Er habe ein reines Gewissen

Nach Belästigungsvorwürfen: Abt sieht sich als Opfer

Veröffentlicht am 15.04.2025 um 12:43 Uhr – Lesedauer: 5 MINUTEN

Bern/Saint Maurice ‐ Rüge aus Rom, Kritik aus der Schweiz: Der Abt von St. Maurice kehrte in sein Amt zurück – und betrachtet sich als rehabilitiert. Doch diese Einschätzung wird nicht überall geteilt.

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Der wegen unangemessenen Verhaltens vom Vatikan gerügte Abt Jean Scarcella (73) sieht sich als Opfer einer Medienkampagne. Das Schweizer Fernsehen habe einen Bericht inszeniert, um seine Abtei in Verruf zu bringen, sagte der Abt der Westschweizer Zeitung "Le Nouvelliste" am Dienstag. Jedoch habe der Bericht auch etwas Gutes, denn er habe die Gemeinschaft gezwungen, die Vergangenheit aufzuarbeiten, so Scarcella.

Nach Belästigungsvorwürfen hatte der Abt der traditionsreichen Schweizer Abtei Saint-Maurice sein Amt für 18 Monate ruhen lassen. Im März war er nach einer Rüge aus Rom in sein Amt zurückgekehrt. Scarcella betont nun im Interview seine Unschuld – er habe ein reines Gewissen.

Alle Zweifel ausgeräumt?

Der Dachverband der Landeskirchen (RKZ) hatte die Entscheidung zur Rückkehr ins Amt kritisiert: "Wenn Abt Jean Scarcella die juristische Entscheidung zur Einstellung der Verfahren gegen ihn und seine Mitbrüder nun im Sinn einer moralischen Unbedenklichkeit interpretiert, so ist dies vor allem von einem Mann der Kirche nur schwer zu verstehen."

Auf diese Kritik reagierte Scarcella im Interview: "Warum die Rücktrittsforderung durch die RKZ? Bedeutet das, dass sie sich über die Staatsanwaltschaft stellt? Muss jemand trotz Rehabilitierung gehen? Das widerspricht meinem Verständnis von Gerechtigkeit." Der Abt betonte, alle Zweifel an ihm seien "durch die zivil- und kirchenrechtlichen Verfahren ausgeräumt" worden. Seine Rückkehr ins Amt sei daher naheliegend gewesen.

Luftbild der Abtei Saint-Maurice
Bild: ©picture alliance / Zoonar | Georg (Archivbild)

Die Abtei Saint-Maurice ist ein Kloster der Augustiner-Chorherren im Schweizer Kanton Wallis.

Dem Ordensmann wurde vorgeworfen, sich einem Jugendlichen gegenüber übergriffig verhalten zu haben. Die Staatsanwaltschaft im Kanton Wallis stellte nach Ermittlungen alle angezeigten Fälle wegen Vorwürfen von sexuellem Missbrauch gegen Angehörige der Abtei ein. In den meisten Fällen seien die Gründe dafür Verjährung oder die Unmöglichkeit, den Sachverhalt zu belegen. Dies sei auch bei Scarcella der Fall.

Das Verhalten Scarcellas sei dennoch zu verurteilen, entschied damals das vatikanische Dikasterium für die Bischöfe unter Leitung von Kardinal Robert Francis Prevost. Denn es demonstriere eine Haltung, "die nicht der Vorsicht entspricht, die von Klerikern in zwischenmenschlichen Beziehungen erwartet wird". Im Oktober rügte der Vatikan Scarcella für unangemessenes Verhalten einem jungen Mann gegenüber. Gleichzeitig erklärte das Bischofsdikasterium aber, es gebe "keine Beweise für Missbrauch oder Belästigung im eigentlichen Sinn".

Rüge als Freispruch?

Diese Rückmeldung aus Rom vergleicht Scarcella mit einem Freispruch. Sie sei eine Besonderheit des Kirchenrechts, die man außerhalb der Kirche nicht verstehe. Die Ermahnung sei eine präventive Maßnahme: "Obwohl der Fehler nicht nachgewiesen ist, sagt die Kirche, dass er, wenn es ihn gegeben hätte, nicht mehr vorkommen sollte."

Das Berner "Pfarrblatt" stellt diese Interpretation in Frage. Mehrere Kirchenrechtler hätten bestätigt, dass eine kanonische Rüge mit einer Abmahnung im Arbeitsrecht vergleichbar sei und nicht leichtfertig ausgesprochen werde, sondern nur dann, wenn etwas Erhebliches vorgefallen sei, so das Pfarrblatt am Dienstag (online). Das hätten verschiedene Fälle aus der Vergangenheit gezeigt, in denen Rom trotz aufwendiger Voruntersuchungen keine Rüge ausgesprochen habe.

Die im 6. Jahrhundert gegründete Abtei Saint-Maurice gilt als ältestes Kloster des Abendlandes, das ohne Unterbrechung besteht. Sie untersteht unmittelbar dem Papst. (KNA)