Gericht: Keine Einsicht für Bistum in Strafakte von unschuldigem Priester
Das Bistum Regensburg erhält keine Einsicht in die Akten eines eingestellten Strafverfahrens gegen einen seiner Priester. Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) gab dem Priester Recht, der sich gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft gewandt hatte, dem Bistum Akteneinsicht zu gewähren. Das Urteil vom 15. Januar 2024 (Aktenzeichen 204 VAs 177/23) wurde am Wochenende veröffentlicht. Hintergrund ist ein Verdacht auf Vergewaltigung und Verbreitung jugendpornografischer Inhalte, auf den hin die Wohnung des Priesters durchsucht wurde. Das Bistum hatte den Priester unmittelbar von allen Aufgaben entbunden und ihm eine seelsorgliche Betätigung untersagt sowie eine kanonische Voruntersuchung eröffnet. Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren nach Auswertung der sichergestellten Datenträger ohne Restverdacht eingestellt. Das Bistum wollte dennoch Einsicht in die Akten, um die Erkenntnisse der Behörden in einem kirchlichen Strafverfahren zu verwerten.
Der Priester hatte über seinen Anwalt der zunächst von der Staatsanwaltschaft genehmigten Akteneinsicht widersprochen und einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Das Bistum habe nach Ansicht des Priesters kein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht. Wegen der sich möglicherweise in den Akten befindlichen intimen Details zu den sexuellen Vorlieben des Priesters bestehe für ihn ein überwiegendes Interesse daran, dass Dritte keine Einsicht in die Akten nehmen. Das BayObLG gab dem Priester darin Recht. Eine Akteneinsicht durch das Bistum würde den Geistlichen in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen.
Ohne Restverdacht kein Grund für Akteneinsicht
Eine Akteneinsicht der Kirche in Strafprozessakten ist in vielen Fällen üblich, um die Erkenntnisse der staatlichen Behörden in kirchlichen Prozessen als Beweismittel verwenden zu können. In der Regel stützt sich diese Akteneinsicht auf § 474 StPO, der die Bedingungen für Auskünfte und Akteneinsicht für Justizbehörden und andere öffentliche Stellen regelt. Das BayObLG äußerte aber Zweifel daran, dass Kirchen uneingeschränkt wie staatliche öffentliche Stellen behandelt werden können.
Zwar gebe es spezielle Regelungen im Strafprozessrecht, die ausdrücklich eine Übermittlung von Daten an Religionsgemeinschaften erlauben, diese seien aber im vorliegenden Fall nicht einschlägig, "wenn – wie hier – das Verfahren eingestellt worden ist und nicht besondere Umstände des Einzelfalles die Übermittlung erfordern", so das Urteil. Entsprechende Umstände sah das Gericht nach der Einstellung des Verfahrens jedoch nicht: "Gegen den Antragsteller besteht aber nicht einmal ein Restverdacht hinsichtlich der dem Ermittlungsverfahren zugrundeliegenden Tatvorwürfe. Die bei der Durchsuchung gewonnenen Erkenntnisse über sein Privatleben und seine sexuellen Vorlieben haben mit dem Verdacht der Begehung von Straftaten nicht im Entferntesten zu tun, es handelt sich also nicht um mehr oder weniger gesicherte Erkenntnisse zu Straftaten, sondern um solche über seine private Lebensführung."
Die Entscheidung des BayObLG hätte dann anders ausfallen können, wenn weiterhin ein Restverdacht bestanden hätte: Das Gericht ging davon aus, "dass auch andere Überlegungen zum Schutz der Allgemeinheit und des Vertrauens in die Integrität bei besonders verantwortungsvoller Tätigkeit ein Erfordernis der Übermittlung begründen können". (fxn)