"Ich habe einen Nerv getroffen"
Frage: Bischof Feige, Sie haben die Ernennung von Bischof Heiner Koch zum Erzbischof von Berlin nach nur zwei Jahren in Dresden als "fragwürdig" bezeichnet. An wen richtet sich Ihre Kritik: das Domkapitel in Berlin oder die Bischofskongregation im fernen Rom?
Feige: Das kann ich aufgrund des formalen Vorgangs zur Bischofsfindung nicht eindeutig beantworten. Am Anfang werden durch das Domkapitel und durch die anderen Bischöfe im ehemals preußischen Gebiet Vorschläge eingereicht. Und dann kommt zum Schluss eine Dreierliste aus Rom kommt, aus der das Domkapitel wählt. Was aber dazwischen passiert, ist mir nicht bekannt: Wer legt entscheidende Kandidaten fest? Wie kommt die Dreierliste zustande? Ich weiß also nicht genau, wer letztendlich die Verantwortung trägt.
Frage: Bereits vor einem Jahr haben Sie die lange Sedisvakanz im Bistum Erfurt und die Rückkehr von Kardinal Rainer Maria Woelki von Berlin nach Köln kritisiert. Fühlen sich die ostdeutschen Bistümer generell benachteiligt?
Feige: Immerhin sind es nunmehr drei von fünf ostdeutschen Bistümern, die in der jüngsten Zeit von solchen Wechseln betroffen sind. Hinzu kommt ein viertes Bistum, das zwei Jahre auf einen neuen Bischof gewartet hat! Das sehe ich als bedenklich an. Ich weiß nicht, ob wir generell benachteiligt werden und aus welchen Gründen sich solche Entscheidungen ergeben. Es ist aber schon auffällig.
Frage: Sie wählten mit Bezeichnungen wie "Verschiebebahnhof" und "Praktikumsstellen" scharfe Worte der Kritik. Ist die Lage so angespannt im Osten?
Feige: Ich habe für meine Worte viel Zustimmung bekommen und das nicht nur aus dem Osten. Das waren Stimmen, die bis hin zu Wut und Zorn reichten. Manche meinten auch, dass meine Formulierungen noch zu harmlos seien, alternativ sprach jemand von Durchlauferhitzern. Solche Begriffe zeigen deutlich, wie man sich fühlt. Ich meine, dass ich da tatsächlich einen Nerv getroffen habe und der von mir formulierte Eindruck nicht nur meine einzelne Meinung ist. Atmosphärisch und emotional ist bei einer ganzen Reihe von Gläubigen eine große Betroffenheit da.
Linktipp: Wunsch nach Kontinuität
Das Bistum Dresden-Meißen ist nicht die erste ostdeutsche Diözese, die ihren Bischof nach kurzer Zeit wieder verliert. Dabei sind die Aufgaben gerade angesichts der ostdeutschen Diaspora-Situation immens.Frage: Wie ist die Situation der katholischen Kirche in den ostdeutschen Diözesen?
Feige: Die Lage ist schwierig. Nur etwa 800.000 der 24,4 Millionen Katholiken Deutschlands leben ja im östlichen Teil. In unserem Bistum sind wir eine kleine Minderheit von etwa drei Prozent. Ungefähr 80 Prozent der Bevölkerung gehören keiner Konfession oder Religion an. Dazu gibt es die demografischen Probleme der Region wie die Überalterung, die auf dem Land enorm voranschreitet. Die Bistümer haben relativ wenige Mitarbeiter, auf deren Schultern viele Aufgaben verteilt werden. Außerdem sind unsere finanziellen Möglichkeiten sehr begrenzt. Darum spielt auch der beziehungsweise die Einzelne eine viel größere Rolle. Wir sind stärker persönlich aufeinander verwiesen. Und da erschüttert es sicher mehr als anderswo, wenn ein Bischof, ein Hoffnungsträger, nach kurzer Zeit ein Bistum wieder verlässt oder versetzt wird.
Frage: Wenn Heiner Koch ein Hoffnungsträger für das Bistum Dresden-Meißen war, hätten Sie sich also für Berlin einen anderen Erzbischof gewünscht?
Feige: Ich habe Vorschläge gemacht, aber die verrate ich nicht.
Frage: Sie schrieben, diese schnellen Bischofswechsel trügen "noch zur weiteren Destabilisierung der kirchlichen Verhältnisse bei". Was heißt das?
Feige: Nun, die Gestalt von Kirche wandelt sich zum Teil dramatisch, und wir suchen intensiv nach neuen Möglichkeiten, auch weiter lebensfähig und lebendig zu bleiben. Reformprozesse sind überall in Gang gekommen. Die werden durch solche Vorgänge wieder gehemmt. Zudem beeinträchtigt das auch die Zusammenarbeit über die Bistumsgrenzen hinaus. Wir haben zwar keine eigene Bischofskonferenz in Ostdeutschland, aber wir besprechen manches und sind gemeinsame Träger einiger Einrichtungen wie des Priesterseminars in Erfurt. Darauf wirkt sich ein häufiger Bischofswechsel nicht positiv aus.
Frage: Das Bischofsamt ist bereits die Höchstform des Weiheamtes. Was meinen Sie also mit der Aussage, die Bistümer im Osten seien anscheinend "Praktikumsstellen zur Qualifizierung für höhere Ämter"?
Feige: Ekklesiologisch richtig verstanden sind Bischöfe der Weihe nach gleich. Manche denken in der Kirche aber auch recht weltlich und unterscheiden zwischen besonders wichtigen und unwichtigen Bistümern. Wer so herangeht, fragt dann eben auch, was denn dabei sei, wenn jemand seine Erfahrungen macht und dann in ein bedeutenderes Bistum aufrückt. Darum habe ich "höhere Ämter" auch in Anführungsstriche gesetzt.
Frage: Befürchten Sie, dass diese Versetzungspraxis zur Regel werden könnte?
Feige: Ich hoffe nicht, da dies dem Ansehen des Bischofsamtes und dem Vertrauen in seine Inhaber schadet. Bisher ist das - jedenfalls in den anderen Teilen Deutschlands – auch nicht so häufig vorgekommen.
Frage: Was wünschen und erhoffen Sie sich für die Zukunft der Kirche im Osten Deutschlands?
Feige: Zum einen wünsche ich mir eine Beruhigung im Bischofskarussell und dann ein größeres Verständnis für die Eigenart unserer Situation. Wenn manchmal von "der Kirche in Deutschland" gesprochen wird, wird nicht beachtet, dass im Osten vieles anders ist. Manchen Erwartungen, die an alle Bistümer gestellt werden, können wir gar nicht gerecht werden, etwa bei aufwändigen deutschlandweiten Studien oder zusätzlichen Erfordernissen im Personalbereich. Und dann wünschte ich mir, dass wir in unserer außergewöhnlichen Diasporasituation nicht bedauert werden. Wir verstehen uns nicht als Unglücksfall oder Missgeschick der Kirchengeschichte. Wir sind auch keine Fehlform des Katholischen, sondern ein möglicher Normalfall von Kirche. Daneben wünschte ich mir aber auch weiter manche Unterstützung und geschwisterliche Solidarität.
Frage: Mit der Eröffnung der neuen Propsteikirche in Leipzig und den Impulsen der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral in Erfurt kann man doch auch sagen, dass es viel Aufbruch in der Diaspora-Kirche gibt...
Feige: Es gibt in der Tat erstaunliche Phänomene. Im Bistum Magdeburg zum Beispiel nehmen in jüngster Zeit jährlich bis zu 500 Jugendliche an unserer Feier zur Lebenswende in Halle (Saale) teil, also fast so viele wie an der weltlichen Jugendweihe. Auch manche Erwachsene lassen sich taufen. Und das Gespür, Kirche für andere zu sein, wächst. So sind wir unter anderem bei der Flüchtlingsproblematik sehr engagiert. Es passiert schon einiges hier, aber ich würde die Situation nicht allzu schönreden und sagen, dass im Osten ein gewaltiger Aufbruch stattfindet: Das glaube ich nicht. Die Mitgliederzahlen werden sicher noch zurückgehen und vieles wird sich weiter verändern, aber die Kirche lebt und kann sich durchaus als "schöpferische Minderheit" verstehen.