Thomas Held hat eine bewegte Geschichte

Ein Hostienbäcker zwischen Handwerk, Glaube und Existenzdruck

Veröffentlicht am 23.12.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Kevelaer ‐ In einer gläsernen Bäckerei in Kevelaer kämpft Thomas Held jeden Tag mit empfindlichen Teigplatten, strengen Kirchenregeln und seinem eigenen Glauben. Seit über 30 Jahren backt er Hostien – und sieht darin mehr Berufung als Beruf.

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Heute läuft nichts wie gewohnt. "Das Mehl ist zu frisch", sagt Thomas Held, der schon seit sechs Uhr morgens auf den Beinen ist und in der Bäckerei nach dem Rechten sieht. Mehr Wasser, wärmeres Wasser, heißer backen, langsamer backen – jetzt heißt es ausprobieren. Einige der eben gebackenen Platten reißen sofort. "In Hostien darf nur Mehl und Wasser drin sein – aber das irgendwie zu einer Einheit zusammenzubacken, ist gar nicht so einfach!" Hostienbacken, das ist mehr als eine Mischung aus zwei Zutaten. Für Hostienbäcker Thomas Held im niederrheinischen Kevelaer ist es eine Lebensaufgabe voller Untiefen.

Die Vorgabe der Kirche ist eindeutig: Weizenmehl und Wasser, mehr darf laut Kirchenrecht (Ca. 924 § 2 CIC) nicht in die kleinen Oblaten, mit denen in der katholischen Kirche Eucharistie gefeiert wird. Früher mischte Thomas Held 25 Kilogramm Mehl auf 30 Liter Wasser, seit einiger Zeit sind es 50 Kilogramm Mehl auf 58 Liter Wasser – dem neuen Teigmischer sei Dank. In dem Edelstahlbottich werden beide zusammengemischt.

Bild: ©katholisch.de/cph

Der Teig wird zwischen die Backeisen gespritzt.

Eine Backmaschine saugt den angerührten Teig an und spritzt ihn zwischen zwei gusseiserne Backplatten, die die Mischung zusammenpressen und dabei etwa zwei Minuten backen. Die Maschine rotiert wie ein Riesenrad: Oben kommt der flüssige Teig hinein, nach einer Runde kommen die gebackenen Platten heraus. Die dünnen, beige-braunen Rohlinge werden in einem Regal aufgestellt. Es sieht am Ende in etwa so aus wie gespültes Geschirr auf einem Abtropfregal. Diese Platten sind vor allem eins: Sehr empfindlich. Wenn man jetzt Hostien aus ihnen machen wollen würde, würden sie reißen und springen. Deshalb gibt es einen eigenen Raum in der Bäckerei, in dem die Platten befeuchtet werden. So lassen sie sich sicherer weiterverarbeiten.

Existenzbedrohender Ausschuss

Thomas Held prüft jede Platte. Es gibt heute deutlich mehr Ausschuss als sonst – der Grund ist das zu frische Mehl. "Wenn ich hier zu viel aussortiere, kann das ganz schnell existenzbedrohend werden", sagt er. Denn durch das Hostienbacken wird niemand reich. Neben Klöstern und Mittelständlern wie er sind auch Billiganbieter aus dem europäischen wie außereuropäischen Ausland auf dem Markt. "Die kümmern sich nicht um das Kirchenrecht und geben einfach Bindemittel dazu", sagt er. Für ihn wie auch für die Hostienbäckereien in Klöstern kommt das nicht infrage. Er hilft sogar aus, wenn ein Kloster Probleme bei der Produktion hat oder eine Maschine kaputt geht. "Ich bin zuerst Christ, dann Unternehmer", sagt er.

Diese Haltung kommt nicht von ungefähr, denn der hochgewachsene 61-Jährige wachte keineswegs eines Tages auf und beschloss, sich als Hostienbäcker selbstständig zu machen. "Ich bin eigentlich gelernter Tischler", schmunzelt er. Was ihn aber sein ganzes Leben schon prägt, ist die Suche nach Gott. Als junger Erwachsener schloss er sich der geistlichen Gemeinschaft "Brot des Lebens" an, lebte in Frankreich mit Obdachlosen und ehemaligen Häftlingen, bevor er ins Kloster Vinnenberg im münsterländischen Warendorf kam. Dort lebte er mit anderen Mitgliedern seiner Gemeinschaft, darunter auch seine mittlerweile verstorbene Frau. Auf dem Gelände gab es eine alte Hostienbäckerei, die niemand mehr brauchte – und schon wurde Held Hostienbäcker.

Bild: ©katholisch.de/cph

Thomas Held backt seit Jahrzehnten Hostien.

Schon damals entwickelte sich eine Besonderheit, die sich heute in der Hostienbäckerei auch baulich ausdrückt: Sie ist gläsern. Jeder Arbeitsschritt lässt sich von einem Gang aus einsehen. Ideal für Führungen, etwa für Kommunionkinder, die hier erfahren, wie Hostien hergestellt werden. "Schon in Warendorf hatte es viel Interesse an dem gegeben, was wir da gemacht haben. Deshalb sind meine Frau und ich auf die Idee mit der gläsernen Hostienbäckerei gekommen." Anfangs waren die Führungen noch kostenlos, mittlerweile ließe sich ohne sie die Hostienbäckerei nicht aufrechterhalten. Doch die Besucherzahlen sind rückläufig: Kamen 2019 noch 10.000 Leute, sind es heute noch etwa 7.000, der für die Kirche so folgenreiche Corona-Knick lässt sich auch hier beobachten.

Vor allem ein Glaubenszeugnis

Für Held sind die Führungen vor allem ein Glaubenszeugnis. "Mit Mitte zwanzig hatte ich bei einem Treffen Geistlicher Gemeinschaften eine tiefe Gotteserfahrung", erzählt er. "Gott hat mich bei meinem Namen gerufen und ich habe mich selbst durch die Augen Gottes gesehen – auch, was in meinem Leben bis dahin nicht so gut gelaufen ist." Doch das waren andere Dinge, als er vermutete: "Gott hat nicht so sehr gestört, wenn ich mal etwas falsch gemacht habe – ihn hat gestört, dass ich nicht genug Zeugnis für ihn ablege, wenn ich in seiner Kirche tätig bin." Held war zu der Zeit Jugendleiter. "Mit den Jugendlichen nur weltliche Dinge zu machen, wie Pommes essen gehen, aber nicht über den Glauben zu sprechen, das hat Gott enttäuscht. Mein Handeln war nicht kongruent zu dem, was ich von mir behauptet habe. Ich fand das von Gott damals ziemlich kleinkariert – heute verstehe ich das. Wie kann ich erwarten, dass Gott zu mir steht, wenn ich nicht zu ihm stehe!", sagt er.

Deshalb führt er bis heute Gruppen durch die Bäckerei. Der Beginn: eine 30-minütige Katechese zur Eucharistie. "Ich mache das witzig, ich mache lustige Geräusche und spiele Gitarre, so kriegt man die Kinder", sagt er. Immer weniger Erwachsene wie Kinder haben heute eine Vorstellung davon, was die Eucharistie bedeutet – geschweige denn, sie glauben daran. "Aber genau das ist es, was Gott von mir will: ich glaube da wirklich dran und ich stehe dazu, auch wenn mich die Leute für verrückt halten würden", sagt Held. Für ihn hat die Eucharistie nichts von ihrer Faszination verloren: "Wenn ich in der Messe bin und die Hostie wird gewandelt, dann stelle ich mir vor, dass sich die Welt gerade nur um diese Eucharistie dreht."

Bild: ©katholisch.de/cph

Hostien gibt es in ganz unterschiedlichen Größen.

Nach dem Befeuchten werden die Platten gebohrt: Held wählt den Hostienbohrer in der gewünschten Größe aus – zwischen drei und 22 Zentimetern Durchmesser ist einiges möglich – und senkt den zylinderförmigen Bohrer auf einen Stapel Teigplatten in einem Rahmen. Unter dem Tisch fallen die Hostien in einen Korb. Mittlerweile bohrt er nur noch die größeren Hostien per Hand, für die kleineren hat er einen automatischen Bohrer. Der ist weder schneller noch effizienter als das Bohren per Hand – aber er bietet die Möglichkeit, dass die Mitarbeitenden in der Zeit etwas anderes machen können. "Das ist hier alles knapp bemessen in Sachen Geld."

Im Leben hart geprüft

Auch sonst ist Held im Leben hart geprüft worden: Kurz, bevor er nach Kevelaer kam, um ein altes Fabrikgebäude zur gläsernen Hostienbäckerei umzubauen, starb seine Frau an Krebs. Damals habe er gespürt, welche Kraft er durch den Glauben habe. "Ich hatte immer gedacht, mein Glaube wäre klein. Doch als es darauf ankam, war da so eine große Kraft in mir, das hat mich überrascht." Er weiß: "Gott lebt in mir, schon heute. Das heißt, die Ewigkeit hat bereits angefangen!"

Weniger optimistisch ist er dagegen beim Blick auf die Gesellschaft und die Kirche von heute. "In vielem fehlt mir heute die Leichtigkeit", sagt er. "Als Kind Gottes bin ich zu allererst frei. Nicht umsonst bin ich hier nach Kevelaer gekommen und habe mich selbstständig gemacht. Aber in Zeiten von Corona hat der Staat diese Freiheit eingeschränkt, das ist mir gegen den Strich gegangen." Er sagt bis heute: "Wer Angst vor dem Tod hat, soll zu Hause bleiben."

Bild: ©katholisch.de/cph

Gibt es auch in Zukunft noch genug Hostien für die Kirche?

Auch befürchtet er, dass sich die Kirche um die Zukunft der Hostienherstellung zu wenig Gedanken mache: Viele Klöster sind dramatisch überaltert, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis dort keine Hostien mehr gebacken werden – und manche Großanbieter scheren sich nicht um das Kirchenrecht. "Ich sehe mich hier als Dienstleister, damit die Kirche Eucharistie feiern kann", sagt Held. Deshalb hat er investiert: Einen neuen Teigmischer, den automatischen Bohrer. Möglich war das durch eine Versicherungssumme, nachdem ein Außenlager abgebrannt war. "Ich arbeite gern und bin auch leistungsbereit." Doch nach über 30 Jahren als Hostienbäcker merkt er auch, wie seine Kräfte sich ändern. "Sowas wie die Sache mit dem Mehl, das nagt heute viel mehr an mir als früher. Manchmal bin ich da sehr müde."

Als letzte Station der Backstraße steht Held nun im Trockenraum. Von hier gehen die Hostien nach Frankreich, in die Niederlande, Norwegen und bis nach Finnland. Er hat auch schon Großevents wie das Luther-Jubiläum 2017 ausgestattet.

Auf dem Weg zurück durch den gläsernen Gang steht auf halber Strecke eine Hostienstanze. Kommunionkinder können hier für ihre Erstkommunion selbst Hostien ausstanzen. Das werden hier noch einige tun, denn aufhören kann Thomas Held nicht, der Laden wirft durch das Abzahlen der Kredite, die er für den Kauf und Umbau aufnehmen musste, nicht genug ab für eine Altersvorsorge. Er weiß, dass seine Kinder die Hostienbäckerei nicht übernehmen werden. Er hofft dennoch, dass sich mal ein Nachfolger findet. Denn auch, wenn es mit dem Mehl manchmal nicht so rund läuft: Thomas Held backt weiter Hostien – weil die Kirche sie braucht.

Von Christoph Paul Hartmann