Netflix zeigt das Leben Mariens als Coming-of-Age-Film

Maria – Junge Frau in göttlicher Mission

Veröffentlicht am 06.12.2024 um 00:01 Uhr – Von Jan Freitag (KNA) – Lesedauer: 

Berlin ‐ "Maria" ist definitiv nicht die erste Bibelverfilmung, aber als erste widmet sich Netflix darin Jugend, Flucht und Niederkunft der Mutter Gottes – mit reichlich Interpretationsspielraum.

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Die Bibel bleibt auch gut 2.000 Jahre nach ihrem Finale ein reichhaltiges, aber nur bedingt realistisches Drehbuch. Gerade im Neuen Testament ist historisch zwar vieles überliefert. Doch sobald es an die cineastische Umsetzung geht, füllen sich die Interpretationsspielräume mit Klischees und popkultureller Anpassung. Von den Monumentalwerken der Technicolor-Ära über Monty Pythons "Leben des Brian" bis hin zu Mel Gibsons "Passion Christi" bleibt die Weihnachtsgeschichte also Auslegungssache, die der Wirklichkeit mal näher, aber meist doch ferner ist.

Ob ihr der Netflix-Film "Maria" (ab 6.12.) nahekommt oder fernbleibt, ist allerdings schwerer zu sagen. Passend zur angebrochenen Adventszeit, interpretiert Regisseur Daniel John Caruso schließlich ein Kapitel der Heiligen Schrift, das bestenfalls lückenhaft ausformuliert wurde: Leben, Liebe, und Gebären der Gottesmutter. Während ihr Gatte Josef ein buchstäblich unbeschriebenes Bibelblatt ist, nimmt sie zwar wenigstens durch Jesus Konturen an. Beide Figuren werden in der religiös-literarischen Vorlage jedoch so vage beschrieben, dass ein Film darüber größtenteils Spekulation bleibt. Bleiben muss.

Mischung aus "Game of Thrones" und "Ben Hur"

Aber was für eine! Denn Caruso, Künstlername D.J., interpretiert die Zeitspanne von Marias eigener Geburt bis zu der ihres Sohnes wie eine Mischung aus "Game of Thrones" und "Ben Hur". Ohne die Materialschlachten früher Bibel-Adaptionen, dafür mit der digitalen Opulenz moderner Produktionen, konstruiert Netflix ein Historiendrama der metaphysischen Art. "Ihr glaubt, meine Geschichte zu kennen?", fragt die Titelfigur anfangs aus dem Off. "Vertraut mir - ihr kennt sie nicht!"

Netflix-Film über Maria von Nazareth
Bild: ©picture alliance / ZUMAPRESS.com | Netflix

Szenenbild aus "Maria" mit Hilla Vidor und Ori Pfeffer als die Eltern von Maria, Anna und Joachim, Noa Coen als Maria, Jade Croot als Sarah, Ido Tako als Joseph und Susan Brown als Prophetin Anna (v.l.n.r.)

So wächst Maria als lebensfrohe Tochter von Anna und Joachim, die das Wort Gottes völlig unerwähnt lässt, im winzigen Nazareth auf. Parallel regiert der jüdische Klientelkönig Herodes die römische Provinz Galiläa mit einem Hang zum Größenwahn, den kaum jemand besser verkörpern könnte als Oscar-Preisträger Anthony Hopkins. Als ihm zu Ohren kommt, dass sich im Herrschaftsgebiet ein Messias ankündigt, der seine Macht schmälern könnte, bläst er zur Jagd auf Maria, die im Kloster des Hohepriesters Baba ben Buta (Mehmet Kurtulus) auf ihre Bestimmung wartet.

Jugendliche Renitenz und Liebeshochzeit

Es ist ein klassischer Leinwandstoff, aus dem das Streamingportal mit Blockbuster-Methoden eine Coming-of-Age-Erzählung einer jungen Frau in göttlicher Mission macht. Gut gegen böse, arm gegen reich, mächtig gegen ohnmächtig schreitet die Geschichte von der hypothetischen Existenz der Titelfigur streng chronologisch Richtung Heiligabend vor. Die jugendliche Renitenz der auserwählten Maria (Noa Cohen) bleibt mangels Quellenlage zwar ebenso hypothetisch wie die Liebeshochzeit mit dem linkischen, aber wehrhaften Josef (Ido Tako). Wie bei Blockbustern üblich, weht zudem viel Zeitlupen-Haar im Ventilatoren-Wind.

Es gibt glückliches Leben, wo es damals tatsächlich wohl eher ums nackte Überleben ging, und Romantik, wo allenfalls der Fortpflanzungstrieb dominierte. Obwohl sich Kulissen und Kostüme, Figuren und Dialoge auch im englischen Original glaubhaft an der zeitgeschichtlichen Überlieferung jener schriftlosen Tage orientieren, bleibt "Maria" also handelsübliches Hollywood-Historytainment, bei dem die Kamera mitunter Schmetterlingen durch Blumengärten folgt, als wäre die Ära unendlicher Entbehrungen und feudaler Willkür ein Ponyhof. Dennoch hat der Film seine Stärken.

Von der Materialschlacht zum Mystizismus

Den testamentarischen Mystizismus, der Maria zwischen Himmel und Hölle, namentlich Gabriel und Luzifer, schlingern lässt, setzt Netflix mit großer Bildgewalt in Szene. Und auch, wenn Noa Cohen die Hoffnungsträgerin einer patriarchalen Gesellschaft etwas zu sehr selbstbestimmt ist, folgt man ihrem Weg zur unbefleckten Mutter Gottes seltsam gefesselt. Um sich vor klerikaler Kritik zu schützen, hat Caruso sein Drehbuch dafür sogar einer Art interreligiösem "Writers Room" mit christlichen, jüdischen und muslimischen Autoren zur Überarbeitung vorgelegt.

Dass "Maria" schon im Vorfeld mal wegen angeblich blasphemischer Darstellungen, mal wegen unsittlicher Anspielungen kritisiert wurde, war zu erwarten. Zuletzt kamen dank der Verkörperung arabischer Charaktere durch israelische Schauspieler Proteste bis zum Boykottaufruf dazu. Doch solche Aufreger sind bei Bibelverfilmungen ohnehin eingepreist. Den Zugriffszahlen bei Netflix dürfte es eher zu- als abträglich sein.

Von Jan Freitag (KNA)