Das Buch helfe zu verstehen, wer der Papst sei

Dieses Buch prägte Papst Leos Spiritualität – wer ist der Autor?

Veröffentlicht am 26.12.2025 um 00:01 Uhr – Von Fabian Brand – Lesedauer: 

Bonn ‐ Erst vor kurzem verweist Papst Leo XIV. auf ein spirituelles Buch, das sein geistliches Leben seit Jahren prägt. Die Gedanken des Karmeliterbruders Lorenz von der Auferstehung eröffnen einen Schlüssel zum Verständnis der Spiritualität des Papstes.

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Traditionell sind die fliegenden Pressekonferenzen der Päpste, die auf den Rückflügen der Auslandsreisen stattfinden. Und so stellte sich auch der neue Papst Leo XIV. Anfang Dezember auf dem Flug vom Libanon nach Rom den Fragen der Journalisten. Dabei ging es nicht nur um politische Angelegenheiten, sondern auch um den neuen Pontifex selbst.

Unter anderem gab Leo XIV. folgendes preis: "Einer von Ihnen – es ist ein deutscher Journalist hier, der neulich zu mir sagte: Nennen Sie mir ein Buch, abgesehen von Augustinus, das wir lesen könnten, um zu verstehen, wer Prevost ist. Mir sind mehrere eingefallen, aber eines davon ist ein Buch mit dem Titel ‚Die Übung, in Gottes Gegenwart zu sein‘." Das Buch stammt von Bruder Lorenz von der Auferstehung und ist, so der Papst, seit vielen Jahren eine wichtige Grundlage seiner Spiritualität. Doch wer ist dieser Bruder Lorenz? Und was lässt sich aus seinem Buch über die Spiritualität des neuen Papstes lernen?

Wer war Bruder Lorenz?

Nicolas Herman, wie Bruder Lorenz ursprünglich hieß, wurde wahrscheinlich im Jahr 1614 in Hériménil, einer kleinen Gemeinde im Herzogtum Lothringen, geboren. Manche Biographien erwähnen dabei, dass er ein Kind tiefgläubiger Eltern war und so von Kindesbeinen an mit dem christlichen Glauben in Kontakt kam. Obwohl er als Jugendlicher zunächst als Diener am Hof eines Schatzmeisters arbeitete, faszinierte ihn schon früh das Soldatenwesen. Nicolas Herman ist mitten in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges aufgewachsen.

Überall in Europa war der Krieg Realität. Und so zog auch der junge Herman als Teil des lothringischen Heeres in den Kampf. Was dort geschehen ist, lässt sich nicht einwandfrei rekonstruieren. Die Biografien, die bereits hagiografische Züge tragen, sprechen davon, dass Nicolas Herman der Hass fremd war und er sich deswegen schwertat, gegen andere Menschen zu kämpfen oder sie gar zu verletzen. Als er von den Schweden bei Rambervillers verwundet wurde, zog er sich aus dem Soldatendienst zurück.

Die Erfahrung als Soldat im Krieg hatte für Nicolas Herman eine Bekehrung gebracht: Er wollte sein Leben fortan in den Dienst für Christus stellen und zog sich deswegen in eine Einsiedelei zurück. Doch das Leben als Eremit stellte ihn vor große Herausforderungen. Schließlich war es sein Onkel, der als Karmelit in einem Kloster in der Lorraine lebte, in den Karmel in Paris einzutreten. Diesem Rat folgte Herman und wurde 1640 Mitglied des Pariser Karmeliterklosters. Zwei Jahre später legte er die Profess ab und trug fortan den Namen "Frère Laurent de la Résurrection", Bruder Lorenz (oder: Laurentius) von der Auferstehung.

Papst Leo XIV. und Matteo Bruni im Flugzeug beim Gespräch mit einer Journalistin
Bild: ©KNA/Lola Gomez/CNS photo (Archivbild)

Auf seinem Flug vom Libanon nach Rom erzählte Leo von dem Buch, was ihn so prägte.

Ungefähr zehn Jahre befand sich Bruder Lorenz in einem inneren, geistlichen Kampf: Immer wieder brach die Erinnerung an sein altes Leben hervor. Sein Dienst als Soldat, seine anderen Berufstätigkeiten, in denen er oftmals gescheitert war, standen im Kontrast zur Gnade Gottes, die er bei seiner Bekehrung erfahren durfte. Als Laienbruder musste Lorenz viele Tätigkeiten im klösterlichen Bereich übernehmen, die längste Zeit war er allerdings in der Küche beschäftigt. Ungefähr 15 Jahre sorgte er dort für das leibliche Wohl der Brüder – ein Dienst, den er nicht sonderlich gerne ausübte. Aber auch in der Schusterwerkstatt war Lorenz anzutreffen und auch zum Betteln, was ihm unangenehm war, wurde er ausgesandt.

Bruder Lorenz von der Auferstehung starb schließlich im Jahr 1691 im Alter von 77 Jahren. Bereits länger hatten ihn Knieleiden und Ischiasschmerzen begleitet, zuletzt kam eine Rippenfellentzündung hinzu.

Neben seinem Lebenszeugnis hat Bruder Lorenz auch einige Schriften hinterlassen: Es handelt sich um 16 Briefe und sieben Aufzeichnungen, die schon kurz nach seinem Tod im Jahr 1692 erstmals in gedruckter Form erschienen. Während seine Schriften in Frankreich bald in Vergessenheit gerieten, fand sie vor allem im englischsprachigen Raum einen umso größeren Absatz.

Vor allem bei Protestanten und Anglikanern beliebt

Das hatte besonders damit zu tun, dass seine Spiritualität besonders in protestantischen und anglikanischen Kreisen gerne und oft rezipiert wurde. Ein erstes Buch in deutscher Sprache erschien erstmals 1828: Der spätere Erzbischof von Köln, Clemens August von Droste zu Vischering, hatte sich darangesetzt, die Schriften des Bruder Lorenz zu übersetzen.

Was aber zeichnet nun die besondere Spiritualität des Karmeliterfraters aus? Bruder Lorenz empfiehlt eine Übung, um sich der ständigen Gegenwart Gottes bewusst zu werden und bewusst zu sein. Er sagte einmal: "Für mich unterscheidet sich die Zeit des Handelns nicht von der Zeit des Gebetes, und im Lärm und Getöse meiner Küche, während mehrere Personen zusammen nach ebenso vielen verschiedenen Dingen rufen, besitze ich Gott in so großer Ruhe wie auf den Knien vor dem Allerheiligsten Sakrament. Manchmal wird mein Glaube sogar so klar, dass ich fast glaube, ihn verloren zu haben. Die Schatten, die unsere Sicht gewöhnlich verschleiern, scheinen zu fliehen, und es beginnt der Tag zu dämmern, der ohne Wolken und ohne Ende sein soll, der herrliche Tag des kommenden Lebens".

Das heißt, Bruder Lorenz versuchte, sich Gottes Gegenwart immer wieder in seinem Alltag bewusst zu werden. Er versuchte, in seinem alltäglichen Tun ständig vor Gott zu leben und alles, was er tat, als Gebet zu betrachten. Alltag und Gebet waren für Bruder Lorenz eine Einheit. Es gab in seinen Augen keine Trennung zwischen dem Gottesdienst in der Kirche und dem anderen Leben außerhalb der Kirchenmauern. Für ihn war das ganze Leben ein einziger Gottesdienst.

„Für mich unterscheidet sich die Zeit des Handelns nicht von der Zeit des Gebetes.“

—  Zitat: Bruder Laurenz

Diese Haltung kommt auch in vielen Zitaten zum Ausdruck, die sich in den Schriften von Bruder Lorenz befinden. Er schrieb unter anderem: "Ich habe bei allen meinen Arbeiten nur dies Ziel verfolgt, alles aus Liebe zu Gott zu tun." Und andernorts betont er: "Bei mir gibt es keinen Unterschied zwischen der Zeit des Gebets und der übrigen Zeit." Damit wird noch einmal deutlich, dass Bruder Lorenz ganz und gar im Vertrauen darauf lebte, in all seinen Tätigkeiten von der Liebe Gottes umfangen zu sein und alles vor seinem Angesicht zu vollbringen. So ist Gebet für ihn auch nicht unbedingt etwas, wozu man Worte braucht: "Mein Gebet besteht nun in nichts anderem als im Verweilen in Gottes Gegenwart."

Dass Papst Leo XIV. nun besonders auf diese geistliche Übung von Bruder Lorenz von der Auferstehung verweist, zeigt auch ein Stück seiner Spiritualität. Freilich ist er geprägt durch die Schriften seines Ordensvaters, des heiligen Augustinus. Aber auch der Gedanke, ständig in der Gegenwart Gottes zu leben, das ganze Leben als Gottesdienst zu betrachten, prägt seine Spiritualität und damit auch sein ganzes Wirken. Das bedeutet aber auch: Für Papst Leo XIV. kommt es im Gebet nicht auf die großen und gewichtigen Worte an. Er scheint vielmehr Wert auf die alltäglichen Handlungen und Entscheidungen zu legen und diese so zu treffen, dass sie vor dem Angesicht Gottes Bestand haben können.

"Zu einem so guten und getreuen Freund, der uns weder in dieser noch in jener Welt verlassen wird, können wir nie zuviel Vertrauen haben", schreibt Bruder Lorenz. Vertrauen, von Gottes Gegenwart umfangen zu sein und schon heute in ihm zu leben und zu wirken: Das scheint das Fundament zu sein, auf dem der neue Papst sein Leben aufbaut. Man darf jedenfalls gespannt sein, ob er an die vielen konkreten caritativen und sozialen Impulse seines Vorgängers, Papst Franziskus, anknüpft und ebenso tatkräftig für die Armen und Bedrängten Eintritt. Seine große Sympathie für Bruder Lorenz von der Auferstehung lässt es zumindest vermuten. Denn dieser ist es auch, der sagt: "Gott hat uns unendliche Schätze zu geben, und wir begnügen uns mit einer kleinen, gefühlvollen Andacht, die in einem Augenblick vorübergeht."

Von Fabian Brand