"Bruchteil der tatsächlichen Vorkommnisse"

Zwischenbilanz zu Missbrauch im Bistum Erfurt – auch Kritik

Veröffentlicht am 29.10.2024 um 15:53 Uhr – Lesedauer: 

Erfurt ‐ Die Aufarbeitungskommission im Bistum Erfurt hat nach drei Jahren eine Zwischenbilanz zu sexuellem Missbrauch vorgelegt. 78 Betroffene haben sich inzwischen gemeldet. Kritik gab es auch an Bischof Ulrich Neymeyr.

  • Teilen:

Im Bistum Erfurt sind bislang 64 Menschen bekannt, die des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen und Schutzbefohlenen beschuldigt werden, 25 davon sind Geistliche. Das gab die Kommission zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt am Dienstag in Erfurt im Rahmen einer Zwischenbilanz bekannt. Demnach haben sich inzwischen 78 Betroffene gemeldet, insgesamt wurden 338.500 Euro Anerkennungsleistungen gezahlt. Bei einem Großteil der Fälle, für die alle relevanten Akten seit 1945 durchsucht wurden, sind die Täter bereits verstorben.

Die Kommissionsvorsitzende Ulrike Brune erklärte: "Den weitaus größten Anteil – wir gehen hier von 25 Fällen aus – haben sexuelle Übergriffe, und in sieben Fällen berichteten Betroffene, sie seien vergewaltigt worden." Fälle sogenannter Grenzverletzungen bewegten sich im niedrigen einstelligen Bereich. Brune bilanzierte: "Wir müssen leider annehmen, dass die uns vorliegenden Akten nur einen Bruchteil der tatsächlichen Vorkommnisse widerspiegeln." Das Bistum habe der Kommission alle gewünschten Informationen und Akten zugänglich gemacht, diese seien jedoch sehr unsystematisch geführt worden.

Streit um Veröffentlichung des Jahresberichts

Deutlich kritisierte Brune, dass Bischof Ulrich Neymeyr einer Veröffentlichung des Jahresberichts für 2023 nicht zugestimmt habe. In anderen Bistümern sei das mehrheitlich anders. Neymeyr entgegnete, dass er aus Datenschutz- und Persönlichkeitsschutzgründen mit Blick auf Täter nicht habe zustimmen können, eine ungekürzte Fassung zu veröffentlichen. Dem widersprach der Vize-Kommissionsvorsitzende Michael Winkler vehement. Im Bericht seien diese Rechte nicht verletzt, alles sei maximal anonymisiert.

Bild: ©KNA/Dominik Wolf (Archivbild)

Wurde von der Aufarbeitungskommission kritisiert: der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr. Die Kommission hob aber auch seine Bereitschaft für Gespräche mit Betroffenen lobend hervor.

Laut Brune war die Kommission bereit, einen gekürzten Bericht zu veröffentlichen, wenn der Bischof dazugeschrieben hätte, dass er die Kürzungen vorgenommen habe. Dazu sei er nicht bereit gewesen. Auch bemängelte sie mit Blick auf die Unabhängigkeit der Kommssion, dass sie noch keine vom Bistum unabhängige Homepage und Geschäftsstelle habe. Lobend hob Brune hervor, dass Bischof Neymeyr allen Betroffenen Gespräche anbiete, diese auf Wunsch zuhause besuche und intensive Gespräche mit ihnen führe.

Kommission gründete sich 2021

Die Aufarbeitungskommission hatte sich im Bistum Erfurt im Oktober 2021 konstituiert. Ihr gehören sieben Mitglieder an, zwei davon sind Betroffene. Aufgabe der Kommission ist es, unabhängig zu untersuchen, wie viele Fälle sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch kirchliche Mitarbeiter es im Bistum gab, wie die Verantwortlichen mit den Betroffenen und den Beschuldigten umgegangen sind und ob es Strukturen gibt, die sexualisierte Gewalt ermöglichen oder ihre Aufdeckung erschweren.

Einmal jährlich legt die Kommission dem Erfurter Bischof einen Bericht vor, den auch die Landes- und Bundesbeauftragten für Kinderschutz erhalten. Nach fünf Jahren, also bis Ende 2026, soll die Kommission einen Abschlussbericht erstellen. Mit der Kommission kommt das Bistum Erfurt einer Vereinbarung nach, die die deutschen Bischöfe im Juni 2020 mit dem Bundesbeauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs getroffen hatten. (KNA)