Das Zweite Vatikanische Konzil ist bis heute Herausforderung

Fanal und Formel

Veröffentlicht am 23.09.2015 um 00:01 Uhr – Von Alexander Brüggemann (KNA) – Lesedauer: 
Teilnehmer des Zweiten Vatikanischen Konzils lauschen einer der Reden.
Bild: © KNA
Dossier: Zweites Vatikanisches Konzil

Bonn  ‐ Liberale wie Konservative in der Kirche berufen sich bis heute auf den "Geist des Konzils". Der Euphorie des Zweiten Vatikanums vor 50 Jahren folgte große Aufbruchstimmung, aber auch eine Zeit der Verunsicherung.

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Über Chats, Blogs und einschlägige Internetportale wird da die "Konzilskirche" mit Verbalattacken in die Defensive getrieben. Die Diskussion über Traditionsbruch oder Kontinuität des Konzils überdeckt inzwischen die Debatte darüber, wie weit die Kirche in den vergangenen 50 Jahren bei der Umsetzung der Konzilsbeschlüsse gekommen ist.

"Macht die Fenster der Kirche weit auf!" Das Motto, das Papst Johannes XXIII. (1958-1963) laut einer unbestätigten Anekdote nach seinem Amtsantritt ausgab, ging als Weckruf durch die katholische Kirche. Zu stark hatte die sich zuvor von einer Welt in Aufruhr abgekoppelt. Nun forderte Angelo Giuseppe Roncalli, eigentlich als "Papst des Übergangs" gedacht, die Sensation: ein "aggiornamento", eine Wiederannäherung der Kirche an die Erfordernisse der Zeit.

Denkfabrik statt Dogmen

Keine Verurteilungen wollte Johannes XXIII., keine neuen Dogmen, sondern ein von der Seelsorge geprägtes Konzil - dialogisch, nicht autoritär: eine Denkfabrik für die Fragen der Christen im 20. Jahrhundert.

Der prächtige Einzug der rund 2.500 Konzilsväter in den Petersdom am 11. Oktober 1962 wurde auch zum Triumphzug des 80-jährigen Papstes, dessen Krebserkrankung bereits deutliche Schatten warf. Für das letzte Stück des Wegs verließ er die Sänfte - ein Symbol des kirchlichen Feudalismus, das sein Nachfolger abschaffte - und ging zu Fuß: auf Augenhöhe mit den Problemen der Welt und der Weltkirche.

Zweites Vatikanisches Konzil: Papst Johannes XXIII. bei einer Ansprache, links Kardinal Ottaviani.
Bild: ©KNA

Papst Johannes XXIII. bei einer Ansprache, links Kardinal Ottaviani.

Die dreijährige Versammlung machte Geschichte und führte zu tiefgreifenden Veränderungen: etwa zu einer liturgischen Erneuerung mit Zurückdrängung der lateinischen Messe. Und zu einem verstärkten Selbstbewusstsein der Ortsbischöfe gegenüber Rom, aber auch der Laien gegenüber den Bischöfen. Auch eine Bewusstwerdung von Weltkirche und eine ökumenische Öffnung ohne Vorbild gehörten dazu. Wohl niemand konnte ahnen, wie viel theologisches und kirchenpolitisches Ringen und wie viel Wehen des Heiligen Geistes dafür noch notwendig sein würden.

Aus der Wagenburg zurück in die Welt

Eine Neuausrichtung solchen Ausmaßes ging nicht ohne innere Widerstände ab. Alsbald entspann sich ein heftiges Ringen zwischen "Bewahrern" und "Progressiven", unter denen sich vor allem die Nordeuropäer hervortaten. Dass die Reformbestrebungen nicht vornehmlich von einer kirchenpolitischen "Linken" vorangetrieben wurden, sondern tatsächlich aus dem "Mainstream" der Konzilsmehrheit entsprangen, belegt nicht zuletzt der Bauernsohn Johannes XXIII. selbst, dessen theologisch tief konservative Gesinnung niemand ernsthaft in Zweifel ziehen kann.

Festakt zum Konzil live

Die deutschen Bischöfe feiern bei ihrer Herbstvollversammlung die Beschlüsse des Konzils. Am Donnerstag, 24. September 2015, überträgt katholisch.de um 15.00 Uhr die Festakademie "50 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil". Hauptredner ist Kardinal Karl Lehmann. Das wichtigste seiner Ansprache können Sie im Anschluss bei uns nachlesen.

Aus der Wagenburg, in die sich Kirche und Päpste seit der Französischen Revolution in einseitigen Verurteilungen gegen die Welt draußen verschanzt hatten, fanden die Konzilsväter durch Tausende Seiten Akten, Entwürfe und Änderungsanträge tastend den Weg zurück zu den Fragen der Menschen in der Moderne.

Das Konzil machte Berater und Bischöfe zu Helden, zu Stars der Theologie des 20. Jahrhunderts: Schillebeeckx, Bea, Küng, König, Congar, Rahner, Ratzinger. Die "Bewahrer" wurden dagegen zu Buhmännern abgestempelt, etwa Kardinalstaatssekretär Ottaviani. "Die Deutschen", die auf dem Konzil zu den Zugpferden der Reform gehörten, bekamen allerdings zunehmend Bedenken, vor den Karren der kirchlichen Linken gespannt zu werden - zumal aus der Heimat bereits immer weiter gehende Reformwünsche geäußert wurden.

Papst Ratzinger und die Traditionalisten

Die teils scharfen Auseinandersetzungen der beiden Pole hielten bis zum letzten Tag des Konzils an - und setzen sich bis heute in Pfarreien und Pfarrsäle hinein fort. Beide Strömungen berufen sich auf den "Geist des Konzils" - eine Folge auch der Not der Konzilsväter, angesichts der Flut der abzuarbeitenden Dokumente große Kompromisse selbst in zentralen Formulierungen schließen zu müssen.

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Der Euphorie des Konzils folgte ein Aufbruch, aber auch eine Zeit der Verunsicherung. Oft übers Ziel hinaus schießende Experimentierfreude im Gottesdienst und der regelrechte Bildersturm bei Kircheneinrichtungen und liturgischen Kunstschätzen trieb viele Katholiken in die Arme von Traditionalisten; etwa der "Priesterbruderschaft Pius X.", die zentrale Konzilsbeschlüsse ablehnte und letztlich den Weg ins Schisma wählte. Die für viele traumatische "Revolution der 1968er" bekräftigte sie in der Meinung, die Kirche habe sich zu sehr dem Zeitgeist angedient.

Eine These übrigens, die viele Kommentatoren auch als Interpretationsmuster für das Entgegenkommen des emeritierten Papstes Benedikt XVI. an die Piusbrüder bemühen: Der junge, aufbruchbereite Konzilstheologe Ratzinger habe, verschreckt von den Auswüchsen der neuen kirchlichen Freiheit und den Studentenrevolten, später der "Welt" den Rücken gekehrt und sich der Verteidigung der Tradition zugewandt. Wohlmeinendere betonen dagegen, Benedikt XVI. stehe fest zum Konzil, das er selbst mit geprägt habe - allerdings nicht immer zu der liberalen Konzilsinterpretation in der westlichen Welt.

Manche halten heute sogar bereits ein Drittes Vatikanum für notwendig. Doch es war der wichtigste Konzilshistoriker des 20. Jahrhunderts, Hubert Jedin (1900-1980), der als Essenz seiner Forschungen festhielt: Jedes Konzil hat mindestens ein halbes Jahrhundert bis zu seiner Umsetzung warten müssen. Das wäre nun bald.

Von Alexander Brüggemann (KNA)