Viele Frauen fänden Gespräche hilfreich und entlastend

Caritas-Präsidentin: Beratungspflicht vor Abtreibungen wichtig

Veröffentlicht am 10.08.2024 um 00:01 Uhr – Von Birgit Wilke (KNA) – Lesedauer: 

Berlin ‐ Die Zukunft der verpflichtenden Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch ist ungewiss. Im Interview spricht sich Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa für die Gespräche aus und denkt dabei vor allem an besonders belastete Frauen.

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Mehr Beratungsbedarf durch neue Gesetze, keine Stärkung der Prävention und eine unnötige Debatte über eine Abschaffung der Pflichtberatung für Schwangere in Konfliktsituationen: So lautet ein Zwischenfazit von Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa zur Politik der Ampel. Im Interview zeigt sie sich aber auch erleichtert darüber, dass geplante Einsparungen nicht so hart sind wie befürchtet.

Frage: Frau Welskop-Deffaa, in ihrem Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP vorgenommen, Prävention auf allen möglichen Feldern zu stärken. Merken Sie das in Ihren Beratungsstellen?

Welskop-Deffaa: Eine wirkliche Stärkung ist bislang nicht zu spüren. Wir sind allerdings froh, dass trotz der Einsparungen, die für den Bundeshaushalt 2025 diskutiert werden, präventiv ausgerichtete Angebote wie die Migrationsberatung und die sogenannten Frühen Hilfen für junge Familien einigermaßen ungeschmälert abgesichert sind. Kritisch sehen wir die Kürzungen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Es fehlen Mittel im Eingliederungstitel für berufliche Weiterbildung und andere Maßnahmen, die Handicaps präventiv ausgleichen. Es fehlt auch an Sprachkursen für Migranten und Migrantinnen. Unsere Unterstützungsangebote werden in Zeiten eng getakteter Krisen immer dringlicher, das hat uns nicht zuletzt Corona vor Augen geführt. Dazu kommen Reformen der Ampel, die neue Beratungsangebote dringend nötig machen ...

Frage: Können Sie ein Beispiel nennen?

Welskop-Deffaa: Die Teillegalisierung von Cannabis. Diese Reform ist gründlich vermurkst worden. Hier fehlt es nicht zuletzt am Ausbau von Prävention und Beratung. Da ist bislang überhaupt nichts passiert. Es ist problematisch, dass Jugendliche erleben, dass Cannabis in ihrem Umfeld von Erwachsenen legal konsumiert wird, ohne dass das fortbestehende Verbot für Jugendliche ausreichend erklärt wird. Da muss dringend etwas geschehen, digitale Beratung allein reicht nicht – gerade im Umfeld einer insgesamt sehr kritischen Entwicklung des Drogenkonsums.

Frage: Wo sehen Sie weiteren Handlungsbedarf?

Welskop-Deffaa: Wir sehen mit Sorge, dass im Zuge der Debatte über eine Reform der Abtreibungsregelung wieder über Sinn und Zweck der Pflichtberatung im Schwangerschaftskonflikt debattiert wird.

Modelle von Föten
Bild: ©Fotolia.com/sinhyu

Die Regelungen zu Schwangerschaftsabbrüchen werden weiter diskutiert.

Frage: Die Caritas ist aber in der Konfliktberatung selbst nicht mehr aktiv, seit sie wie andere katholische Beratungsstellen den für eine Abtreibung notwendigen Schein nicht mehr ausstellen darf...

Welskop-Deffaa: Das ist richtig, es geht uns nicht um die finanzielle Absicherung eigener Angebote, wenn wir für den Erhalt der Pflichtberatung werben. Es geht uns darum, dass Frauen, die feststellen, dass sie ungewollt schwanger sind, ihre Entscheidung ohne Druck und gut begleitet treffen können.  Die Beratungspflicht erfüllt eine wichtige Funktion, um den Zugang zur Beratung in einer emotionalen Belastungssituation leicht zu machen. Eine Umfrage des Vereins Donum Vitae in Bayern, der Träger von Konfliktberatungsstellen ist, macht das sehr deutlich. Über 90 Prozent der beratenen Frauen haben die Beratung als sehr hilfreich und als entlastend empfunden, 40 Prozent von ihnen sagen gleichzeitig, dass sie die Beratung von sich aus nicht aufgesucht hätten. Bei einem Wegfall der Pflichtberatung würden aller Wahrscheinlichkeit nach zuallererst die Frauen vom Beratungsangebot nicht erreicht, die besonders belastet sind.

Frage: Nach der Veröffentlichung von Empfehlungen einer von der Bundesregierung eingesetzten Kommission, die für eine Liberalisierung der Abtreibung und für ein Recht auf Beratung statt einer Pflicht plädiert, hat sich vor einigen Wochen auch die SPD-Bundestagsfraktion in einem Positionspapier für den Wegfall der Pflichtberatung ausgesprochen.

Welskop-Deffaa: Aus unseren Kontakten zu den Beratungsstellen wissen wir, wie häufig ungewollt Schwangere in einer gewaltbelasteten Beziehung leben oder ihre Ehe kurz vorm Scheitern steht. Wir kennen die Fälle, wo sich Frauen durch Partner oder Angehörige zur Abtreibung gedrängt sehen. Diese Frauen sind dringend auf ein Gegenüber angewiesen, das ihnen zuhört und zuspricht. Ich fürchte, viele Frauen, die die Debatten anführen und dabei sehr selbstbewusst auftreten, verkennen diese Realität. Es fällt ihnen schwer anzuerkennen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Frau auch gemeinsam mit dem Lebensrecht des Kindes gestärkt werden kann.

Frage: Kritisiert wird auch, dass Frauen bei der derzeitigen Regelung die Kosten für eine Abtreibung in der Regel selbst tragen müssen. Sie liegen auch für unter 18-Jährige in Deutschland zwischen 350 und 700 Euro. Bei Frauen mit geringem Einkommen gibt es die Möglichkeit, einen Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse einzureichen. Was bedeutet das für die Frauen?

Welskop-Deffaa: Nach meinem Dafürhalten kann eine Reform des Schwangerschaftkonfliktrechts hier ansetzen, ohne das System insgesamt in Frage zu stellen. Eine fehlende oder kompliziert zu beantragende Kostenübernahme stellt eine unnötige Belastung dar. In allen Fällen, in denen der Abbruch nicht strafbewehrt ist, sollten die Kosten erstattet werden können. Für uns als Caritas ist entscheidend: Wir brauchen eine Kultur der frühen Hilfen, damit sich eine junge Familie nicht überfordert fühlt. Hier sind wir als Caritas umfassend aktiv. Das reicht von den Familienhebammen über die Hilfen zur Erziehung bis zu Babylotsenangeboten in den geburtshilflichen Kliniken. Deren gesetzliche Absicherung ist eines unserer vordringlichen politischen Anliegen im nächsten halben Jahr.

Von Birgit Wilke (KNA)