Neuanfang im Advent – erster Advent

Pastoralreferentin: Warum es nicht schlimm ist, ein Anfänger zu sein

Veröffentlicht am 01.12.2024 um 00:01 Uhr – Von Sarah Blay – Lesedauer: 

Augsburg ‐ Der "Advent" trägt die "Ankunft" schon im Namen. Deshalb erzählen an den Adventssonntagen an dieser Stelle Menschen, die in diesem Jahr an einem neuen Ort im Leben angekommen sind. Den Anfang macht die Pastoralreferentin Sarah Blay.

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"Du noob": Wer mit Onlinespielen vertraut ist, der kennt diesen Ausdruck wohl. Als "noob" wird jemand bezeichnet, der gerade erst begonnen hat, ein Spiel zu spielen. Eine Person, die die Regeln noch nicht kennt und deswegen immer wieder Fehler macht. Je nach Kontext wird der Ausdruck dabei als Abwertung und Beschimpfung verwendet. Dem anderen wird abgesprochen, ein hilfreicher Mitspieler zu sein. Ihm soll deutlich gemacht werden, dass er keine Ahnung habe und das Spielen doch besser sein lassen sollte.

Das Wort noob leitet sich vom englischen Newbie ab und bedeutet im Deutschen so viel wie Anfänger. Auch in der Alltagssprache hat sich die Beleidigung als noob oder Anfänger in der Jugendsprache etabliert. Wenn jemand etwas nicht gleich auf die Reihe bekommt, länger braucht um etwas zu verstehen oder ihm ein Fehler unterläuft, wird er als noob abgewertet – ein Anfänger eben.

Wie ein Anfänger fühle auch ich mich seit Anfang September, als ich meine neue Stelle als Hochschulseelsorgerin in Augsburg begonnen habe. Viele Abläufe sind noch unbekannt und Teamkonstellationen sowie interne Dynamiken kristallisieren sich erst nach und nach heraus. Eigene Erwartungen und die Erwartungen Anderer müssen erst noch austariert werden. Regeln, die an der alten Stelle in Stein gemeißelt waren, gelten an der neuen plötzlich nicht mehr. Ohne Nachfragen geht es da als Anfänger nicht. Das beginnt bei banalen Fragen wie "Wo finde ich die Kabeltrommel? Wie funktioniert der Dampfgarer? Wer ist für den Impuls verantwortlich?" – Fragen, die sich schnell beantworten lassen. Und es endet bei Fragen, die sich wohl erst nach Monaten klären lassen: "Was bewegt die Studierenden aktuell und was brauchen sie von mir als Seelsorgerin? Welche Veranstaltungen kann ich authentisch weiterführen und wo muss ich vielleicht neue Wege einschlagen? Was sind die Vorstellungen meiner Kolleginnen und Kollegen und wie können wir gut als Team zusammenarbeiten?" Für all diese Fragen lässt sich nicht von heute auf morgen eine Antwort finden. Sie brauchen Zeit und Geduld, einen langen Atem und Erfahrungen, aus denen Schlüsse gezogen werden können.

Ohne Fehler geht es nie

Ohne Fehler geht es aber trotz akribischen Nachfragens nie. Die Anzahl der Teilnehmenden wird falsch eingeschätzt und entsprechend zu wenig eingekauft. Eine Person, die unbedingt miteinbezogen werden hätte müssen, wird nicht gefragt. Oder der Supergau: Das Passwort der Kaffeemaschine wird dreimal falsch eingetippt, sodass die Maschine für der Rest des Tages gesperrt ist. Fehler machen gehört zum Anfänger-sein dazu.

Aus einer Tür scheint ein heller Lichtstrahl
Bild: ©chianim8r/Fotolia.com

"Auch wenn sie herausfordernd sind, sind Anfänge doch eigentlich etwas sehr Schönes – so voller Zuversicht, Hoffnung und Begeisterung", schreibt Sarah Blay.

Doch mit dem Wort Anfänger als Beleidigung tue ich mir schwer. Denn auch wenn sie herausfordernd sind, sind Anfänge doch eigentlich etwas sehr Schönes – so voller Zuversicht, Hoffnung und Begeisterung. Eine neue Sportart anfangen, eine neue Sprache lernen oder auch die Anfänge einer Liebe, das Kribbeln und das aufgeregt sein. Und erinnern wir uns doch mal an unsere menschlichen Anfänge, an unsere kindliche Naivität: da war Neugierde, Urvertrauen, und Vorfreude, etwas Neues zu entdecken. Was hat dazu geführt, in Anfängen etwas Schlechtes zu sehen? Sind es Erfahrungen wie Prüfungen und schlechte Noten, die die anfängliche Euphorie trüben? Menschen, die das Engagement und die Begeisterung Anderer ausnutzen? Sind es Vorstellungen unserer Gesellschaft, was sein darf und was nicht sein darf? Ein übertriebener Perfektionismus, mit völlig überhöhten Anforderungen? Oder sind es Bestrafungen, wenn etwas nicht gleicht gelingt – Verbote, wenn die Hausaufgaben falsch sind, Ausgrenzung, wenn im Sportverein nicht die erwartete Leistung erbracht wird oder eben Beschimpfungen, wenn die Spielregeln nicht gleich verstanden werden?
Wer mit Anfängen schlechte Erfahrungen gemacht, der wird sich vor solchen hüten. Der wird nicht um Hilfe bitten, aus Angst, er könne ja als Schwächling gelten. Der wird keine Verletzlichkeit zeigen, aus Angst, sie könne ausgenutzt werden. Und der wird keinen Aufbruch wagen, aus Angst, es könne ja schiefgehen. Doch sind es nicht eben diese Eigenschaften, die einen Menschen sympathisch und nahbar machen?

Im Christentum hat der Anfang jedenfalls eine positive Bedeutung. Unsere Welt ist Gottes Schöpfung – in jedem Augenblick ganz neu. Sie ist ein ständiges Anfangen, eine Erneuerung aus dem kreativen Ursprung. Sie ist nicht als perfekte, vollkommene Welt geschaffen, sondern mit dem Auftrag an die Menschen, an und in ihr weiterzuwirken. Wir glauben an eine creatio continua, an eine fortwährende Schöpfung, in der immer neue Aufbrüche und Anfänge möglich sind. Gott geht sogar so weit, dass er in Jesus Christus als absoluter Anfänger zu uns kommt. Denn Jesus kam nicht als einer, der schon alles kann, als Großer und Mächtiger, sondern als kleines Kind. Diesen Schritt hätte er ja genauso gut überspringen können. Ein Gott, der sich in die Hose macht – was für ein Anfänger. Er hat ihn aber nicht übersprungen. "Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt" – so lesen wir es in der Weihnachtsgeschichte wie sie vom Evangelisten Lukas erzählt wird. Jesus hat sich in eine Krippe gelegt und den anderen überlassen. Klein, in Windeln gewickelt und auf Hilfe angewiesen. Und ich glaube, das lehrt uns Weihnachten – ein Anfänger zu sein: Sich verletzbar zu machen, Vertrauen zu haben, Hilfe anzunehmen. Und: Mut zu haben, sich von dem tragen zu lassen, der der Anfang schlechthin ist.

Jesus ist der mitgehende Anfang – wie der Theologe Karl Rahner es einmal gesagt hat. Er begleitet uns bei unseren Aufbrüchen und Anfängen, weil er selbst das Anfänger-sein kennt. Und wenn wir das vor Augen haben, dann ist es doch gar nicht mehr so schlimm, ein Anfänger zu sein.

Von Sarah Blay