"Und ausgerechnet jetzt beginnt die Regenzeit"
Frage: Herr Bischof, der Bundesstaat Adamawa ist in der Vergangenheit selten in die Schlagzeilen geraten und galt stets als sehr ruhig. Wie hat sich das durch Boko Haram geändert?
Mamza: Früher war die Beziehung zwischen Christen und Muslimen sehr freundlich. In meinem Heimatort waren beispielsweise 90 Prozent der Bewohner Katholiken. Aber wir lebten friedlich mit den Muslimen zusammen, spielten, gingen gemeinsam zur Schule. Die Religion war nie ein Problem. Doch als die fanatischen Islamisten kamen, hat sich das geändert. Jetzt sind sich die Menschen im Nordosten ihrer Religionszugehörigkeit sehr viel bewusster.
Frage: Durch den Terror von Boko Haram ist die Provinzhauptstadt Yola aber noch mit einem weiteren Problem konfrontiert: In die Stadt sind viele tausend Flüchtlinge gekommen.
Mamza: Ja, als der Norden Adamawas von Boko Haram überrannt wurde, flüchteten sehr viele nach Yola. Zwischen September und Dezember 2014 galt die Stadt als der sicherste Ort. Wir begannen, die Menschen zu registrieren und sie mit Lebensmitteln und einem Schlafplatz zu versorgen. Zuerst in unserer Kathedrale, dann im Trainingszentrum für Katecheten, in unserer Grundschule, im Gemeindezentrum. Zwischen September und April hatten wir immer zwischen 3.000 und 3.500 Menschen in unseren Camps.
Frage: Wie viele sind es heute?
Mamza: Seit die Armee zwischen Januar und März die von Boko Haram besetzten Großgemeinden zurückerobert hat, sind viele Flüchtlinge spontan zurückgekehrt. Im Lager Sankt Theresa leben noch zwischen 250 und 300 Flüchtlinge.
Frage: Ist es denn überhaupt schon sicher zurückzukehren?
Mamza: Das ist eine sehr ernste Frage. Gerade jenen Menschen, deren Dörfer in der Nähe des Sambisa-Waldes liegen [Unterschlupf von Boko Haram; d. Red.], haben wir von der Rückkehr abgeraten. Auch haben wir mit den Sicherheitsdiensten gesprochen. Sie haben uns gesagt, dass Orte wir Mubi und Michika einigermaßen sicher sind. Für andere Orte wie Madagali will nicht mal das Militär eine Garantie geben. Doch die Menschen sind sehr in Eile, weil sie ihre Dörfer vermissen und auf die Felder wollen. Leider sind vier unserer Flüchtlinge bei ihrer Rückkehr nach Madagali ermordet worden.
Frage: Wie sieht es mit der Infrastruktur aus?
Mamza: Auf dem Weg zu den Großgemeinden Madagali und Michika habe ich fünf zerstörte Brücken gezählt. Ausgerechnet jetzt beginnt die Regenzeit. Wenn es heftig geregnet hat, wird niemand mehr die Flüsse durchqueren können. Wenn es zu Problemen kommt, dürfte es sogar für das Militär schwierig werden, diese Menschen zu retten; es kann ja nicht mal Ausrüstung dorthin bringen.
Frage: Können die Flüchtlinge überhaupt in ihre Häuser zurückkehren?
Mamza: Viele sind zerstört werden, so dass Unterschlupf generell ein großes Problem ist. Ein weiteres ist die Versorgung mit Lebensmitteln. Als die Menschen im vergangenen Jahr flüchten mussten, konnten sie nicht mehr ernten. Alles wurde zerstört. Es gibt nichts zum Leben. Aus meiner Sicht ist die größte Schwierigkeit aber die mangelnde Gesundheitsversorgung.
Frage: Aus welchem Grund?
Mamza: Seit fast drei Monaten streiken in ganz Adamawa die Mitarbeiter der staatlichen Krankenhäuser. Jetzt war ich in Michika und Madagali, wo es nicht eine Apotheke gibt, in der man das Schmerzmittel Panadol kaufen kann. Über eine funktionierende Klinik sprechen wir gar nicht. Daher bauen wir ein mobiles Krankenhaus auf, unterstützen in Bazza aber auch die katholische Krankenstation. Das Militär verteilt die Medikamente, die wir aus Yola bringen lassen müssen. Im Moment kann eine unbedeutende Krankheit jemanden umbringen. Malaria zum Beispiel, da es keine Tabletten gibt.
Frage: Wie gelingt es der Kirche, diese Hilfsangebote zu finanzieren?
Mamza: Wir haben sehr viele Unterstützer. Fast alle katholischen Diözesen in Nigeria haben geholfen und beispielsweise Nahrung und Kleidung geschickt. Unser größter Unterstützer ist aber Missio in Aachen gewesen. Missio hat Tausende Menschenleben gerettet. Geholfen haben auch Papst Franziskus, Missionare, die einst hier waren, und verschiedene Regierungen durch ihre Botschaften. Mit der deutschen Botschaft arbeiten wir gerade an einem Projekt. Hilfe gibt es auch von örtlichen Organisationen sowie der Amerikanischen Universität in Yola. Auch Einzelpersonen haben mitgemacht - ganz gleich, ob Christen oder Muslime.
Frage: Dabei ist Nigeria Afrikas größte Volkswirtschaft und sehr reich an Bodenschätzen. Und nun übernehmen Sie die Aufgabe des Staates.
Mamza: Durch die ganzen Machtwechsel ist bislang nichts getan worden.
Unglücklicherweise hatten wir in der Vergangenheit einige instabile Regierungen in Adamawa. In weniger als einem Jahr hatten wie vier Gouverneure. Funktioniert hat all das nicht, und keiner hat daran gedacht, sich um die Menschen zu kümmern. Trotzdem hoffe ich, dass die neue Regierung es als Priorität ansieht, denen zu helfen, deren Not besonders groß ist.