Haseloff: Erstarken rechter Gruppen im Osten nicht wegen Kirchenferne
Nach Ansicht des sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU) liegt das Erstarken rechter Strömungen in den ostdeutschen Bundesländern nicht an einer Kirchenferne der ehemaligen DDR. "Ich würde keine Kausalität damit verbinden, weil ganz Europa insgesamt eine Säkularisierungswelle erlebt", sagte der Politiker der katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost" (Donnerstag). "Man darf dabei nicht vergessen, dass die AfD eine Gründung aus der westdeutschen Elite heraus ist." Fast alle wichtigen Personen der Partei kämen noch immer aus dem Westen.
Dass rechte Parteien in den Bundesländern, die früher zur DDR gehörten, mehr gewählt werden, liegt für Haseloff vielmehr an durch das DDR-System bedingten niedrigeren Löhnen und Vermögen. Noch in den 1990er-Jahren habe die Hälfte der Menschen in Ostdeutschland nicht normal gearbeitet, ein Viertel sei arbeitslos gewesen, ein weiteres Viertel in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, im Vorruhestand oder ähnlichen Verhältnissen. Die "Affinität, Protest zu wählen", finde dort einen Nährboden.
Objektive Wahlgründe verstehen
Der Politiker rief dazu auf, sich in die Menschen hineinzuversetzen: "Stellen wir uns rein hypothetisch vor, wenn es andersherum wäre, wenn in der alten Bundesrepublik die Hälfte der Menschen viele Jahre hinweg nicht in originärer Arbeit gewesen wäre, wenn fast alle Immobilien des Bundes oder der freien Unternehmen durch Ostdeutsche gekauft worden wären, wenn alle Universitäten fast komplett von aus Ostdeutschland stammenden Professoren dominiert wären und in allen Landesregierungen zu einem großen Teil aus Ostdeutschland stammende Minister mitregierten", sagte Haseloff. Diese Befindlichkeiten könne man nicht ignorieren.
Allerdings hätten die Ostdeutschen die Veränderungen nach der Wende mitgetragen und 20 Jahre lang sehr ähnlich gewählt wie der Rest des Landes. Wenn Parteien der Mitte dort weiter groß bleiben wollten, müssten sie objektive Gründe dafür suchen, wieso viele Menschen nun Parteien am rechten oder linken Rand wählten: "Wenn ich mich nicht mit den Fakten und mit den Nöten der Menschen auseinandersetze, weiß ich ja nicht, was zur Stärkung der demokratischen Mitte entweder förderlich oder abträglich ist."
Religionsgemeinschaften unverzichtbar
Die Kirchen, die jüdischen Gemeinden und alle anderen Religionsgemeinschaften sind nach Ansicht Haseloffs "Wertegeneratoren" für die Gesellschaft. Sie seien auch mit Blick auf das Grundgesetz und den Wertekodex, der diesem zugrunde liege, unverzichtbar. "Unser Welt- und Menschenbild wäre ohne die jüdisch-christlichen Wurzeln undenkbar."
Würde dieser Wertekanon weggenommen oder zurückgedrängt, dann frage er sich, was die Alternative dazu sein solle, so Haseloff. Er selbst sehe keine. "Dieser Kodex ist nicht in einem klassisch-diffusen Begriff von Humanismus zu finden, da mit diesem bereits vieles begründet wurde, so auch die Diktatur der DDR." Die Werte müssten in der Gesellschaft präsent gehalten werden und weiterhin als Orientierung dienen. Man könne sie nicht aushebeln, erklärte Haseloff mit Blick auf Themen wie Abtreibung und Menschenwürde. (tmg/KNA)