Christentum werde zu einer "Dagegen-Religion" gemacht

Theologin: Österreichischer Wahlkampf verzweckt christliche Werte

Veröffentlicht am 27.09.2024 um 11:59 Uhr – Lesedauer: 

Wien ‐ In Österreich wird am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Im Wahlkampf stellen die Politiker auffällig häufig Bezüge zum Christentum her, beobachtet die Theologien Elisabeth Birnbaum – was bei ihr aber eher Unbehagen auslöst.

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Die Bibelwissenschaftlerin Elisabeth Birnbaum kritisiert die Instrumentalisierung christlicher Werte im österreichischen Wahlkampf. "Der ausgerufene Kulturkampf wird in einem Land, in dem immer mehr Menschen den christlichen Kirchen den Rücken kehren, mit der Waffe des Christentums geführt", schreibt die Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks in einem Beitrag für das Theologische Feuilleton "feinschwarz.net" (Freitag). Die oft berechtigten Ängste der Menschen angesichts gesellschaftlicher Umbrüche und veränderter Mehrheitsverhältnisse würden so zur Glaubensfrage stilisiert.

"Es macht mich unendlich traurig zu sehen, wie Christentum zu einer Dagegen-Religion gemacht wird", so Birnbaum weiter. Aus der Frohbotschaft für alle werde eine "Drohbotschaft" gegen andere. Birnbaum nimmt dabei besonders die rechtspopulistische FPÖ ins Visier, bei der die scheinbare Verteidigung des Christentums zur Legitimation für Fremdenfeindlichkeit diene. Auf deren Wahlplakaten sind die Slogans "Euer Wille Geschehe" und "Liebe deinen Nächsten! – Für mich sind das unsere Österreicher!" zu lesen. Gerade bei Letzterem sei die Verdrehung der christlichen Botschaft besonders eklatant: "Hier wird aus einem Gebot der Liebe ein Gebot der Ausgrenzung. Aus: 'Liebe deinen Nächsten (indem du ihm nichts Böses antust)!' wird: 'Liebe (nur) deinen Nächsten (und niemanden sonst)!' Von der weit offeneren Definition des 'Nächsten', wie Jesus sie gibt (im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, Lk 15), einmal ganz abgesehen."

Christentum nur "Chiffre"

Kritik übt Birnbaum aber auch an SPÖ und ÖVP. Dabei bezieht sie sich auf ein TV-Duell der zwei Spitzenkandidaten. Der Spitzenkandidat der SPÖ habe dabei behauptet, seine Partei handle in ihrem Bemühen um Minderprivilegierte auf der gleichen Ebene wie die Caritas. "Doch im Kontext des Gesprächs geht es eigentlich darum, die ÖVP in ihrem Selbstverständnis als christlich-soziale Partei zu desavouieren." Der Spitzenkandidat der ÖVP habe in der Debatte den heiligen Martin in den Vordergrund gerückt. Damit legte er laut Birnbaum den Fokus darauf, dass die SPÖ zu wenig für die Wirtschaft tue "und bitteschön nur das verteilen soll, was sie besitzt". Mit dem Verweis auf den heiligen Martin werde zudem die Debatte um christliche Feste eingespielt: "Der heilige Martin wird dadurch zu einem doppelten Gegenargument: Gegen die Politik der SPÖ und gegen die Bedrohung der österreichischen Identität. Das Christentum ist dabei wieder nur Chiffre", so die Theologin.

Dass christliche Werte für Wahlkampfrhetorik instrumentalisiert würden, betrübe sie, betont die Theologin. "Ich finde es schlimm, das Christentum zur eigenen Profilierung gegen andere zu verzwecken. Ich finde es schlimmer, christliche Traditionen als Waffe im Kulturkampf gegen Fremde zu instrumentalisieren. Ich finde es am schlimmsten, biblische Kernbotschaften ins Gegenteil zu verkehren und so den Eindruck zu erwecken, Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung, Hass und das Schüren von Ängsten gingen mit dem Christentum konform."

In Österreich wird am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Umfragen sehen die FPÖ mit ihrem Spitzenkandidaten Herbert Kickl vorne. Die anderen Parteien wollen nach der Wahl jedoch keine Koalition mit Kickls FPÖ eingehen. An deren Wahlkampfslogan "Euer Wille geschehe" hatte bereits die Österreichische Bischofskonferenz Kritik geübt. "Dieser Satz spielt mit einem Zitat aus der Bibel, und noch dazu mit dem wichtigsten Gebet, das Christinnen und Christen kennen", sagte Generalsekretär Peter Schipka. (mal)