Weltkrieg statt Weltethos?
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Der Gedanke ist angesichts der aktuellen Nachrichtenlage naheliegend: Was wäre, wenn Hans Küng falsch läge? Und wenn Samuel Huntington nach rund 20 Jahren nun doch recht bekäme? Wenn die Geschichte dieser Welt nicht auf einen Frieden zwischen den Religionen hinausliefe sondern auf einen Kampf der Kulturen? Weltkrieg statt Weltethos?
Zeichen dafür gibt es gegenwärtig genug. Ausgerechnet zu Weihnachten, einem Fest, an dem Christen die Liebe und den Frieden feiern, wollten junge Korsen in einem Problemviertel ihrer Inselhauptstadt Ajaccio einen muslimischen Gebetsraum in Flammen aufgehen lassen. Die Ausschreitungen, bei denen sie "Araber raus!" und "Wir sind hier zu Hause!" brüllten, waren so heftig, dass sich viele Bewohner der Siedlung lange nicht mehr auf die Straßen trauten.
Auf der anderen Seite des Mittelmeeres der Landstrich, den als 'Heiliges Land' zu bezeichnen sich mir die Feder sträubt. Nach Bethlehem sind dort in diesem Jahr nur noch halb so viele Pilger und Touristen gekommen wie in den Vorjahren. Die seit rund drei Monaten zunehmenden Messerattacken extremistischer Palästinenser auf israelische Soldaten und unbeteiligte Zivilisten zeigen Wirkung. Gewinnen kann diesen primitiven Guerillakampf indes keiner: Die Israelis zahlen einen hohen Blutzoll, die Bewohner Bethlehems – und zwar sowohl Muslime wie Christen – verlieren jede Aussicht auf eine friedliche Zukunft.
Und dennoch: Selbst wenn weltweit religiös motivierte Gewalt stetig zuzunehmen scheint, könnte dieser Eindruck täuschen. Der unweigerliche Zusammenstoß der Zivilisationen, auf den Huntingtons These oft verkürzt wird, bedeutet keineswegs, dass die Weltreligionen das entscheidende Hindernis zur Erlangung des Weltfriedens sind. Sogar der Forscher selbst räumt ein, dass erst politische Probleme und soziale Konflikte den religiösen Auseinandersetzungen ihre Schärfe geben.
Sowohl Küng wie Huntington könnte also richtig liegen: Religion kann spalten, aber sie kann auch versöhnen. Das zeigt in diesen Tagen überzeugend ein Beispiel aus Kenia, wo sich Muslime schützend vor ihre christlichen Mitbürger stellten und damit ein dschihadistisches Blutbad verhinderten. "Bringt uns alle um oder lasst uns alle gehen!" forderte ein Muslim von den Terroristen – religiös motivierte Solidarität, die Leben rettete.