf Einzelaspekte reduzieren; Karl Rahner würde sagen: Der Mensch ist letztlich ein Geheimnis – wie Gott.

Zur Person

Jochen Sautermeister ist seit 2016 Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Direktor des Moraltheologischen Seminars an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Von 2019 bis 2023 war er Dekan der Fakultät, außerdem ist er Berater der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz.

Frage: Solche religiös fundierten Zugänge sind in einer säkularen und pluralen Gesellschaft alles andere als selbstverständlich. Auch andere Weltanschauungen könnten Ansprüche wie die Religionsgemeinschaften erheben. Warum haben die Theologien ihren Platz an Universitäten, aber nicht eigene Institute zum Beispiel für eine humanistische Weltanschauung?

Sautermeister: Der deutsche Wissenschaftsrat hat sich 2010 in seinen Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften nicht nur auf christliche Theologien beschränkt. Darin ist er auch explizit die islamische Theologie eingegangen und hat die Gründung von Instituten für Islamische Theologie gefordert. Neben Katholisch-Theologischen und Evangelisch-Theologischen Fakultäten gibt es universitäre Einrichtungen für Orthodoxe Theologie, Alt-Katholische Theologie und Jüdische Theologie. Religionssoziologisch betrachtet leben wir hier in Deutschland in einer Ausnahmesituation. denn in vielen anderen Regionen der Welt spielt Religion in Politik und Gesellschaft eine viel größere Rolle. Allerdings haben Religionen auch bei uns immer noch einen nicht unerheblichen gesellschaftlichen Einfluss, etwa durch den grundgesetzlich garantierten Religionsunterricht oder durch das soziale und pastorale Engagement der Kirchen. Theologie an der Universität sichert die wissenschaftlichen Standards und die Qualität in der Ausbildung, wenn die Kirchen ihre Amtsträger wie auch Theologinnen und Theologen in einem pluralen universitären Kontext ausbilden. Da Religion nicht nur produktiv und konstruktiv, sondern leider auch destruktiv wirken kann, hat auch die Gesellschaft ein Interesse daran, dass die Theologie an staatlichen Universitäten vertreten ist. Die Stellungnahme der Glaubenskommission bringt klar zum Ausdruck, dass ebenso die Kirche ein Interesse daran hat.

Frage: Welche Kriterien legt man dafür an, wer an der Universität strukturell präsent sein darf? In Bonn gibt es für die 15.000 alt-katholischen Gläubigen in Deutschland ein theologisches Institut, die humanistischen Verbände vertreten mehr Nicht-Gläubige und sind nicht präsent.

Sautermeister: Hier spielen auch geschichtliche Entwicklungen eine Rolle. An der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn wurden viele Professoren alt-katholisch, weil sie das das Unfehlbarkeitsdogma, das 1870 auf dem Ersten Vatikanischen Konzil definiert wurde, ablehnten. In Bonn ist der Bischofssitz der Alt-Katholischen Kirche Deutschlands. So kam es zur Präsenz der Alt-Katholischen Theologie an der Universität Bonn. Mit zunehmender Bedeutung des Islam in unserer Gesellschaft und dem Angebot des islamischen Religionsunterrichts war es sinnvoll, auch Institute für islamische Theologie einzurichten. Man sieht, dass auch soziale und kulturelle Faktoren eine Rolle spielen. Warum sollte das nicht auch für andere Religionen geschehen? Wenn etwa der Buddhismus eine viel größere Bedeutung in Deutschland erlangen würde: Warum nicht eine Professur oder ein Institut für buddhistische Theologie?

Frage: Und die Weltanschauungen?

Sautermeister: In der Tat, grundsätzlich gibt es keine weltanschaulich neutralen Bereiche. Das bedeutet aber nicht, dass sie aus einer Glaubenstradition heraus die Gottesfrage thematisieren wie eben die Theologie. Wenn an einer philosophischen Fakultät etwa ein Professor oder eine Professorin ausdrücklich und transparent humanistische Perspektiven vertreten oder eine marxistisch-weltanschauliche Philosophie betreiben würde, wäre das aufgrund der Wissenschaftsfreiheit möglich. Allerdings stellt sich die Frage nach dem gesellschaftlichen und wissenschaftlichem Interesse, ob es eine Professur geben soll, die sich mit einer bestimmten Weltanschauung befasst, und zwar nicht einfach aus einer rein kulturwissenschaftlichen Perspektive, sondern aus der Perspektive innerer Überzeugung.

Frage: In der Stellungnahme wird diese Verortung der Theologie an der Universität stark gemacht. Klare Forderungen stehen aber nicht darin. Worauf zielt die Stellungnahme ab? Die Theologie nach außen gegenüber einer säkularen Wissenschaft und Gesellschaft plausibel machen? Oder will die Stellungnahme nach innen die universitäre Theologie gegen eine vermeintlich kirchlichere, lehramtstreuere Theologie an kirchlichen Einrichtungen verteidigen?

Sautermeister: Die theologische Reflexion spielt eine maßgebliche Rolle für die Reflexion über den Glauben ganz grundsätzlich und konkret in unserer Gesellschaft: Sie hilft uns als Kirche dabei, die Umbrüche, die wir erleben, die Veränderungen in der Gesellschaft, den Verlust von religiösen Gewissheiten und Plausibilitäten, die Herausforderungen, wie in der Spätmoderne über den Menschen und Gott und Sinn gedacht wird, zu reflektieren. Meines Erachtens besteht die Zielsetzung des Dokuments darin zu zeigen, dass die Theologie an den Universitäten nicht nur für die Kirchen, sondern auch für die Gesellschaft relevant und wichtig ist. Angesichts der soziologischen Veränderungen und der geringer werdenden Zahl an Gläubigen, aber auch mit Blick auf manche Vorurteile gegenüber der Theologie ist das eine wichtige Aufgabe. Das Papier hat damit auch eine kirchliche Stoßrichtung gegenüber denjenigen, die grundsätzlich gegenüber universitärer Theologie Vorbehalte haben, etwa weil ihnen die Wissenschaftsfreiheit und das radikale Ernstnehmen des fides quaerens intellectum, also des nach Verstehen suchenden Glaubens, ein Dorn im Auge ist.

Ein Schild zeigt den Weg zur katholisch-theologischen Fakultät an der Uni Bonn
Bild: ©Harald Oppitz/KNA (Archivbild)

Ein Schild zeigt den Weg zur katholisch-theologischen Fakultät an der Uni Bonn.

Frage: Es fällt aber doch auf, dass die Stellungnahme aus der Glaubenskommission kommt, die von Bischof Franz-Josef Overbeck geleitet wird, und nicht aus der Wissenschaftskommission, der Kardinal Rainer Maria Woelki vorsteht. Ist die Stellungnahme dann nicht vielleicht doch eine Antwort auf den Konflikt um die von Kardinal Woelki nach Köln geholte kirchliche Hochschule und die Frage, ob Priester, Theologinnen und Theologen an der Kölner Hochschule (KHKT) oder an der Bonner Fakultät ausgebildet werden sollen?

Sautermeister: Es lässt sich nicht leugnen, dass es eine kirchen- und wissenschaftspolitische Kontroverse um die KHKT gibt. Diese Stellungnahme kommt aber dezidiert aus der Glaubenskommission. Die Frage nach der Bedeutung und Stellung der Theologie ist nicht nur eine Frage des Universitätssystems oder des Wissenschaftsbetriebs, wofür die Wissenschaftskommission primär zuständig wäre. Vielmehr ist die Theologie für unseren Glauben von elementarer Bedeutung. Das zeigt sich auch darin, dass in allen Kommissionen der Bischofskonferenz Theologinnen und Theologen mit ihrer spezifischen Expertise beratend beteiligt sind.

Frage: Nicht nur die Diskussion um die KHKT ist kontrovers. Dazu kommt etwa der Streit um die Priesterquote an der Regensburger Fakultät und Unmut über das Nihil-obstat-Verfahren zur Erteilung der Lehrerlaubnis. Außerdem sinkt die Zahl der Theologiestudierenden konstant. Warum steht davon nichts im Papier?

Sautermeister: Genau aus dem gerade genannten Grund: Das sind konkrete wissenschaftspolitische und wissenschaftsorganisatorische Fragen, für die die Wissenschaftskommission zuständig ist. Die Glaubenskommission geht das Thema dagegen grundsätzlich an. Natürlich stellt die Abnahme bei den Studierendenzahlen eine Herausforderung dar, welche die Anfrage verschärft, warum man Katholisch-Theologische Fakultäten an den Universitäten benötigt oder ob deren Anzahl nicht reduziert werden sollte. Allerdings möchte ich hier zu bedenken geben: Würde man nur auf Studierendenzahlen schauen, geriete die Bedeutung der Theologie für Universität, andere Wissenschaften und Gesellschaft aus dem Blick – aber eben auch deren Relevanz für die Kirche. Daher steht es der Kirche gut an, bei uns die Theologie an staatlichen Universitäten nicht kleinzureden oder grundsätzlich in Frage zu stellen. Denn alle theologischen Fächer und damit die Reflexion über den Glauben überhaupt profitieren davon, dass sie im interdisziplinären Dialog stehen und an den Qualitäts- und Rationalitätsstandards der anderen Disziplinen gemessen werden können. Das muss im Interesse der Kirche sein, wenn sie verantwortet in der Kirche wirken und den Glauben in der Welt von heute erschließen möchte.

Frage: Wenn Sie die universitäre Theologie so stark machen, stellt sich die Frage, was das für die nicht-universitäre Theologie heißt. Studiert, lehrt und erforscht man eine defizitäre Theologie, wenn man das nicht zum Beispiel an der Bonner Fakultät, sondern an kirchlichen Hochschulen etwa in Sankt Georgen, Köln oder Vallendar tut?

Sautermeister: Von defizitärer Theologie würde ich keineswegs sprechen. Das würde diesen Einrichtungen nicht gerecht. Angesichts der Stärke der Katholisch-Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten ließe sich jedoch fragen, weshalb Neugründungen nötig sind und was damit bezweckt werden soll. Wir sind gut beraten, wenn wir keine unnötigen Schwächungen der Fakultäten vornehmen. Aber, wie gesagt, die Stellungnahme geht die Frage grundsätzlich und nicht wissenschaftspolitisch an.

„Als "kulturelles Laboratorium" soll sich die Theologie fundamental den Fragen der Gegenwart widmen.“

—  Zitat: Jochen Sautermeister

Frage: Das schon 2017 von Papst Franziskus in Kraft gesetzte neue kirchliche Hochschulrecht muss noch auf die Situation in Deutschland angepasst werden. Dazu ist gerade ein Akkomodationsdekret in Arbeit. Wenn wir die kleinteiligen Fragen der Wissenschaftskommission überlassen: Was erwarten Sie grundsätzlich vom Vatikan an Verständnis für die besondere Situation hierzulande?

Sautermeister: Vor dem weltkirchlichen Hintergrund sind Katholisch-Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten etwas Besonderes. Das kann mitunter dazu führen, dass es hier Missverständnisse hinsichtlich der Bedeutung gibt. Darum ist es wichtig, dass Rom die Qualität und Standards des deutschen Wissenschaftssystems anerkennt und im Sinne einer stärkeren Dezentralisierung und einer Kontextsensibilität die Katholisch-Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten stärkt. Konkret: Das "Nihil obstat" für das Dekansamt zu verlangen, wäre an staatlichen Universitäten weder praktikabel noch mit der hochschulrechtlich garantierten Freiheit der universitären Selbstverwaltung der Universitäten zu vereinbaren – ganz abgesehen davon, dass jeder einzelne Theologieprofessor, jede einzelne Theologieprofessorin bereits ein "Nihil obstat" hat. Oder: Warum sollte die Kirche bei der Akkreditierung, also der Zulassung von nicht-kanonischen Studiengängen an Katholisch-Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten, überhaupt ein Mitspracherecht haben? Denn nicht-kanonische Studiengänge führen ja gerade nicht wie das Magister- und Lehramtsstudium oder wie theologische Doktorats- und Lizentiatspromotionen zu kirchlichen Berufen. Sie sind vielmehr interdisziplinär oder interreligiös ausgerichtet. Mit dem Motu proprio "Ad theologiam promovendam" hat Papst Franziskus vor wenigen Monaten die Theologie ja aufgefordert, mutig die Herausforderungen der Gegenwart aufzugreifen und stärker inter- und transdisziplinär zu arbeiten: Wir sollen "die Gegenwart prophetisch deuten und neue Wege für die Zukunft" suchen. Als "kulturelles Laboratorium", wie es in der Apostolischen Konstitution "Veritatis gaudium" von Papst Franziskus heißt, soll sich die Theologie fundamental den Fragen der Gegenwart widmen. Die Universitäten bieten hierfür eine ideale Umgebung.

Von Felix Neumann