Die Friedensbotschaft von Taize wurzelt im Krieg
Roger Schutz (1915-2005) ist ein Getriebener. Erst spät findet der Sohn eines reformierten Pfarrers zum Glauben - und er muss ihm folgen. Sein wissenschaftliches Theologiestudium in Lausanne und Straßburg ist für ihn mehr Mittel als Freude. Im Zweiten Weltkrieg sucht Roger, zunächst vergeblich, einen Ort, um in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten leben und zugleich Kriegsflüchtlingen helfen zu können. Schließlich findet er im Sommer 1940, ganz in der Nähe des untergegangenen mittelalterlichen Reformklosters Cluny, das verfallene Weindorf Taize. Es ist ein heruntergekommener, geistlich verwaister Flecken. Der letzte Pfarrer ist schon lange fort. Viele der Weinbauern waren im Ersten Weltkrieg geblieben. Die Weinberge sind verloren - ebenso wie die letzten Dutzend Bewohner, zumeist Alte und Einsame.
Roger versteckt Flüchtlinge
Mit geliehenem Geld kauft Roger eines der Natursteinhäuser im Ort. Nur ein paar Kilometer sind es von hier bis zur Demarkationslinie zwischen dem nazibesetzten Frankreich und dem sogenannten freien Vichy-Frankreich. Hier versteckt Roger vor den Deutschen jüdische und politische Durchgangsflüchtlinge, die in die Schweiz wollen. In manchen Wochen leben bis zu einem Dutzend Menschen im Haus. Oft kommt die Gestapo zum Verhör - doch immer fliehen die Flüchtlinge rechtzeitig in den Wald. Im Herbst 1942 wird Roger denunziert, das Haus geräumt. Er, der gerade einen Schützling in die Schweiz gebracht hat, kann nicht mehr zurück.
Nach der Befreiung Frankreichs 1944 dann ein neuer Anlauf. Roger bringt diesmal einige Gleichgesinnte mit; die Keimzelle der künftigen Brüdergemeinschaft. Dazu gehören auch Max Thurian (1921-1996), der theologische Mitbegründer von Taize, und Rogers jüngste Schwester Genevieve Schutz-Marsauche (1912-2007). Alle drei liegen heute, nah beieinander, in einfachen Gräbern vor der romanischen Kirche des Dorfes bestattet.
Sorge auch um deutsche Kriegsgefangene
Mit der Umkehr der politischen Vorzeichen gilt Rogers Engagement nun auch umgekehrt: Jetzt kümmert er sich um deutsche Kriegsgefangene aus der Umgebung und teilt seine Mahlzeiten mit ihnen. Für die Franzosen ein Ärgernis. Einer der Männer, ein schwer kranker Priester, wird von zornigen Kriegswitwen sogar buchstäblich zu Tode geprügelt. Für rund drei Dutzend Kriegswaisen mieten die Brüder zwei weitere Häuser an. Die Mutterrolle übernimmt Genevieve, die zeitlebens in Taize bleibt und, unverheiratet, Mutter und Großmutter von vielen wird. Die Zeiten sind hart nach dem Krieg, die Not groß. Doch wahrscheinlich ist es genau dieser karge Nährboden, der die Idee von Taize binnen zwei Jahrzehnten zu einem Welterfolg machen sollte.
Linktipp: Aufbruch zu neuen Ufern
Im Jahr der Gedenktage geht es in der Communauté de Taizé viel um die eigene Vergangenheit. Aber die Brüder vergessen nicht den Blick nach vorn: Kuba, China und Benin sind die nächsten Ziele der ökumenischen Gemeinschaft.1948 erlaubt der Vatikanbotschafter in Frankreich, Erzbischof Angelo Giuseppe Roncalli, später der Papst des Konzils Johannes XXIII. (1958-1963), den protestantischen Brüdern die Nutzung der katholischen Pfarrkirche zum Gebet. Und am Ostersonntag 1949 legen die ersten sieben Brüder ein Gelübde für Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam ab. Sie alle kommen aus Kirchen der Reformation; eine Bindung auf Lebenszeit ist ihnen eigentlich zunächst fremd. Erst 1953 gibt Frere Roger, der sich viel mit dem klassischen Mönchtum beschäftigt hat, seiner evangelischen Gemeinschaft eine Regel. Die Frage zu Beginn des Aufnahmeritus lautet: "Geliebter Bruder, wonach verlangst du?" - "Nach der Barmherzigkeit Gottes und der Gemeinschaft meiner Brüder", so die Antwort. "Gott vollende in dir, was er begonnen", betet der Prior und läutet damit eine Reihe von Fragen ein, die der Bewerber mit "Ich will es" beantwortet.
Seit 1969 leben mit Erlaubnis des Pariser Erzbischofs auch katholische Brüder auf dem Hügel von Taize. Aus der evangelischen Brüdergemeinschaft im Geist von Frere Roger hat sich die erste ökumenische Ordensgemeinschaft der Kirchengeschichte entwickelt.