Guy Consolmagno ist Direktor der Sternwarte "Specola Vaticana"

Papst-Astronom: Das Universum könnte vor Leben wimmeln

Veröffentlicht am 26.07.2025 um 12:00 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Rom/Bonn ‐ Glaube gibt ihm Vertrauen in die Wissenschaft – und Wissenschaft hilft ihm, den Glauben zu verstehen: Papst-Astronom und Jesuit Guy Consolmagno erklärt im katholisch.de-Interview, warum beides für ihn zusammengehört und anderes Leben außerhalb der Erde offen bleibt.

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"Mein Glaube gibt mir die Zuversicht, mich der Wissenschaft zu widmen. Und die Wissenschaft gibt mir die Werkzeuge, meinen Glauben zu verstehen." Mit diesen Worten bringt der Astronom des Papstes, Guy Consolmagno, sein Selbstverständnis auf den Punkt. Der Jesuit und Direktor der vatikanischen Sternwarte spricht im Interview mit katholisch.de darüber, ob der Blick in die Weiten des Universums seine Sicht auf die Schöpfung verändert hat – und wie wahrscheinlich er außerirdisches Leben einschätzt.  

Frage: Als Jesuit sind Sie nicht nur ein Mann des Glaubens, sondern auch Wissenschaftler. Hat der Blick in die Weiten des Universums Ihre Sicht auf die Schöpfung verändert? Wie gelingt es Ihnen persönlich, Wissenschaft und Glauben in einen Dialog zu bringen und wo überschneiden sich diese beiden Welten für Sie? 

Consolmagno: Mein Glaube gibt mir die Zuversicht, mich der Wissenschaft zu widmen. Und die Wissenschaft gibt mir die Werkzeuge, meinen Glauben zu verstehen. Sie ersetzen einander nicht, sie erfüllen nicht einmal dieselbe Aufgabe, und doch hilft mir jede von ihnen zu lernen, wo ich nach der Wahrheit suchen und wie ich sie erkennen kann, wenn ich sie sehe. 

Wenn ich zum Beispiel Wissenschaft betreibe, gehe ich im Glauben davon aus, dass das Universum tatsächlich Gesetzen folgt und dass ich diese Gesetze verstehen kann –– und ich gehe davon aus, dass das Universum an sich es wert ist, erforscht zu werden, einfach um seiner selbst willen. Den Mut, solche Dinge für wahr zu halten, schöpfe ich aus meinem Glauben, aus der Überzeugung, dass Gott das Universum absichtlich als einen Akt der Liebe erschaffen hat. Andererseits erlaubt mir meine Wissenschaft, die Genesis als ein Buch der Theologie zu lesen, nicht als ein Buch der Wissenschaft – etwas, worauf schon der heilige Augustinus vor 1700 Jahren hingewiesen hat. Und je mehr mir meine Wissenschaft darüber verrät, wie dieses erstaunliche Universum funktioniert, desto mehr kann ich den wunderbaren Schöpfer bewundern, den es hat. 

Frage: Sehen Sie Gott als Teil dieses Universums – oder als jenseits von Raum und Zeit existierend? 

Consolmagno: Beides, natürlich. Im ersten Vers der Genesis ist Gott bereits da, bevor die Schöpfung stattfindet. Gott ist übernatürlich, jenseits der Natur, existierend jenseits von Raum und Zeit. Aber dann – aus Gründen, die wir nie ganz begreifen können, es hat etwas mit der Liebe zu tun – beschließt Gott, Raum und Zeit zu erschaffen. Und da die Schöpfung von außerhalb von Raum und Zeit geschieht, bedeutet das, dass jeder Raum und jede Zeit immer noch im Prozess des Erschaffens ist. Das ist etwas, das der heilige Thomas von Aquin gut verstanden hat. 

Und dann, noch geheimnisvoller, entscheidet sich Gott, Fleisch zu werden, inkarniert an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit. Dadurch ist das Universum "gereinigt und belebt" worden, um die Worte des heiligen Athanasius zu verwenden. Und diese Inkarnation setzt sich in der Feier der Eucharistie fort. Also ist Gott, der außerhalb des Universums ist (und ihm so einen Sinn geben kann, den es sich selbst nicht geben kann), zugleich innig im Universum gegenwärtig. 

Bild: ©KNA/Agenzia Romano Siciliani

Der Jesuit Guy Consolmagno ist Direktor der Vatikanischen Sternwarte.

Frage: Wie stehen Sie zur Möglichkeit außerirdischen Lebens – und haben Sie eine konkrete Vorstellung davon, oder bleibt das für Sie eine offene Frage? 

Consolmagno: Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht einmal genug, um eine fundierte Vermutung anzustellen! Beispielsweise zeigte die berühmte Drake-Gleichung all die verschiedenen Variablen, die man definieren müsste, um die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, eine außerirdische Zivilisation zu finden. Aber es ist offensichtlich, dass bestimmte Faktoren dieser Gleichung – wie die relative Seltenheit des Entstehens von Leben auf einem Planeten oder die Wahrscheinlichkeit, dass Leben Intelligenz entwickelt – völlig unbekannt sind. Das Universum könnte vor Leben wimmeln, wir könnten aber auch allein sein. 

Frage: Und wie vereinbaren Sie diese Möglichkeit mit Ihrem Glauben? 

Consolmagno: Wichtig ist zu bedenken, dass nichts in unserem Glauben oder in der Schrift dagegen spricht, dass es andere Geschöpfe gibt, die in einer Beziehung zu Gott stehen. Unsere eigene Tradition der Engel ist nur ein Beispiel für nicht-menschliches Leben. An anderen Stellen sprechen die Psalmen und andere Bücher der Schrift wie Hiob und der Prophet Baruch davon, dass die Sterne selbst den Schöpfer mit ihrem Gesang preisen. Glaube ich tatsächlich, dass Sterne singen? Das spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass das poetische Bild selbstverständlich davon ausgeht, dass die Menschen nicht die einzigen von Gott geschaffenen Geschöpfe sind. Die Vorstellung, dass der Mensch einzigartig im Universum ist, stammt nicht aus der Schrift; das ist eine der vielen naiven Ideen, die von Philosophen der Renaissancezeit gefördert wurden. 

Frage: Welche Rolle spielen für Sie die bereits erwähnten Engel und Dämonen aus der christlichen Tradition – von denen ja ebenfalls gesagt wird, sie bewohnten "andere Sphären"? 

Consolmagno: Diese Begriffe sind poetische Bilder, die Realitäten beschreiben, die sich auf keine andere Weise leicht ausdrücken lassen. Ich beobachte in meinem eigenen Leben, dass ich ständig von Versuchungen und Ängsten bombardiert werde, die keinen Sinn ergeben; und ich erlebe auch gute Impulse, die scheinbar aus dem Nichts kommen, mich aber trösten und stärken. Diese Erfahrungen als die Stimmen kleiner Geister zu verstehen, die mir ins Ohr flüstern, gibt mir eine Möglichkeit, sie zu begreifen und mit ihnen umzugehen. 

Und tatsächlich greife ich auch in meiner wissenschaftlichen Arbeit oft auf solche einfachen, aber nützlichen Bilder zurück. Wenn ich zum Beispiel Studierenden etwas über Elektronen beibringe, mache ich ihnen klar, dass die wahre Natur der Elektronen fast unmöglich zu begreifen ist. Aber wenn man versucht, über Elektrizität in einem Draht nachzudenken, kann man sich Elektronen als kleine silberne Kügelchen vorstellen, vielleicht mit aufgemalten Minuszeichen, die durch die Atome des Drahtes hüpfen! Dieses Bild ist einfach und albern, und doch vermittelt es ein gewisses Verständnis davon, was beim Phänomen der Elektrizität vor sich geht. 

„Wichtig ist zu bedenken, dass nichts in unserem Glauben oder in der Schrift dagegen spricht, dass es andere Geschöpfe gibt, die in einer Beziehung zu Gott stehen.“

—  Zitat: Jesuit Consolmagno

Frage: Kommen wir zum vatikanischen Observatorium. Warum betreibt die Kirche es heute noch? 

Consolmagno: Die moderne Version des vatikanischen Observatoriums wurde von Papst Leo XIII. im Jahr 1891 eingerichtet, um der Welt zu zeigen, dass die Kirche die Wissenschaft unterstützt. Das war damals wichtig, weil man gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann zu behaupten, Religion und Wissenschaft seien Feinde. Ich vermute, einer der Gründe für diese Haltung damals war, dass die Kirche die Bosheit der Eugenik erkannte – ein großer Trend jener Zeit – bevor sich deren logische Konsequenz in den Todeslagern der Nazis zeigte. Schon lange vorher, im Jahr 1582, hatte die Kirche Astronomen engagiert, um bei der Reform des Gregorianischen Kalenders zu helfen. Und natürlich war die Astronomie in der Zeit der Entdeckungsreisen auch für die Zeitmessung und die Navigation nützlich. 

Tatsächlich war die Astronomie schon im Mittelalter eines der vier Fächer des "Quadrivium" an den ersten Universitäten, die von der Kirche gegründet wurden. Was dort gelehrt wurde, entsprach ungefähr dem, was wir heute Kosmologie nennen würden: wie das Universum beschaffen ist und wie es sich verhält. Vieles davon basierte auf den Vorstellungen der aristotelischen Physik – der besten Wissenschaft ihrer Zeit, immerhin 1500 Jahre lang. 

Frage: Aber? 

Consolmagno: Diese Physik war zwar nützlich, wurde aber nicht wegen ihrer Nützlichkeit gelehrt. Sie wurde gelehrt, weil das Verstehen von Gottes Schöpfung ein großartiger Weg ist, den Schöpfer kennenzulernen. Das spiegelt wider, was der heilige Paulus schon im ersten Kapitel des Römerbriefs schrieb: Seit Beginn der Zeit offenbart sich Gott in den Dingen, die Er gemacht hat. 

All diese Gründe, Astronomie zu betreiben, sind heute genauso gültig wie damals. Es gibt viele praktische Anwendungen der Erkenntnisse, die wir durch die Astronomie gewinnen, aber die eigentliche Motivation ist schlicht die Freude daran, Gottes Schöpfung zu erleben. Und dass die Kirche auf höchstem Niveau in einer Wissenschaft wie der Astronomie mitwirkt, widerlegt weiterhin den Mythos, dass Kirche und Wissenschaft im Widerspruch stünden.

Aufnahme des James-Webb-Teleskop
Bild: ©NASA

Die rund ein Dutzend Jesuiten, die heute als Wissenschaftler an der Specola arbeiten, kommen aus der ganzen Welt – aus Asien und Afrika ebenso wie aus Europa und Amerika, sagt Consolmagno.

Frage: Wie werden Sie in der wissenschaftlichen Gemeinschaft wahrgenommen? 

Consolmagno: Die rund ein Dutzend Jesuiten, die heute als Wissenschaftler an der Specola arbeiten, kommen aus der ganzen Welt – aus Asien und Afrika ebenso wie aus Europa und Amerika. Wir alle haben Doktortitel von denselben Universitäten wie unsere wissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen, wir veröffentlichen mit ihnen gemeinsam in denselben Fachzeitschriften, wir sind in denselben wissenschaftlichen Organisationen tätig. Wir arbeiten als Gutachter für alle großen wissenschaftlichen Zeitschriften und in Gremien, die staatlichen Einrichtungen wie der ESA oder der NASA dabei helfen, Forschungsprojekte auszuwählen. Wir bekleiden Ämter in der Internationalen Astronomischen Union (in der der Vatikan als Nation neben den anderen Nationen der Welt Mitglied ist) sowie in anderen wissenschaftlichen Organisationen wie der American Astronomical Society. 

Frage: Was ist mit der nächsten Generation und wo finden die Jesuiten so viele Astrophysiker? 

Consolmagno: Durch dieses Netzwerk an Arbeit sind wir auch bei jungen Wissenschaftlern gut bekannt. Einige von ihnen treten schließlich in den Jesuitenorden ein. Im Moment gibt es ein halbes Dutzend junger Jesuiten in Ausbildung, die vielleicht eines Tages zur Specola stoßen werden; oder aber sie werden an Jesuitenuniversitäten und -schulen in ihren Heimatländern unterrichten. Die Anwesenheit dieser jungen Männer, von denen die meisten während ihrer Ausbildung Sommer oder andere Zeiträume bei uns gearbeitet haben, ist ein Zeugnis für das Ansehen, das das Observatorium in der Kirche und im Jesuitenorden genießt. Und vielleicht ist es auch ein Zeichen der Unterstützung durch den Heiligen Geist! 

Von Mario Trifunovic