Influencer Legun: Jesu Nächstenliebe ist meine große Inspiration
Als "Humanvoll" betreibt Patrick Legun seit knapp zwei Jahren Kanäle bei Instagram, TikTok und YouTube. Dort lädt der angehende Religionslehrer aus Aachen regelmäßig Videos hoch, in denen er fremden Menschen in Form einer freundlichen Geste oder einer kleinen Spende Gutes tut. Im Interview mit katholisch.de spricht Legun über seine Motivation für sein Social-Media-Engagement, seinen christlichen Glauben und sein bislang erfolgreichstes Video. Außerdem nimmt er zu Kritik an seinen Videos Stellung.
Frage: Herr Legun, seit knapp zwei Jahren posten Sie in den sozialen Netzwerken regelmäßig kurze Videos, in denen Sie fremden Menschen in Form einer freundlichen Geste oder einer kleinen Spende Gutes tun. Warum machen Sie das?
Legun: Ich möchte andere Menschen inspirieren und dazu animieren, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und mehr auf ihre Mitmenschen zu achten. Wo ist vielleicht ein Mensch, der Unterstützung braucht? Kann ich einer Person helfen, indem ich ihr Aufmerksamkeit und ein bisschen Zeit schenke oder ihr etwas zu essen kaufe? Ich bin davon überzeugt: Wenn wir alle mehr aufeinander achtgeben und Menschen in Not helfen, geht es uns allen und damit auch unserer Gesellschaft am Ende besser. Dafür will ich mit meinen Videos werben.
Frage: Wie kam es denn zu Ihrem Engagement? Gab es dafür einen konkreten Auslöser?
Legun: Ja, den gab es. Im Herbst 2022 bin ich beim Fußballspielen umgeknickt und habe mir mehrere Bänder gerissen und das Fußgelenk angebrochen. Danach konnte ich mich rund zwei Monate lang kaum bewegen und lag fast nur im Bett. Das war eine schwere Zeit für mich, in der ich mich sehr einsam gefühlt habe und depressiv geworden bin. Um wieder aus dieser Situation herauszukommen und meine Einsamkeit zu überwinden, habe ich angefangen, mit fremden Menschen zu chatten. Dabei habe ich kleine Schilder in die Kamera gehalten, auf denen ich die Chatpartner gefragt habe, wie es ihnen geht. Daraus sind viele emotionale Gespräche entstanden, die mir sehr gutgetan haben.
Frage: Und wie ging es dann weiter?
Legun: Als ich endlich wieder laufen konnte, bin ich losgegangen und habe obdachlose Menschen in der Aachener Innenstadt besucht und mit ihnen ebenfalls das Gespräch gesucht. Denn ich dachte mir, dass diese Menschen ja auch einsam sind und sich sicher über einen Besuch freuen. Kurz vor Weihnachten habe ich dann im Bekanntenkreis Spenden gesammelt und ein paar Dinge eingekauft und alles in Form von Weihnachtsgeschenken an die Obdachlosen verteilt; bei einer dieser Aktionen hat meine Mutter mich mit dem Handy gefilmt. Dieses Video habe ich am 23. Dezember auf meinem Social-Media-Account veröffentlicht, und einen Tag später hatte es bereits mehr als eine Million Aufrufe und ich habe unzählige positive Kommentare bekommen. Damit war im Prinzip die Idee für meinen Account "Humanvoll" und mein Social-Media-Engagement geboren, weil ich gemerkt habe, dass mir der Einsatz für andere Menschen Spaß macht und ich damit Positives bewirken kann.
„Jesus ist für mich der Inbegriff von Menschlichkeit. Seine Nächstenliebe ist für mich als Christ eine große Inspiration.“
Frage: Seither sind knapp 100 Videos entstanden, in denen Sie Essen für Obdachlose kaufen, fremden Menschen den Einkauf bezahlen oder auch mal mit Luftpolsterfolie durch die Stadt laufen, die Menschen zum Stressabbau drücken können. Welches Video war bisher Ihr erfolgreichstes?
Legun: Das war ein Video, bei dem ich kurz vor Feierabend in eine Bäckerei gegangen bin und gesagt habe, dass ich alles kaufen möchte, was sonst weggeschmissen werden würde, um es an Obdachlose zu verteilen. Dieses Video wurde bis heute allein bei Instagram mehr als 17 Millionen Mal aufgerufen.
Frage: Welche Reaktionen bekommen Sie von den Menschen, denen Sie bei Ihren Aktionen begegnen und denen Sie in der Regel ja etwas Gutes tun wollen?
Legun: Viele sind erstmal skeptisch oder sogar ablehnend, weil sie gar nicht damit rechnen, dass ihnen ein Fremder im Alltag einfach so eine Freude machen will. "In dieser Welt ist nichts umsonst" – dieser Satz ist bei vielen Menschen offensichtlich tief im Inneren verankert. Ich finde das sehr schade, denn das sagt ja durchaus etwas über unsere Gesellschaft aus, die eben immer noch viel zu oft von Egoismus und Ellenbogenmentalität geprägt ist. Aber: Wenn die Menschen erstmal realisieren, dass ich ihnen wirklich etwas Gutes tun möchte, reagieren sie meist sehr herzlich und dankbar.
Frage: Sie haben es schon gesagt: Sie wollen sich mit Ihren Videos für ein stärkeres Miteinander einsetzen und Menschen in Not helfen. Einer, der diese Haltung radikal vorgelebt hat, war Jesus Christus. Ist er ein Vorbild für Sie?
Legun: Ja, sehr. Jesus ist für mich der Inbegriff von Menschlichkeit. Seine Nächstenliebe ist für mich als Christ eine große Inspiration.
Frage: Spielt Ihr Glaube auch eine Rolle für Ihre Social-Media-Aktivitäten?
Legun: Der Glaube ist ein wichtiger Teil meiner Identität und die kommt natürlich auch in meinen Videos zum Ausdruck. Gleichzeitig möchte ich aber niemandem meinen Glauben aufdrängen, zumal ich unter meinen Followern auch viele Muslime und sicher auch viele Atheisten habe. Mir geht es um die gute Tat – und nicht um Religionspolitik.
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Frage: Im Hauptberuf studieren Sie derzeit noch Technik und Religion auf Lehramt und sind bereits als Vertretungslehrer an einer Hauptschule in Aachen tätig. Wollen Sie denn weiterhin Lehrer werden oder könnten Sie sich auch vorstellen, dauerhaft als Influencer für Nächstenliebe zu arbeiten?
Legun: Man soll niemals nie sagen, aber zurzeit liebe ich die Arbeit in der Schule sehr. Zumal meine Videos mir im Schulalltag durchaus helfen: Viele meiner Schüler kennen meine "Humanvoll"-Accounts und finden das toll, was ich dort mache. Die Videos verleihen mir bei ihnen durchaus eine gewisse Glaubwürdigkeit – gerade dann, wenn ich über Menschlichkeit und andere wichtige Werte spreche.
Frage: Viele Influencer verdienen mit ihren Videos in den sozialen Netzwerken viel Geld. Wie ist das bei Ihnen? In der "Aachener Zeitung" habe ich gelesen, dass Sie für einzelne Videos schon mehr als 500 Euro bekommen haben. Könnten Sie von Ihren Social-Media-Einnahmen bereits leben?
Legun: Nein, definitiv nicht. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich mit meiner Arbeit als Vertretungslehrer. Das Geld, das ich für meine Videos und mein neues Buch bekomme, investiere ich komplett in meine Social-Media-Aktionen.
Frage: Videos, wie Sie sie machen, werden als "Random Acts of Kindness" bezeichnet, also als zufällige Akte der Freundlichkeit. Videos dieser Art sind vor ein einigen Jahren im größeren Stil in den sozialen Netzwerken aufgekommen. Das Muster ist dabei immer dasselbe: Eine Person überrascht eine andere Person mit einer netten Geste und filmt sich dabei. So erfolgreich diese Videos sind, so sehr stoßen sie teilweise auch auf Kritik, weil privilegierte Menschen sich darin als heldenhafte Gönner inszenieren und teilweise viel Geld mit den Videos verdienen. Der Akt der Freundlichkeit verkommt damit zu einem Mittel der Selbstvermarktung und der Bereicherung, so die Kritik. Was sagen Sie dazu?
Legun: Manchen Influencern kann man diesen Vorwurf sicher machen, mit Blick auf meine Videos würde ich diese Kritik aber nicht gelten lassen. In vielen meiner Videos bin ich selbst gar nicht zu sehen, sondern nur mit meiner Stimme aus dem Off zu hören. Damit will ich deutlich machen, dass es nicht um mich geht, sondern die gute Tat an sich im Vordergrund stehen sollen – als Motivation für andere Menschen, vielleicht auf ähnlich Weise Gutes zu tun.
„Ich bin mir sehr bewusst, dass ich ein privilegiertes Leben führen darf und das Schicksal und die Sorgen eines obdachlosen Menschen nicht ernsthaft nachvollziehen kann, nur weil ich mich entsprechend verkleide.“
Frage: Trotzdem profitieren Sie natürlich von Ihrem Engagement, indem Sie zum Beispiel viele positive Kommentare bekommen und – wenn auch noch in bescheidenen Ausmaßen – Geld mit Ihren Videos verdienen. Sie könnten ja auch Gutes tun, ohne sich dabei filmen zu lassen ...
Legun: Natürlich habe ich mir am Anfang Gedanken gemacht, ob ich mit den Videos das Richtige tue. Zumal in vielen Köpfen ja immer noch der Spruch "Tue Gutes, aber rede nicht drüber" präsent ist. Ich glaube aber, dass diese Art von Videos genau zu mir passt und ich damit wirklich etwas Positives bewirken kann. Ich denke auch nicht, dass mir mein Engagement schon zu Kopf gestiegen ist; ich sehe mich jedenfalls nicht als Barmherzigen Samariter oder als Mutter Teresa (lacht).
Frage: In Ihren Videos verkleiden Sie sich immer wieder auch als Obdachloser – in der Regel, um bestimmte Reaktionen auszulösen, wenn Sie etwa selbst um eine Essensspende bitten. Während Sie die Obdachlosigkeit nur spielen, ist dieses Schicksal für andere Menschen bitterer Ernst. Haben Sie diesbezüglich keine Skrupel?
Legun: Ich bin mir sehr bewusst, dass ich ein privilegiertes Leben führen darf und das Schicksal und die Sorgen eines obdachlosen Menschen nicht ernsthaft nachvollziehen kann, nur weil ich mich entsprechend verkleide. Mit den Videos, in denen ich als obdachlose Person auftrete, lerne ich jedoch ganz viel darüber, wie unsere Gesellschaft mit Menschen am Rand umgeht. Ich habe zum Beispiel schon erlebt, dass ich, wenn ich "normal" angezogen in einer Bäckerei oder einem Restaurant nach einer Essensspende gefragt habe, eher etwas bekommen habe, als wenn ich als Obdachloser verkleidet war. Das finde ich schon krass, und das beschäftigt mich auch sehr.
Frage: Sie haben es schon angesprochen: Sie haben gerade ein Buch geschrieben, in dem Sie über Ihre Social-Media-Aktivitäten und Ihre Mission, andere Menschen glücklich zu machen, berichten. Was sind darüber hinaus Ihre nächsten Pläne?
Legun: Ich möchte in Zukunft gerne auch längere Videos machen. Derzeit arbeite ich unter anderem an einem Video, für das ich 24 Stunden lang ohne Geld auskommen musste und dementsprechend auf die Hilfe und Unterstützung anderer Menschen angewiesen war. Das war schon eine aufregende Challenge, bei der ich – ohne jetzt zu viel zu verraten – ganz viel Wunderbares erlebt habe. Ich hoffe, dass ich bald dazu komme, das Video fertigzustellen und zu veröffentlichen.