Vom "Gerechten Krieg" zum "Gerechten Frieden"

Die Kirche und der Krieg

Veröffentlicht am 27.08.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Soldaten nehmen an einem Gottesdienst teil.
Bild: © KNA
Ethik

Bonn ‐ Vom "Gerechten Krieg" zum "Gerechten Frieden": Mit der Lehre vom "Gerechten Krieg" hatte die Kirche über Jahrhunderte eine eindeutige Meinung zum Verhalten in kriegerischen Auseinandersetzungen.

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Der anhaltende Terror der IS-Truppen im Irak führt zu einer lebhaften Diskussion unter Kirchenvertretern, wie man sich zu einem möglichen militärischen Vorgehen verhalten soll. Pazifistische Stimmen treffen auf Forderungen nach einem militärischen Einsatz. Dabei hatte die Kirche mit der Lehre vom "Gerechten Krieg" über Jahrhunderte eine eindeutige Meinung zum Verhalten in kriegerischen Auseinandersetzungen. Heute allerdings haben sich die Bedingungen verändert. Ein Überblick.

Strenggenommen ist die Lehre vom "Gerechten Krieg" eigentlich gar keine christliche, sondern geht auf den römischen Redner Cicero zurück. Dieser entwickelte bereits im ersten Jahrhundert vor Christus Kriterien für einen ethisch verantwortbaren Krieg, um herrschendes Unrecht zu überwinden und seine Idee einer umfassenden Gerechtigkeit zu verwirklichen. Reine Eroberungskriege lassen sich mit Ciceros Konzeption nicht mehr legitimieren. Und selbst bei erlittenem Unrecht bleibt der Krieg für den römischen Politiker und Philosophen das letzte Mittel: Zuvor müsse der Feind die Chance bekommen, Reue zu zeigen und sein Unrecht wiedergutzumachen.

Wiederherstellung der ursprünglichen Friedensordnung Gottes

Augustinus von Hippo (354-430) brachte diese ethischen Überlegungen auch in das christliche Denken ein. Der Kirchenlehrer geht davon aus, dass Gott es war, der ursprünglich eine friedliche Ordnung für die Welt vorgesehen hat. Ein Krieg lässt sich demnach nur legitimieren, wenn er dazu dient, diese Ordnung wiederherzustellen. Darüber hinaus nennt Augustinus drei weitere Bedingungen: Krieg müsse entweder von Gott oder einer rechtmäßigen Autorität angeordnet sein, dem Gemeinwohl und keinen partikulären Interessen dienen und als Mittel der Konfliktlösung auf den äußersten Fall beschränkt bleiben.

Der gro?e Konvertit
Bild: ©jorisvo/Fotolia.com

Der heilige Augustinus (354-430) war Bischof von Hippo und ist einer der vier großen lateinischen Kirchenväter.

Im Mittelalter begann Thomas von Aquin (1225-1274), die Lehre des "Gerechten Krieges" weiter zu systematisieren. Für ihn besteht das Recht auf Krieg, wenn eine legitime Autorität ihn anordne, ein zulässiger Grund bestehe und die Kriegführenden eine rechte Absicht hätten. Allerdings steht für Thomas auch fest, dass Krieg generell im Widerspruch zur christlichen Liebe steht.

Damit die Lehre vom "Gerechten Krieg" über das Christentum hinaus wirksam werden konnte, bemühte sich die Kirche in der Neuzeit um eine naturrechtliche Begründung. Sie stützte sich stärker auf Vernunftargumente als auf die Bibel und die Tradition. So konnte sie auch zum Ansatzpunkt für das moderne Völkerrecht werden. Der Jesuit Francisco Suarez (1548-1617) argumentierte, dass es nicht nur dem göttlichen, sondern auch dem Naturrecht entspräche, wenn Staaten freiwillig auf ihr Recht auf Krieg verzichteten. Schließlich sei es offenkundig unvernünftig, wenn sich die Menschen an Kriege gewöhnten und so dauerhaft ihr Gemeinwohl beeinträchtigten.

Die Form der Kriegsführung hat sich verändert

Die Kriterien für einen "Gerechten Krieg" wirken bis in die jüngste Zeit. Der Katechismus der Katholischen Kirche von 1993 thematisiert sie im Zusammenhang mit dem Gebot "Du sollst nicht töten", allerdings nur für den Fall, dass sich eine Regierung verteidigen muss. Dort heißt es, dass der Schaden des Angreifers sicher feststehen und von Dauer sein müsse. Auch müssten sich alle anderen Mittel der Konfliktlösung als wirkungslos erwiesen haben und eine ernsthafte Aussicht auf Erfolg bestehen. Schließlich dürfe der zu erwartende Schaden nicht schlimmer sein als das zu beseitigende Übel. Dies gelte jedoch nur, solange die Gefahr von Krieg bestehe und es noch keine internationale Autorität gebe.

Heute werden Kriege allerdings selten Mann gegen Mann auf dem Schlachtfeld ausgetragen. Kriegerische Auseinandersetzungen sind meist komplexe innerstaatliche Konflikte, in die zusätzlich andere Staaten und Interessengruppen involviert sind.

Außerdem hat die Geschichte gezeigt, wie leicht sich der Begriff des "Gerechten Kriegs" missbrauchen lässt. Beide kriegsführende Parteien konnten für sich beanspruchen, eine "legitime Autorität" zu sein und entsprechend nach den Kriterien zu handeln. So ging die Grundintention dieser Lehre, die Gewalt einzudämmen, verloren – stattdessen wurde sie zu deren Legitimierung genutzt. Sogar die Kirche selbst hat sich die Lehre – unter anderem, um Kreuzzüge zu rechtfertigen – in diesem Sinne angeeignet.

Erklärung der Bischöfe

Der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz hat sich zur Situation im Mittleren Osten geäußert. In der Erklärung "Der Terror im Irak muss aufgehalten werden" vom 25. August heißt es zum Einsatz militärischer Mittel, dass diese "niemals ein selbstverständliches und unhinterfragtes Mittel der Friedens- und Sicherheitspolitik" sein dürften. Sie könnten aber in bestimmten Situationen nicht ausgeschlossen werden, wenn andere, gewaltlose Handlungsoptionen nicht vorhanden sind, "um die Ausrottung ganzer Volksgruppen und massenhafte schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern." In diesem Zusammenhang erinnern die Bischöfe an die UN-Richtlinie der "Schutzverantwortung" (responsibility to protect), "zur Abwehr schlimmster, viele Menschen bedrohender Verbrechen". Diese Maßgabe entspräche "den Grundsätzen der katholischen Lehre über den gerechten Frieden". (tlp)

Da die politischen Interessen komplexer und die Lehre häufig fehlinterpretiert wurde, musste die Kirche reagieren. Insbesondere das schreckliche Ausmaß des Zweiten Weltkriegs und die neue Dimension der Bedrohung durch Atomwaffen im 20. Jahrhundert gaben dazu den Anlass. Dies führte zur Ersetzung der Lehre des "Gerechten Krieges" durch die des "Gerechten Friedens". Dabei ging es um mehr als eine kosmetische Verschönerung. Der zentrale Gedanke dieser neuen und umfassenden Friedensethik lautet: Frieden ist nicht einfach die Abwesenheit von Krieg. Im Bischofswort "Gerechter Friede" aus dem Jahr 2000 formulieren es die deutschen Bischöfe so: "Eine Welt, in der den meisten Menschen vorenthalten wird, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht, ist nicht zukunftsfähig. Sie steckt auch dann voller Gewalt, wenn es keinen Krieg gibt. Verhältnisse fortdauernder schwerer Ungerechtigkeit sind in sich gewaltgeladen und gewaltträchtig."

Welche Haltung hat der Papst?

Gerechtigkeit bedeute allerdings mehr als Verteilungs- und Chancengerechtigkeit, heißt es im Schreiben der Bischöfe. Darüber hinaus fordern sie eine internationale "Rechtsordnung mit Strukturen, die es ermöglichen, das Recht durchzusetzen". Bei Auseinandersetzungen sei die Suche gewaltvermeidender Konfliktbearbeitung vorrangig. Außerdem betonen die Oberhirten die Bedeutung der Konfliktnachsorge. Nach einem Krieg brauche es viel Zeit, bis der Friede in den Köpfen und Herzen wieder einkehrt sei. Friede "ergibt sich nicht von selbst, schon gar nicht, wenn ganze Völker schweres Unrecht erdulden mussten und viele Menschen tief in ihrer Würde verletzt wurden."

Zu militärischen Interventionen sagt das Dokument, dass Gegengewalt "überhaupt nur als ultima ratio" in Betracht käme. Ein mögliches Vorgehen müsse sich an das aktuelle Friedenssicherungsrecht halten, zielführend und verhältnismäßig und auf ein Minimum an Gewalt beschränkt sein. Vor allem müsse jede militärische Intervention mit einer politischen Perspektive verbunden sein, die zu mehr führt, als den Zustand vor dem Konflikt wiederherzustellen. "Denn es reicht nicht aus, aktuelles Unrecht zu beheben. Es geht darum, es auf Dauer zu verhindern."

Auf dem Rückflug von seiner Südkorea-Reise hatte Papst Franziskus vergangene Woche mit Blick auf den Irak davon gesprochen, dass es "legitim" sei, einen ungerechten Aggressor zu stoppen. Inwiefern diese Äußerung so ausgelegt werden kann, dass der Papst sich für eine militärische Intervention ausspricht, ist jedoch umstritten. In jedem Fall äußern sich die deutschen Bischöfe in diese Richtung.

Von Theresia Lipp