Vor 45 Jahren wurde die katholische Wochenzeitung "Publik" eingestellt

Als der Chef aus dem Fenster sprang

Veröffentlicht am 09.01.2016 um 00:01 Uhr – Von Joachim Heinz (KNA)  – Lesedauer: 
Als der Chef aus dem Fenster sprang
Bild: © KNA
Medien

Tübingen/Bochum  ‐ "'Publik' kommt anders als erwartet" - so warb Ende der 1960er-Jahre eine neue katholische Wochenzeitung um Leser. Tatsächlich kam vieles anders als erwartet. Eine Studie rollt den "Fall 'Publik'" jetzt noch einmal auf.

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Nur drei Jahre, nachdem die erste Ausgabe mit einer Startauflage von 150.000 Exemplaren auf den Markt gekommen war. "Mir war, als sei ich in voller Fahrt gegen eine Wand gerannt", fasste Schardt später seine Gefühlslage zusammen.

Dass das Projekt "Publik" eine kurze, aber hochemotionale Episode in der deutschen Mediengeschichte war, zeigt auch die Studie des Tübinger Kirchenhistorikers Florian Bock. Seine in Bochum vorgelegte Dissertation ist überhaupt die erste wissenschaftliche Untersuchung, die sich auf breiter Basis mit Aufstieg und Fall der Wochenzeitung beschäftigt. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) verweist Bock auf den gesellschaftlichen Wandel, der mit 1968, dem Ersterscheinungsjahr von "Publik", verknüpft ist.

Junger Mann überzeugt Bischöfe

In christlichen Kreisen sorgte ein weiteres Ereignis für Dynamik. "Macht die Fenster der Kirche weit auf!" Diese Parole soll Papst Johannes XXIII. zu Beginn seiner Amtszeit 1958 ausgeben haben. Das von ihm einberufene Zweite Vatikanische Konzil tagte von 1962 bis 1965 und leitete wichtige Reformen ein. Die Euphorie nach Abschluss der Kirchenversammlung war auch unter den deutschen Katholiken groß. In diese Stimmung hinein trug ein 29-jähriger Jurist die Idee einer katholischen Wochenzeitung.

Der gebürtige Regensburger Hans Suttner nutzte 1965 das Zeitfenster, um ein Memorandum "Katholische Presse in Deutschland. Statt noch einer Kritik: ein konkreter Vorschlag" unter das Kirchenvolk zu bringen. Der charismatische Suttner, ab 1966 Referent für staatsbürgerliche Fragen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) besaß offenbar die Gabe, dicke Bretter zu bohren und die Bischöfe als Geldgeber von seiner Idee zu überzeugen.

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Das Buch: "Der Fall 'Publik'. Katholische Presse in der Bundesrepublik Deutschland um 1968" von Florian Bock, erschienen 2015 bei Ferdinand Schöningh.

Auch Alois Schardt, damals beim Bayerischen Rundfunk für den Aufbau des "Telekollegs" verantwortlich, bekam Suttners Hartnäckigkeit zu spüren. Immer wieder habe der, so erinnerte sich Schardt, "neue Truppen ins Feld" geschickt, um ihn als Chefredakteur der neuen Wochenzeitung zu gewinnen. Schließlich wurden die beiden handelseinig - das Abenteuer "Publik" konnte beginnen. "Diese Zeitung wird nur existieren können, wenn es ihr gelingt, unbefangen zu fragen und zu antworten, ohne Rücksicht auf bequem oder unbequem, auf nützlich oder weniger nützlich", lautete das Credo von Schardt und Suttner.

Die erste Hiobsbotschaft folgte kurz nach Veröffentlichung dieser Zeilen: Suttner kam bei einem Autounfall ums Leben. Der Verlust der Gründerfigur war laut Historiker Bock aber nur ein Teil des Problems. "Alles in allem scheiterte 'Publik' an den eigenen Ansprüchen", lautet Bocks Fazit im KNA-Interview. Die Macher hätten die verschiedenen Strömungen des Katholizismus unterschätzt. Diese in einem Blatt zu vereinen, "war schlicht unmöglich".

"Im theologischen Teil anti-katholisch"

Kirchenpolitisch wehte zudem durch die von Johannes XIII. geöffneten Fenster bald wieder ein anderer Wind. Die Zeitung sei "in ihrem theologischen Teil anti-katholisch", schleuderte Vatikanbotschafter Corrado Bafile Chefredakteur Schardt entgegen und beendete das Gespräch mit den Worten: "Ich werde für Sie beten." Am 19. November 1971 erschien die letzte Ausgabe von "Publik". Das Blatt sei keine Krise im deutschen Katholizismus gewesen, sondern habe "die oft schmerzlich vorhandenen Spannungen öffentlich gemacht", schrieb Schardt zum Abschied.

Der deutsche Katholizismus habe sich in den 1960er-Jahren auf vielen Feldern polarisiert, fügt Florian Bock hinzu. Ein Blick ins Internet könne zu dem Schluss führen, dass dieser Trend sich zumindest in Teilen verstetigte. "In den 60er-Jahren hat man zwar auch erbittert gestritten, aber alle Seiten waren wenigstens noch bereit, sich an einen Tisch zu setzen."

Von Joachim Heinz (KNA)