Erzbischof Ludwig Schick über 50 Jahre polnisch-deutscher Briefwechsel

"Eine Initialzündung"

Veröffentlicht am 21.11.2015 um 00:01 Uhr – Von Christian Wölfel (KNA) – Lesedauer: 
Geschichte

Bamberg ‐ Beim historischen Briefwechsel zwischen polnischen und deutschen Bischöfen vor 50 Jahren war Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg das Ziel der Oberhirten. Im Interview beleuchtet Erzbischof Ludwig Schick die Bedeutung dieser Briefe und den Stand der Versöhnung.

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Frage: Herr Erzbischof, wie haben Sie damals als Jugendlicher den polnisch-deutschen Briefwechsel wahrgenommen?

Schick: Zunächst gar nicht, jedenfalls nicht an den Tagen, an denen der Briefwechsel stattfand. Erst als es heftige Diskussionen in den Medien darum gab, habe ich ihn wahrgenommen. Die von der damaligen Regierung gesteuerte polnische Presse griff die polnischen Bischöfe wegen dieser Versöhnungsgeste sehr heftig an. Dann kam auch in Deutschland Kritik sowohl am Brief als auch an der deutschen Antwort auf, vor allem seitens der Vertriebenenverbände.

Frage: Welche Auswirkungen hatten die Schreiben aus dem Jahr 1965?

Schick: Es war eine Initialzündung! Willy Brandt sagte 1970: "Das Gespräch der Kirche und ihrer Gemeinden war dem Dialog der Politiker voraus." Nach den Briefen und der ebenfalls zu erwähnenden "Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland" fassten verschiedene Personen und Institutionen Mut, die Feindschaft der beiden Länder zu überwinden. Bei nationalen Versöhnungsprozessen müssen immer viele mitmachen. Polen und Deutsche waren bis in alle Schichten der Bevölkerung untereinander verfeindet. Nach dem Briefwechsel starteten verschiedene Versöhnungsinitiativen, zum Beispiel von Pfarreien, Pax-Christi-Gruppen und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

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"Wir gewähren Vergebung und bitten um Verzeihung", schrieben die polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder vor 50 Jahren. Der Briefwechsel ging in die Kirchengeschichte ein als eine Sternstunde der Brüderlichkeit und Versöhnung.

Frage: Immer wieder strittig war die Frage der Vertreibung. Gibt es da mittlerweile eine gemeinsame Linie von deutschen und polnischen Bischöfen?

Schick: Beide Seiten können inzwischen sagen: Bei der Vertreibung ist viel Unrecht geschehen! In und nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs war die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten nicht die einzige. Ganz Europa war in Bewegung. Dass da Unrecht geschehen ist - bewusst und unbewusst -, das kann man sich jetzt voreinander eingestehen und gemeinsam bekennen: So etwas darf niemals wieder geschehen.

Frage: Unterschiedliche Haltungen der Bischöfe in Ost und West scheint es heute in Europa auch bei der Flüchtlingsfrage zu geben. Wie gehen Sie in der Kontaktgruppe damit um?

Schick: Die Flüchtlingsfrage ist zunächst eine an die Regierungen. Die deutsche Regierung hat sie anders beantwortet als die polnische oder die anderer Länder in Europa. Die Deutsche Bischofskonferenz steht hinter der Regierung in Deutschland und fordert hier und da auch mehr für die Flüchtlinge. Die polnische Bischofskonferenz steht hinter der polnischen Regierung, aber auch nicht ganz. Wir Bischöfe sind einer Meinung in der Grundposition: Wenn jemand, der flüchten muss, in unsere Länder kommt, dann sind wir als Christen verpflichtet, ihn aufzunehmen, ihm Sicherheit und Schutz zu gewähren, Obdach, Nahrung und Kleidung zu geben. Bei den Fragen, wie viele aufgenommen werden können, nach dem Verteilschlüssel und so weiter gibt es unterschiedliche Meinungen. Wir reden darüber.

Die deutsch-polnische Kontaktgruppe der Bischöfe
Bild: ©KNA

Die deutsch-polnische Kontaktgruppe der Bischöfe bei einem Treffen im Mai 2015 in Görlitz (v.l.): Wiktor Skworc, Erzbischof von Kattowitz, Wolgang Ipolt, Bischof von Görlitz, Kazimierz Kardinal Nycz, Erzbischof von Warschau, Ludwig Schick, Erzbischof von Bamberg, und Jan Kopiec, Bischof von Gleiwitz.

Frage: Das eine sind die offiziellen Drähte der Bischofskonferenz, das andere die unter den Katholiken. Wie stark werden hier noch die Kontakte und die Versöhnungsarbeit gepflegt?

Schick: Die Kontakte zwischen Deutschen und Polen sind gut und werden gepflegt. Die vielen Partnerschaften zwischen Pfarreien, Gemeinden und Städten, Vereinen geben Zeugnis von der Normalität; dennoch gibt es auch immer wieder Störfeuer.

Frage: Was sind das für Störfeuer?

Schick: Es wird immer wieder die Frage der Vertreibung thematisiert: Was war Recht und was war Unrecht? Oder die Besitzverhältnisse. Manche Menschen sagen: Da gab es Enteignungen, die noch nicht geregelt sind. Man wird die Geschichte nicht zurückdrehen können, aber es muss darüber gesprochen und um Verständnis geworben werden, auch für die politischen Entscheidungen, zum Beispiel die jetzige Grenzziehung, die einzelne noch immer nicht akzeptieren. Diese Störfeuer dürfen nicht zu lange dauern, sondern müssen möglichst behoben werden.

Frage: Wird das Jubiläum des Briefwechsels gefeiert - oder wird eher gedacht?

Schick: Es ist zunächst ein "hochachtungsvolles Gedenken" und Danken, vor allem an die polnischen Bischöfe. Polen hatte Furchtbares in der Nazizeit erlitten: Hitler wollte die Polen auslöschen und hatte damit angefangen. Dass die polnischen Bischöfe darüber hinweggingen und als erste auf die Deutschen zugingen, war ein großartiger Akt. Feiern darf man auch, weil der Briefwechsel Gutes gebracht hat, nämlich entscheidend zur Versöhnung zwischen Deutschland und Polen beigetragen hat. Man sollte aber zugleich daran erinnern, dass noch viel Versöhnungsarbeit in Europa zu leisten ist, etwa in der Ukraine oder zwischen Polen und Russland, in den baltischen Staaten oder im ehemaligen Jugoslawien. Europa soll ein Hort des Friedens für die Welt werden. Das ist auch ein Ziel der polnischen und deutschen Kirche, wir wollen dazu beitragen.

Von Christian Wölfel (KNA)