Wenn der Jakobsweg sich nicht wehren kann

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Und wieder neue Bücher zum Jakobsweg. Läuft immer seit Kerkeling, so wirkt es. Der eine Verlag setzt auf einen ungewöhnlichen Bus, der andere auf weite Umwege eines Motorrads. "Mit einem umgebauten Doppeldecker-Bus rollte er den Jakobsweg entlang, auf der Suche nach neuen Begegnungen und seinem eigenen Lebensweg", heißt es. Oder – keine Satire – über den Jakobsweg-Protagonisten, der statt des Fußwegs mit Motorrad kreuz und quer durch Europa gen Santiago zog: "Er scheute die damit verbundenen körperlichen Belastungen." Wäre ja noch schöner, wenn diese Pilgerei anstrengend würde.
Gelegentlich beschleicht mich das Gefühl, dass der Jakobsweg für alles herhalten muss. Unvergessen bleibt mir die vorab gut vermarktete kleine Wanderung (weniger als eine Stunde) vor gut 20 Jahren mit zwei leibhaftigen Ministerpräsidenten in der Nähe der innerdeutschen Grenze: "Ein neues Stück Jakobsweg!" Zwar wusste niemand so genau, woher und wohin und ob überhaupt dieses Stück Weg Richtung Spanien führe. Aber egal. Das Stichwort Jakobsweg zog schon damals. Vielleicht gab es auch öffentliche Fördermittel.
Wer "Filme Jakobsweg" googelt, entdeckt: Dieser Doppeldecker rollte auch schon in der ARD der Muschel hinterher. Und bei der ARD wurde auf dem Jakobsweg in Galizien gemordet, beim ZDF im Erzgebirge. Im Erzgebirge scheint der Jakobsweg besonders kriminell. Beim MDR wurde dort zwar nicht gemordet, aber gestohlen. Mal freut der Weg die Touristiker, mal die Filmemacher oder die Buchverkäufer. Mal wird es aber auch absurd. Irgendwann im Südwesten Deutschlands führte mich die Ausschilderung des Jakobswegs eines hitzigen Sommertags zwei Kilometer sanft hinauf in ein verschlafenes Dorf mit einer verschlossenen Kirche und einem verschlossenen Cafe. Das wars, dann ging es exakt den gleichen Weg wieder hinab.
Klar, jede Vermarktung zeigt, dass der Jakobsweg ein Erfolgsprodukt ist. Aber man sollte die Leute auch nicht für zu dumm verkaufen. Körperliche Anstrengungen gehören dazu, auch nette, persönliche Begegnungen mit Menschen am Wege, selbst die Bitte um ein Gebet. Und die großen und kleinen Fragen des Lebens, geistliche Momente, zweifelndes Fragen. Vielleicht ist das Geheimnis des Jakobswegs, dass allzuviele Bücher im Gepäck stören und unterwegs nicht gemordet wird. Aber man muss einfach gehen.
Der Autor
Christoph Strack ist Fachredakteur der Deutschen Welle für Religion und Religionspolitik.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.