"Ein Gefühl der Befreiung"
Dass die Prognose der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) nicht zur Realität wurde, verdankt die katholische Kirche Leuten wie ihm. Pötzsch ist erst 1983 zum katholischen Glauben konvertiert - 34 Jahre nach der Gründung der DDR und sieben Jahre vor der Wiedervereinigung. Dem Widerstand des SED-Regimes zum Trotz. Das Bestreben nach einem neuen Lebenssinn, den er in der Kirche fand, war größer als die Angst vor Repression. "Als ich mich in der DDR öffentlich dazu bekannte katholisch zu sein, wusste der Rest der Bevölkerung sofort, dass ich kein Liebesverhältnis zum Staat habe", sagt er rückblickend. Das gleiche habe übrigens auch für Protestanten gegolten, fügt er hinzu. Auch die evangelische Kirche sei in der DDR nicht gut angesehen gewesen. Für sein Bekenntnis zur katholischen Kirche hat der Jurist in Kauf genommen, dass eine Anstellung im öffentlichen Dienst für ihn nicht mehr in Frage kam. Er habe sich darauf eingerichtet, keine berufliche Zukunft zu haben. Damals war er 28 Jahre alt - das Leben lag gerade erst vor ihm.
Angespanntes Verhältnis
Das Verhältnis zwischen DDR-Staatsführung und christlichen Kirchen war angespannt. Die SED versuchte, den Einfluss der Christen einzudämmen: intakte Kirchen wurden einfach gesprengt oder abgerissen, kirchlich aktive Personen gerieten in den Fokus der Staatssicherheit, katholische Jugendliche hatten keine Chance auf beruflichen Aufstieg, ein Religionsunterricht in Schulen war nicht gestattet. Religion spielte nicht nur keine Rolle im Kommunismus, der Glaube war nach Ansicht der SED mit der atheistischen Ideologie des Marxismus-Leninismus nicht vereinbar.
Die Folge: Christen wurden zu einer Minderheit. Nach einem Bericht der Bundeszentrale für Politische Bildung lag der Anteil der Konfessionslosen nach 40 Jahren DDR im Jahr 1989 zwischen 60 und 70 Prozent. Ein "staatlich organisierter Kirchenkampf" habe zu einer steigenden Zahl der Kirchenaustritte geführt, so die Bundeszentrale.
Doch die katholische Kirche sträubte sich, diesen Umstand einfach hinzunehmen. Besonders das Bistum Berlin stand vor der Herausforderung, den Osten und den Westen zu integrieren. Die Kirchen wollten auf keinen Fall, dass die Bistümer der DDR vom Westen abgekapselt wurden. Joachim Meisner, heute Kardinal des Erzbistums Köln, war von 1980 bis 1989 Bischof von Berlin. In seiner Amtszeit als Vorsitzender der 1976 gegründeten Berliner Bischofskonferenz, einer eigenständigen Bischofskonferenz in der DDR, kritisierte Meisner das menschenverachtende Abgrenzungssystem in der DDR vehement und machte seine Verantwortung für die Bistümer in der DDR deutlich: "Das Land zwischen Oder, Neiße und Werra ist Land Gottes, für das wir Verantwortung tragen. Und die Menschen in diesem Territorium sind Kinder Gottes, für die wir einzustehen haben."
Da die Grenzen kirchlicher Gebiete bei der deutschen Teilung nicht berücksichtigt wurden, gelang es den Bistümern in der Bundesrepublik, die Kirchengrenzen gesondert von den Staatsgrenzen zwischen der DDR und der Bundesrepublik zu ziehen. Fast alle Bistümer der Bundesrepublik befanden sich auf westlichem Gebiet, mit Ausnahme der Bistümer Dresden-Meißen und Berlin. Doch auch diese beiden blieben bis zur Wende quasi unabhängig von der DDR.
"Der klassische Feind war weg"
Ungeachtet der Tatsache, dass die Aufteilung der Bistümer nach der Wiedervereinigung neu strukturiert wurde - für Christoph Pötzsch hat sich vor allem eines seit dem Tag der Deutschen Einheit geändert: "Der klassische Feind war weg, die Staatssicherheit war weg. Das war ein Gefühl der Befreiung", sagt er heute erleichtert. Auf einmal habe man die eigene Meinung öffentlich vertreten dürfen - nicht nur im kirchlichen Raum. Er sei viel selbstbewusster und freier als Mitglied der Kirche aufgetreten, habe Kontakte mit Katholiken aus ganz Deutschland geknüpft. Vor allem aber, so Pötzsch, sei er sich nicht mehr wie ein Außenseiter vorgekommen.
Noch heute genießt er die 1990 neu erworbene Freiheit, frei zu reden und frei zu denken. "Es gibt Leute aus dem Westen, die empfinden das gar nicht so sehr, weil sie es schon immer gewohnt waren", sagt er und wird etwas nachdenklich. Christoph Pötzsch macht den Anschein, als sei es erst gestern gewesen, dass sich die Wiedervereinigung ereignete. Heute ist er Kanzler des Bistums Dresden-Meißen, dem er seit seinem Übertritt zum katholischen Glauben die Treue gehalten hat.
Er hat sich nicht beirren lassen vom Druck der SED-Führung auf die katholische Kirche. "Der Zusammenhalt in der katholischen Kirche ist generell schon enorm", will Pötzsch noch loswerden. Aber in Zeiten des Widerstands habe man seinen Glauben noch bewusster leben müssen. Da habe es nicht genügt, jeden Sonntag in den Gottesdienst zu gehen. Man sei von Grund auf überzeugter gewesen, meint er rückblickend.
Von Anna Sabina Werkmeister