Kardinal Marx ruft zur Unterstützung für Griechenland auf

"Es geht um mehr als den Euro"

Veröffentlicht am 16.07.2015 um 14:32 Uhr – Lesedauer: 
"Es geht um mehr als den Euro"
Bild: © KNA
Europa

Brüssel/München ‐ Kardinal Marx hat die Akteure in der Griechenlandkrise zu einem Blick nach vorne aufgerufen. Aus den vielen Krisen müssten für Europa zudem Konsequenzen gezogen werden, sagte Marx in seiner Funktion als Vorsitzender der EU-Bischofskommission.

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Vorurteile und Klischees zwischen den Völkern müssten bekämpft werden, so Marx, der auch Erzbischof von München und Freising sowie Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist. Das griechische Volk wolle mehrheitlich in der EU und der Eurozone bleiben. Ebenso wollen seiner Meinung nach auch die anderen Mitgliedstaaten Griechenland in der Gemeinschaft behalten. "Alle haben ein Interesse daran, dass es mit Griechenland rasch wirtschaftlich aufwärtsgeht und dass die europäische Einigung voranschreitet", betonte Marx. Deshalb sollten sich nun alle Europäer auf die gemeinsamen Aufgaben und Ziele konzentrieren und gemeinsam an der Zukunft Griechenlands in der EU arbeiten.

Marx bedankte sich bei "allen, die sich für einen Erfolg für das europäische Einigungsprojekt engagiert haben". Nun sei es wichtig zu prüfen, ob die gefundene Lösung auch tragfähig sei, ob sie die Armen und Schwachen im Blick habe und ob Griechenland es mit den vereinbarten Maßnahmen schaffe, wieder auf die Beine zu kommen.

Kardinal fordert "Erneuerung der europäischen Idee"

Der COMECE-Vorsitzende fordert außerdem dazu auf, aus den Geschehnissen der vergangenen Wochen zu lernen und Konsequenzen aus der Krise zu ziehen. "Die Mitgliedstaaten der EU müssen an den Grundlagen der Wirtschafts- und Währungsunion arbeiten, denn Europa braucht eine stärkere politische Koordination in der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialpolitik", so Marx. Nur so könne ein langfristiger guter Weg in die Zukunft aussehen.

Alle Europäer, so der Kardinal, müssten sich immer bewusst machen, dass es "um mehr als den Euro" gehe. "Es geht um eine wirkliche Erneuerung der europäischen Idee mit neuen Zielen, neuem Engagement." Denn die Aufgaben der Gründungszeit der Europäischen Union, Frieden, Sicherheit und Wohlstand für die europäischen Völker zu schaffen, seien noch lange nicht erledigt. (KNA)

Stichwort: COMECE

Die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE, lat.: Commissio Episcopatum Communitatis Europensis) setzt sich aus den delegierten Bischöfen der Bischofskonferenzen auf dem Gebiet der Europäischen Union (EU) zusammen. Die Kommission wurde 1980 gegründet, ihr ständiges Sekretariat hat seinen Sitz in Brüssel.

Dokumentation: Die Erklärung von Kardinal Marx im Wortlaut

Kardinal Reinhard Marx hat sich heute in seiner Funktion als Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE) zur Griechenlandkrise geäußert. Katholisch.de dokumentiert seine Erklärung im Wortlaut:

"Viele Tage und vor allem Nächte mit nervenaufreibenden Verhandlungen liegen hinter uns. Die Griechenlandkrise hat in den letzten Wochen nicht nur die Politik, sondern alle Europäer beschäftigt, ohne zu wissen, ob es am Ende zu einer positiven Lösung kommen wird. Ich danke allen, die sich für einen Erfolg für das europäische Einigungsprojekt engagiert haben. Trotz aller Widrigkeiten haben sich die Verantwortlichen - die Vertreter der Europäischen Institutionen, die Staats- und Regierungschefs der Eurozone und die Finanzminister - nicht davon abbringen lassen, für eine gemeinsame europäische Lösung zu streiten. Deshalb gilt ihnen ein besonderer Dank, denn letzten Endes sind es immer konkrete Personen, die sich auch persönlich für eine solche Lösung aufreiben.

Die Verhandlungen waren hart, sehr hart. Aber es stand für alle Beteiligten auch sehr viel auf dem Spiel. Sicherlich gäbe es mehr als genug Grund, nach den Schuldigen für die verfahrene Situation zu fragen. Aber noch viel wichtiger ist es jetzt, nach vorne zu blicken und sich wieder auf das Gemeinsame zu besinnen. Denn die Arbeiten, die jetzt zu erledigen sind, sind immens und können auch von Griechenland nur mit der Unterstützung der europäischen Partner geleistet werden. Das griechische Volk will mehrheitlich in der Europäischen Union und der Eurozone bleiben. Ebenso wollen auch die anderen Mitgliedstaaten Griechenland in der Gemeinschaft behalten. Dass es in allen europäischen Ländern sowohl Zustimmung als auch Widerstände zur Einigung vom Montagmorgen gibt, zeigt, dass die Lösung ein klassischer europäischer Kompromiss ist. Alle haben ein Interesse daran, dass es mit Griechenland rasch wirtschaftlich aufwärts geht und dass die europäische Einigung voranschreitet. Deshalb müssen sich jetzt alle Europäer auf die gemeinsamen Aufgaben und Ziele konzentrieren und gemeinsam daran arbeiten.

Eine wichtige Voraussetzung dafür ist es, verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Für die weiteren Schritte der wirtschaftlichen und finanziellen Konsolidierung, aber auch für die europäische Zusammenarbeit in anderen Fragen, müssen sich die Staaten und Regierungen gegenseitig vertrauen. Auch Vorurteile und Klischees zwischen den Völkern, die sich in der aufgeheizten Stimmung eher noch verstärkt haben, müssen abgebaut und überwunden werden. Deshalb sind von allen Seiten vertrauensbildende Maßnahmen erforderlich, um das Klima in Europa wieder zu beruhigen und einen konstruktiven gemeinsamen Weg in die Zukunft zu finden.

Die Kirche hat die Europäische Einigung stets mit Wohlwollen begleitet. Insofern begrüße ich nachdrücklich, dass es zwischen den Staats- und Regierungschefs zu einer europäischen Lösung gekommen ist und dass Europa und die Eurozone nicht auseinanderfallen. Es müssen jedoch noch zahlreiche Fragen beantwortet werden: Ist das jetzt gefundene Paket auch tragfähig? Kommt Griechenland mit den vereinbarten Maßnahmen wieder auf die Beine? Wie bleiben die Armen und Schwachen im Blick? Ich ermutige alle Europäer, sich für den gemeinsamen Erfolg weiter zu engagieren. Für die großen und langfristigen Herausforderungen bedarf es mutige und kreative Lösungen. Denn bislang ist die Beseitigung der strukturellen Ursachen für die Krise noch nicht hinreichend in Angriff genommen worden. Und vieles andere bleibt zu tun: die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die gemeinsame Sorge um die Flüchtlinge, der Einsatz für den Frieden in Europa (z.B. der Ukraine) und in seiner Nachbarschaft (z.B. der Nahe und Mittlere Osten).

Deshalb ist es erforderlich, aus den Geschehnissen der vergangenen Wochen zu lernen und Konsequenzen aus der Krise zu ziehen. Allzu viele Nachtschichten der Staats- und Regierungschefs mit dieser Dramatik kann sich die Europäische Union kaum leisten. Die Mitgliedstaaten der EU müssen an den Grundlagen der Wirtschafts- und Währungsunion arbeiten, denn Europa braucht eine stärkere politische Koordination in der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialpolitik. Damit die EU langfristig wieder auf einem guten gemeinsamen Weg in die Zukunft gehen kann und es nicht immer wieder zu Währungskrisen und sozialen Verwerfungen kommt, ist eine Reform der wirtschafts- und währungspolitischen Zusammenarbeit in der EU erforderlich.

Die Europäische Einigung hat den europäischen Völkern Frieden, Sicherheit und Wohlstand gebracht. Diese Erfolge müssen gesichert und für alle zugänglich werden. Europa ist ein Projekt der Versöhnung, nicht der Spaltung. Deshalb müssen nun alle Europäer aufeinander zugehen, damit wir Europa gemeinsam weiter voranbringen. Es geht um mehr als den Euro. Es geht um eine wirkliche Erneuerung der europäischen Idee mit neuen Zielen, neuem Engagement. Die Aufgaben der Gründungszeit der Europäischen Union sind noch lange nicht erledigt. Als Christen werden wir an diesem Projekt aus Überzeugung weiter mitarbeiten."