Glaubensdikasterium setzt sich gegen Staatssekretariat durch

Machtgerangel im Vatikan: Höchststrafe für Priester bleibt

Veröffentlicht am 19.10.2024 um 00:01 Uhr – Von Ludwig Ring-Eifel (KNA) – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Es kommt extrem selten vor, dass ein Streit zwischen den beiden mächtigsten Behörden im Vatikan öffentlich wird. Bei der Bestrafung eines Priesters in Argentinien ist es nun passiert. Am Ende obsiegte das Recht.

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Das Bistum Villa de la Concepcion del Rio Cuarto im Zentrum Argentiniens ist tiefste Provinz. Selbst Kenner lateinamerikanischer Kirchendinge haben bis vor kurzem bestenfalls gewusst, dass ein Bistum dieses Namens existiert. Vor 90 Jahren gegründet umfasst es genau 52 Pfarreien, die unter Führung von Bischof Adolfo Uriona von 89 Priestern betreut werden. Einer von ihnen namens Ariel Principi wurde im vergangenen Jahr per kirchlichem Gerichtsurteil aus dem Klerikerstand entfernt - ein Vorgang, der fast schon Normalität ist in der katholischen Kirche.

Vorausgegangen waren mehrere Vorwürfe sexueller Übergriffe, die im Jahr 2021 aktenkundig wurden. Es gab ein kirchenrechtliches Verfahren gegen Principi gemäß den von Papst Franziskus verschärften Normen. Erst urteilte das zuständige Kirchengericht in Cordoba, dass der Geistliche schuldig sei und deswegen aus dem Klerikerstand entfernt werden müsse. Der Mann ging in Berufung, doch auch die zweite Instanz in der Hauptstadt Buenos Aires bestätigte das Urteil. Das gesamte Verfahren verlief, wie üblich, in Absprache und im Auftrag der Disziplinar-Abteilung des Römischen Glaubensdikasteriums.

Dort ist seit April 2022 der irische Kirchenrechtler John Joseph Kennedy (56) als "Sekretär" (also zweiter Mann nach dem Präfekten) für Missbrauchsprozesse in aller Welt zuständig. Papst Franziskus hat den als tatkräftig und zupackend beschriebenen Geistlichen erst Ende Juli 2024 zum Erzbischof befördert. Das war auch dringend nötig, denn Kennedy leitete seit zweieinhalb Jahren eine der wichtigsten Kirchenbehörden weltweit quasi im Alleingang.


Erzbischof John Joseph Kennedy im Gespräch
Bild: ©Diözese Rottenburg-Stuttgart/isz (Archivbild)

Erzbischof John Joseph Kennedy, Sekretär im Dikasterium für die Glaubenslehre, leitet die Disziplinar-Sektion seiner Behörde und ist damit für die kirchlichen Straftaten zuständig, in der das Dikasterium Gerichtsfunktion hat.

Schuld daran ist sein Vorgesetzter. Denn der Präfekt des Glaubensdikasteriums, der argentinische Kardinal Victor Fernandez, hatte, als der Papst ihn Sommer 2023 nach Rom holte, mangels kirchenrechtlicher Kompetenz den dornigen strafrechtlichen Teil seines Amtes vollständig an die Strafabteilung delegiert. Dafür erhielt er eine Art Sondergenehmigung vom Papst: Fernandez darf sich, anders als seine Vorgänger, auf theologische und lehramtliche Fragen konzentrieren - während sich andere, unter der Führung von Kennedy, um die schmutzige Arbeit der Missbrauchsprozesse kümmern müssen.

Der Substitut grätscht dazwischen

Diese ungewöhnliche Konstruktion könnte mit dazu beigetragen haben, dass im Fall des mutmaßlichen Missbrauchstäters Principi ein anderer vatikanischer Akteur meinte, mit seiner besonderen Autorität dazwischengrätschen zu können. Jedenfalls überraschte am 25. September 2024 Bischof Uriona sein Provinz-Bistum mit der offiziellen Mitteilung, dass aufgrund eines "außerordentlichen Verfahrens" die Höchststrafe für Principi aufgehoben worden sei. Stattdessen gelte jetzt nur noch ein Verbot allgemeiner und besonderer seelsorgerischer Aktivitäten, ferner dürfe er sich nicht Jugendlichen nähern. Die Heilige Messe dürfe er aber gemeinsam mit anderen Priestern sowie in privater Form weiterhin feiern.

Bild: ©picture alliance/Stefano Spaziani (Archivbild)

Erzbischof Edgar Pena Parra zieht im Staatssekretariat die Strippen. Für Missbrauchsprozesse ist er aber nicht zuständig.

Unterschrieben war die Erklärung von keinem Geringeren als dem "Substituten Seiner Heiligkeit", Erzbischof Edgar Pena Parra. Der gebürtige Venezolaner leitet die für weltweite "kirchliche Innenpolitik" zuständige Allgemeine Abteilung des Staatssekretariats und wird daher gemeinhin als "die Nummer drei" im Vatikan bezeichnet (die Nummer zwei ist der Kardinalstaatssekretär). Pena Parra kam 2018 in dieses Amt, nachdem sein Vorgänger, der sardische Kardinal Angelo Becciu, wegen seiner Rolle im sogenannten Londoner Immobilienskandal des Heiligen Stuhls beim Papst in Ungnade gefallen war.

Die eigene Nichtzuständigkeit ignoriert

Offenbar hatte der Priester Principi, der die gegen ihn verhängte Strafe als unverhältnismäßig streng empfand, sich über Freunde in der kirchlichen Hierarchie an den Substituten in Rom gewandt. Der ließ den Fall überprüfen und kam zu einem weniger harten Urteil. Dass seine Behörde aber in Fragen des kirchlichen Strafrechts bei Missbrauchsfällen keinerlei Kompetenz hat, übersah der frühere Karrierediplomat geflissentlich.

Doch er hatte seine Rechnung ohne den inzwischen ebenfalls zum Erzbischof beförderten Chef der Strafabteilung im Glaubensdikasterium gemacht. Kennedy ließ den argentinischen Provinzbischof seinerseits zwei Wochen später mitteilen, dass "das außerordentliche Verfahren, dessen Schlussfolgerungen am 23. September mitgeteilt wurden, annulliert wurde." Stattdessen seien die beiden vorhergehenden Kirchengerichtsurteile (Cordoba vom 2. Juni 2023 und Buenos Aires vom 8. April 2024) rechtsgültig. Der Fall sei damit abgeschlossen.

Im Vatikan und unter Beobachtern wird nun heftig diskutiert, ob und was der Papst von dem Fall und seinen Weiterungen wusste. Und ob die schallende Ohrfeige Kennedys für den mutmaßlich eigenmächtig und rechtswidrig handelnden Substituten wohl von Fernandez oder gar vom Papst gedeckt war. Falls Letzteres zuträfe, könnte es ungemütlich werden für den Substituten Seiner Heiligkeit.

Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)