"Sexualpädagogik der Vielfalt" sorgt vielerorts für Debatten

Die Last mit der Lust

Veröffentlicht am 28.09.2015 um 17:00 Uhr – Von Christoph Arens (KNA) – Lesedauer: 
Erziehung

Bonn ‐ Schamgrenzen, sexuelle Vielfalt und der Status der Familie: Derzeit gibt es in mehreren Bundesländern Streit darum, wie weit Sexualerziehung an Schulen gehen sollte. Auch in der katholischen Görres-Gesellschaft wurde nun darüber diskutiert.

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Bremen hat einen Aktionsplan für die Gleichberechtigung von sexuellen Minderheiten, Schleswig-Holstein, Berlin und Nordrhein-Westfalen auch. Besonders heftig wird in Baden-Württemberg gestritten, wo demnächst Landtagswahlen sind. Der Streit ist vielschichtig. Denn es geht einerseits darum, wie weit die Mädchen und Jungen nicht nur abstraktes Wissen vermittelt bekommen, sondern konkrete Sexualpraktiken kennenlernen und eine neue Sexualmoral vermittelt werden soll. Es geht um den Umgang mit sexuellen Minderheiten - Lesben, Schwulen, Transsexuellen, Transgender-Personen -, aber auch um den Stellenwert der traditionellen Familie.

Für die Kölner Pädagogik-Professorin Karla Etschenberg schießen die Bildungspläne zur Sexualität in vielen Bundesländern über das Ziel hinaus. "Sachliches Sprechen über Sexualität ist die wichtigste Methode der Sexualerziehung", sagte sie bei der Tagung der Görres-Gesellschaft. Kinder und Jugendliche sollten auch mit der "sexuellen Realität" in der Gesellschaft vertraut gemacht und zur Toleranz gegenüber den vielfältigen Formen sexueller Ausrichtung erzogen werden. "Wie jeder Einzelne aber mit seiner Sexualität umgeht, das sollte Schule und Unterricht entzogen bleiben", forderte sie mit Blick auf Unterrichtsformen, in denen etwa Schüler in Rollenspielen aufgefordert werden, Verhütungsmittel zu kaufen, um ihre Scheu zu überwinden.

Lehrer zu schlecht für den Sexualkundeunterricht ausgebildet?

Etschenberg, Autorin zahlreicher Unterrichtshilfen für den Sexualkundeunterricht, beklagte, dass Lehrer schon seit Jahrzehnten unzureichend zu diesem Thema ausgebildet würden und Schulen das Thema teilweise externen Fachleuten, etwa von Pro Familia, überließen. Sie forderte einen Runden Tisch und eine neue Verständigung über Ziele und Methoden des Sexualkundeunterrichts.

In einem Klassenzimmer hängt ein Kreuz an der Wand.
Bild: ©picture alliance / dpa

Hat das traditionelle Familienbild ausgedient? Viele Bildungspläne lassen das laut dem Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt vermuten.

Doch der Streit geht noch tiefer: Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt hielt zahlreichen Bildungsplänen vor, die Schüler nicht nur zu Toleranz gegenüber diskriminierten Minderheiten anzuhalten. Ziel sei es vielfach auch, die Normal-Familie in Schulbüchern und Materialien als überholt darzustellen und überwinden zu wollen, weil sonst gleichgeschlechtlich fühlende Kinder in ihrer Entwicklung Schaden nehmen könnten.

"Wer Bedenken äußert und sogar am traditionellen Familienbild in Schulbüchern festhalten will, gilt schnell als homophob." Patzelt forderte demgegenüber, auch das Grundwissen der Biologie und der Evolutionslehre in den Lehrplänen zu berücksichtigen. "Schon wegen der Fortpflanzung ist das Interesse am anderen Geschlecht der Normalfall", sagte er. "Homosexualität ist keine Standard-Praxis."

Sexualerziehung ist schon lange ein heikles Thema

Sexualerziehung ist schon lange ein heikles Thema. Lange blieb sie den Familien überlassen. Das änderte sich mit den 68ern: Sie forderten die Befreiung von den prüden Vorstellungen der Elterngeneration. Auch Schulen sollten Aufklärung betreiben. 1977 entschied das Bundesverfassungsgericht, die schulische Sexualerziehung habe sich auf die Wissensvermittlung zu beschränken, müsse verschiedene Werthaltungen achten und auf die "religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen" der Eltern Rücksicht nehmen.

Die Schule als ideologische Hauptkampfzone: Der Bonner Verfassungsrechtler Christian Hillgruber rechnet mit zunehmenden gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Sexualpädagogik der Vielfalt. Der Staat dürfe nicht indoktrinieren, sondern müsse für verschiedene Werthaltungen offen sein. Hillgruber forderte die Politik auf, den im Grundgesetz verankerten Schutz von Ehe und Familie auch im Sexualkundeunterricht wirksam werden zu lassen.

Von Christoph Arens (KNA)