Bundespräses: Kolping war ein Sinnfluencer mit Haltung

Aus dem "Rheinischen Gesellenbund" wurde eine weltweite Bewegung: 160 Jahre nach seinem Tod ist der selige Adolph Kolping immer noch einer der bekanntesten Vertreter der katholischen Soziallehre. Der nach ihm benannte Verband gehört zu den größten katholischen Sozialverbänden Deutschlands. Im Interview mit katholisch.de erläutert der neugewählte Kolping-Bundespräses Sebastian Schulz, was die bleibende Bedeutung des Verbandsgründers ausmacht – und vor welchen Herausforderungen Verbände heute stehen: Er sieht zwei große Chancen für Kolping, die es stark zu machen gilt.
Frage: Herr Bundespräses Schulz, in Ihrem neuen Amt stehen Sie in der Tradition Adolph Kolpings. Was bedeutet der historische Kolping für Sie?
Schulz: Adolph Kolping war Netzwerker, Seelsorger, Sozialreformer und eine publizistische Zentralfigur seiner Zeit – wenn man das mit heutigen Worten beschreiben will: ein Sinnfluencer mit Haltung. Er hat den Menschen damals Heimat gegeben – im wörtlichen Sinn, aber auch sozial. Das ist eine Stärke, die nach wie vor modern ist. Die Probleme, die wir heute haben, sind andere als im 19. Jahrhundert. Aber auch heute gibt es soziale Ungerechtigkeiten und Menschen, die einen Verlust an Heimat spüren – da ist Kolping heute so aktuell wie damals.
Frage: Heimat geben ist also die Aufgabe des Kolping-Präses heute.
Schulz: Das ist die Aufgabe von ganz vielen – der Präses ist ein Baustein davon. Zusammen mit mir wurde Maria Adams als geistliche Leiterin von Kolping Deutschland gewählt. Gemeinsam mit den geistlichen Leitungen auf Diözesan- und Ortsebene bemühen wir uns den Menschen innerhalb wie außerhalb des Verbandes eine spirituelle Heimat zu bieten. Das war auch bei dem 175-jährigen Jubiläum so, das in dasselbe Jahr fiel wie der 160. Todestag unseres Verbandsgründers – das kurze Leben Adolph Kolpings hat also eine enorme Nachwirkung bis heute, und das geht nur, weil die Bewegung von vielen mitgetragen wird.
Der neugewählte Kolping-Bundespräses Sebastian Schulz.
Frage: Mit einem Tandem in der geistlichen Leitung haben Sie schon in Paderborn Erfahrung gesammelt. Wie geht das?
Schulz: Mit viel Kommunikation und Vertrauen. Der Vorteil einer solchen Doppelspitze ist, dass man sich gegenseitig unterstützt und gegenseitig Korrektiv sein kann. Wir sind beide häufig mit anderen Positionen aus Diskussionen herausgekommen, als wir hineingegangen sind. Das ist eine Stärke, wenn zwei zusammenarbeiten – gerade wenn die Sichtweise von Frauen und Männern eingebracht werden.
Frage: Ist das ein Lernfeld für einen Priester?
Schulz: Auf alle Fälle. Das ist eine Leitungsform, die es jetzt häufiger gibt in der katholischen Kirche, aber noch nicht wirklich etabliert ist. Darauf muss man sich einlassen. Das muss man selbst wollen, wenn es gelingen soll.
Frage: Adolf Kolping hat die Zeichen seiner Zeit erkannt und gehandelt. Was sind heute die Zeichen der Zeit, die Kolping als Verband angehen muss?
Schulz: Diese Frage habe ich schon oft gestellt bekommen. Ich antworte darauf immer mit Momentaufnahmen, weil wir in einer Zeit leben mit komplexen und vielfältigen Herausforderungen. Allgemein denke ich, dass wir da sein müssen, wo Menschen Unsicherheit spüren und Heimatverlust erleben. Das ist gerade ein großes Problem in der Gesellschaft wie in der Kirche. Wo kirchliche Strukturen dünner werden, liegt eine große Chance für Verbandsstrukturen. Und bei all den sozialen und technischen Umwälzungen besteht eine Chance für die Soziallehre der Kirche. Die katholische Soziallehre ist ein guter Kompass bei den ethischen und sozialen Herausforderungen, die etwa durch Künstliche Intelligenz entstehen.
Frage: Finden Sie da denn den politischen Resonanzraum? Traditionell wäre der Arbeitnehmerflügel der Union der natürliche politische Partner, um die katholische Soziallehre in den politischen Raum zu bringen – aber der gibt in den Unionsparteien gerade nicht die Richtung an.
Schulz: Die katholische Soziallehre kann man nicht auf eine parteipolitische Richtung engführen. Sie kann für alle ein Kompass sein. Deshalb bin ich auch guter Dinge, dass wir gehört werden, wenn wir aus unserer christlichen Verantwortung zu aktuellen Fragen Stellung nehmen.
Im Mai feierte das Kolpingwerk sein 175. Jubiläum in Köln. Tausende Kolpinggeschwister kamen in der Stadt zusammen, wo ihr Gründer Adolph Kolping als Priester wirkte und den Kölner Gesellenverein gegründet hat.
Frage: Nach Ihrer Wahl haben Sie gesagt, dass der Verband ein Brückenbauer für die Demokratie sein soll. Wie kann das gelingen?
Schulz: Mit klarer Haltung. Bei der Bundesversammlung haben wir einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD in die Satzung aufgenommen. Der richtet sich nicht gegen einzelne Menschen, sondern ist im Gegenteil ein Eintreten für das christliche Menschenbild, das die Basis unseres Selbstverständnisses als Verband ist.
Frage: Gab es konkrete Fälle, die den Beschluss nötig gemacht haben, oder geht es nur um die Haltung?
Schulz: Wir sind ein großer Verband, in dem eine breite – auch politische – Vielfalt herrscht. Es geht uns nicht darum, dass Menschen beim Eintritt ihr Parteibuch vorzeigen müssen, oder darum, Menschen zu denunzieren. Vielmehr wollen wir deutliche Grenzen ziehen, falls jemand sich in Wort und Tat gegen unser demokratisches und christliches Grundverständnis stellt.
Frage: Was tun die Kolpingsfamilien vor Ort, um Brückenbauer für die Demokratie zu sein?
Schulz: Da gibt es ein buntes Bild. Wir stellen fest, dass die Bereitschaft groß ist, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen: Kolping-Geschwister gehen zu Demonstrationen für die Demokratie, suchen in Wahlkampfzeiten den Diskurs – beispielsweise mit den Kandidatinnen und Kandidaten ihres Wahlkreises, um mit der Politik über unsere Anliegen zu sprechen. Es gibt Solidaritätsaktionen, und auch in den Gemeinden sind es häufig Verbandsmitglieder, die sich in die kirchlichen demokratischen Prozesse einbringen. Das haben wir hier bei uns in den NRW-Bistümern bei den Pfarrgemeinderats- und Kirchenvorstandswahlen gemerkt, da haben sich Kolpingsfamilien stark eingebracht, viele Gremienmitglieder kommen aus unserem Verband.
Frage: Sie haben zwei Chancen benannt. Neben der katholischen Soziallehre sehen Sie auch die Organisation als Verband als Chance, wenn die Kirche sich aus der Fläche zurückzieht. Jetzt sind die katholischen Verbände aber auch nicht gerade auf dem aufsteigenden Ast. Wie sieht das bei Kolping aus?
Schulz: In unserer Gesellschaft ist es nicht mehr selbstverständlich, sich durch Mitgliedschaften an Vereine und Verbände zu binden. Das geht an uns nicht vorbei. Wir haben aber mehr Eintritte als Austritte – aber unsere Mitgliederstruktur führt dazu, dass zusammen mit den Todesfällen der Verband leider jedes Jahr etwas schrumpft. Die Mitgliederrückgänge sind aber deutlich niedriger als bei den Kirchenmitgliedern insgesamt. Kolping hat immer noch eine Strahlkraft: Wenn Menschen merken, dass es ein klares Programm gibt, für dass es sich lohnt, sich zu engagieren, dann bleiben sie dabei. Ich höre auch immer wieder, dass Menschen sich in der Kirche immer weniger zuhause fühlen, aber diese geistliche Heimat in der Kolpingsfamilie finden. Die Gemeinschaft von Kolping prägt viele Menschen in ihrer Biografie, und deshalb begleitet der Verband sie ein ganzes Leben lang – das ist etwas anderes als einfach nur eine Vereinsmitgliedschaft. Selbst wenn sich die Kolpingsfamilie vor Ort auflöst, bleiben viele dem Verband treu und engagieren sich an anderer Stelle.
Frage: Adolph Kolping war in heutigen Worten ein begnadeter Verbandsmanager. Was können katholische Verbände heute von ihm lernen?
Schulz: Kolping hat aus der Idee der Gesellenvereine – die ursprünglich nicht von ihm, sondern von Johann Gregor Breuer stammte – eine Bewegung gemacht. Ein Verband ist nicht in erster Linie eine Struktur, sondern entsteht da, wo Menschen sich zusammentun, wo eine Verbindung entsteht. Kolping hat nicht nur Gesellenvereine gegründet, sondern den Menschen Sinn gegeben, so dass sie einen Mehrwert gespürt haben: Die Mitgliedschaft im Gesellenverein ist nicht nur eine Frage der materiellen Absicherung in einer bestimmten Lebensphase, sondern prägt den Glauben und das Leben. Das können wir heute noch von Kolping lernen.