Ein Besuch in der Stadt der Fastentücher

Stiller, dankbarer Gottesglaube

Veröffentlicht am 23.03.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Kulturgeschichte

Zittau ‐ Jahrhundertelang wurde die Heilige Messe in der Fastenzeit hinter großflächigen Fastentüchern gefeiert. Nur wenige Tücher dieser Art sind noch erhalten. Ein Besuch in Zittau, der Stadt der Fastentücher.

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Das historische Zentrum der alten Bergarbeiterstadt ist teilweise gut restauriert. Ein Spaziergang lohnt. Der Höhepunkt für kunst- und kulturhistorisch Interessierte, und natürlich jeden gläubigen Christen, sind das "Große Zittauer Fastentuch" von 1472 und das "Kleine Zittauer Fastentuch" von 1573.

Das erste ist eine 8,20 Meter hohe und 6,80 Meter breite einzigartige Bilderbibel mit Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. 200 Jahre verhüllte das kostbare Leinentuch in der vorösterlichen Fastenzeit den Altarraum der Zittauer Hauptkirche St. Johannis. Dann begann seine Odyssee voller Rätsel und Misslichkeiten. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs wäre es fast zerstört worden, als es russische Soldaten für eine Freiluftsauna im Wald missbrauchten und in vier Teile zerschnitten.

Kunstwerk von Weltgeltung

Heute wird dieses Kunstwerk von Weltgeltung nach gelungener Restaurierung durch die schweizerische Abegg-Stiftung im eigens dafür geschaffenen Museum der ehemaligen Kirche zum Heiligen Kreuz präsentiert – in der laut Guinness Buch der Rekorde "größten Museumsvitrine der Welt".

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Video: © Stabsabteilung Kommunikation | Bistum Essen

Evan Khamo, 27 Jahre aus Essen, fastet durch teilen.

Aber auch das 4,30 mal 3,40 Meter große "Kleine Zittauer Fastentuch", das im ehemaligen Franziskanerkloster – heute Kulturhistorisches Museum – ausgestellt wird, ist eine einzigartige Kostbarkeit. Es zeigt eine monumentale Kreuzigungsszene umrahmt von mehr als 40 Symbolen der Passion.

Weltweit gibt es nur noch sieben Exemplare dieser Art, in Deutschland ist das Tuch das einzige. Geschaffen von einem unbekannten Maler 1573, hat es dazu die Besonderheit, dass eine evangelische Gemeinde dieses 56 Quadratmeter große Tuch in Auftrag gab, was nach Martin Luthers abschätzigem Urteil von 1526 zu Fastentüchern als "päpstlichen Gaukelwerk" schon an ein Wunder in diesem Kernland der Reformation grenzte.

Jährlich kommen alleine an die 40.000 Besucher nach Zittau, um die beiden Fastentücher zu sehen. Beider Schicksal erzähle eine Geschichte von ungebrochener Schönheit und künstlerischer Meisterschaft, stillem dankbarem Gottesglauben, Achtlosigkeit und Vergessen, wiederentdeckter Ehrfurcht und Interesse, roher Gewalt und Zerstörung, Scham und Schweigen, gemeinschaftlicher Sorge, Aufbruch und schließlich Auferstehung, wie Volker Dudeck, ehemaliger Direktor der Städtischen Museen Zittau, in den Zittauer Geschichtsblättern schreibt.

Interessantes Umland

Wer einmal in Zittau ist, dem sei auch ein Abstecher in das nur 15 Kilometer entfernte Herrnhut empfohlen. Besonders bei evangelischen Christen ist es weltweit bekannt durch seine Brüder-Unität, die bis heute die täglichen Losungen aus der Bibel in 50 Sprachen herausgibt. Auch der populäre 25-zackige Adventsstern wird hier in einer Manufaktur das ganze Jahr über gefertigt und in alle Welt versandt.

Auch der Berg Oybin im gleichnamigen sächsische Luftkurort mit seiner Klosterruine lohnt von Zittau aus einen Ausflug. Ebenso sehenswert sind die Basilica minor des Heiligen Laurentius in Jablonné v Podještědí (Deutsch Gabel), die Kapelle der Heiligen Anna in Mnichovo Hradiště (Münchengrätz) sowie die Kirche Maria Heimsuchung in Hejnice (Heindorf) auf der tschechischen Seite der "Via sacra", einer touristisch erschlossenen, auf alten Handelswegen verlaufenden Route im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien.

Von Rocco Thiede

Weitere Informationen zu den Zittauer Fastentüchern sowie eine Übersicht über die Öffnungszeiten und Eintrittspreise der Museen gibt es hier: http://www.zittau.eu/fastentuecher