Menschenfreund mit Gottvertrauen – Alterzbischof Thissen ist tot

"Ich möchte ganz, ganz alt werden", sagte Werner Thissen einmal. Aber er sei auch gespannt auf die Ewigkeit, die gewiss "etwas Wunderbares" werde. Nun wird es der frühere Hamburger Erzbischof wohl erfahren. Thissen starb am Dienstag im Alter von 86 Jahren in Hamburg, wie das Erzbistum am selben Tag mitteilte. Als Oberhirte in der norddeutschen Diaspora und als Stimme des katholischen Entwicklungshilfswerks Misereor hat der Geistliche der Kirche jahrzehntelang seinen Stempel aufgedrückt. Selbst Kirchenferne bescheinigten dem Fußball- wie Kultur-Begeisterten Kompetenz, Kommunikationstalent und Humor.
Der aktuelle Erzbischof Stefan Heße würdigte seinen Vorgänger als Geistlichen, der die Weiterentwicklung des jungen Erzbistums wesentlich vorangetrieben habe. "Er hat das Pastoralgespräch unter dem Leitwort 'Salz im Norden' initiiert, das viele Menschen miteinander ins Gespräch brachte und wichtige Leitsätze für das Selbstverständnis der katholischen Kirche im Norden entwickelte", so Heße.
Fehler im Umgang mit Missbrauch
Für Aufsehen sorgte Thissen zuletzt, als er 2019 als erster deutscher Bischof persönliche Fehler im Umgang mit Fällen von sexuellem Missbrauch einräumte. Der damals 80-Jährige und bereits im Ruhestand lebende Theologe bezeichnete es als "schweren Fehler", als Personalverantwortlicher im Bistum Münster ab den 1970er-Jahren "überzogen und unrealistisch" auf die Therapierbarkeit von Tätern vertraut zu haben. Ein weiterer Fehler sei es gewesen, kaum mit Betroffenen Kontakt gehabt zu haben. Eine im Jahr 2022 vorgestellte Missbrauchsstudie für das westfälische Bistum bestätigte diese Fehler. Daraufhin wurde Thissen der Titel des Ehrendomkapitulars in Münster entzogen.
Thissen wurde am 3. Dezember 1938 in Kleve am Niederrhein geboren. Statt das Schuhgeschäft seiner Eltern zu übernehmen, entschied er sich für den Priesterberuf. So folgten auf vier Semester Volkswirtschaft in Köln ein Studium der Theologie und Philosophie in Münster. Am 29. Juni 1966 empfing er in Münster die Priesterweihe. Nach seiner Kaplanszeit arbeitete der promovierte Theologe unter anderem am Priesterseminar in Münster und ab 1977 im dortigen Generalvikariat.

Auch als emeritierter Erzbischof lebte Thissen weiter im Hamburger Stadtteil Sankt Georg – in der Nähe des Mariendoms.
Ab 1978 war er zunächst Personalchef, dann Generalvikar und später Weihbischof in Münster. 2003 wurde er Oberhaupt des 1995 neu gegründeten Erzbistums Hamburg. Damit stand er Deutschlands flächenmäßig größtem Bistum mit damals rund 400.000 Katholiken in Hamburg, Schleswig-Holstein und dem ostdeutschen Landesteil Mecklenburg vor. Ab dem Jahr 2000 war Thissen zudem innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für das Hilfswerk Misereor zuständig.
Im Frühjahr 2014 nahm Papst Franziskus den altersbedingten Rücktritt des damals 75-Jährigen an. Sein Nachfolger als Hamburger Erzbischof wurde Heße. Auch als emeritierter Bischof lebte Thissen weiter im Hamburger Stadtteil Sankt Georg – in der Nähe des Mariendoms. Er engagierte sich als Seelsorger und hielt bundesweit Vorträge für Priester und Ordensleute.
Einsatz für Vertrauen und gegen Extremismus
Kommunikation war für Thissen, der zehn Jahre zum Sprecherteam für das "Wort zum Sonntag" in der ARD gehörte, ein zentrales Anliegen – etwa um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Das Thema Ökumene war für den Hamburger Erzbischof, in dessen Region die Katholiken eine Minderheit bilden, schon qua Amt auf der Agenda. Das zeigte sich auch bei Thissens Engagement für die Würdigung der vier "Lübecker Märtyrer". 1943 ermordeten die Nationalsozialisten die drei katholischen Kapläne und den evangelischen Pfarrer wegen ihres gemeinsamen Widerstands. 2011 wurden die Kapläne in Lübeck seliggesprochen; bei der Feier erhielt der evangelische Pastor ein ehrendes Gedenken.
Auch rechtsextreme Tendenzen in Gesellschaft und Kirche ließen den Geistlichen nicht ruhen. Er war einer der ersten Bischöfe, der in den Irritationen um die traditionalistische Piusbruderschaft und deren den Holocaust leugnenden Bischof Richard Williamson eine klare Distanzierung des Vatikans forderte. Als der Fall 2009 bekannt wurde, besuchte er den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Hamburg, um ihm sein Bedauern auszudrücken.
Über seinen letzten "irdischen Chef", Papst Franziskus, fand der Erzbischof lobende Worte: "Der Papst hat eine äußerst menschliche, zugewandte Art." Attribute, die auch auf Werner Thissen selbst passten.