Gudrun Sailer über die Silvesternacht von Köln

Köln - ein Fragenkatalog

Veröffentlicht am 11.01.2016 um 00:01 Uhr – Von Gudrun Sailer – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Gudrun Sailer über die Silvesternacht von Köln

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Ob wir uns mehr Differenzierung wünschen oder nicht: In ganz Europa ist "Köln" binnen einer Woche zur Chiffre für einen Zusammenprall der Kulturen geworden. Ein Zusammenprall der Kulturen, der sich nicht nur in unseren Städten ereignet, sondern buchstäblich auf unserer Haut.

"Köln" präsentiert keine von Krieg gezeichneten Hilfsbedürftigen, sondern gewaltbereite, düstere Gestalten, die Frauen sexuell bedrängen, von denen die eine oder andere vielleicht noch Tags davor als Freiwillige im Caritas-Lager aushalf, damit Männer wie die von "Köln" die bessere Zukunft haben, die sie sich wünschen.

"Köln" stellt die Willkommenskultur, auch die christlich inspirierte, auf eine harte Probe. Wir sehen einen Umschwung der Gutwilligen, die sich betrogen fühlen für jedes verständnisvolle Wort, jedes Like und jede Wasserflasche, die sie irgendwann seit Sommer einem Flüchtling in die Hand gedrückt haben.

Der Punkt ist: Frauen sexuell belästigen geht nicht. Frauen auf diese Art zu demütigen, massiv und zu Hunderten, das ist kein Handtaschenraub. Wer sich an Frauen vergreift und womöglich auch noch meint, er dürfe das, hat zu Recht jede Sympathie verspielt. Er ist bei uns am falschen Platz. "Köln", das ist der kleine schäbige Bruder des großen blutigen Terrors, der Deutschland bisher verschont hat.

Dies klargestellt, kann man nicht umhin, eine Reihe offener Fragen zu sehen. Ich möchte wissen: Wie verlief die kommunikative Dynamik unter den Tätern der Silvesternacht? Erinnern wir uns an die wunderliche WhatsApp-Welle unter vertriebenen Syrern, wonach Deutschland angeblich händeringend gerade Syrer suche und Mama Merkel alle nehme, woraufhin viele eben kamen. Kann "Köln" ein ähnlich fatal überschwappendes Missverständnis unter Nordafrikanern gewesen sein? Eines nach dem Modell "macht ruhig ran, den Frauen hier gefällt sowas?" Oder war den Tätern nicht klar, dass Frauen betatschen in Europa ein Straftatbestand ist, der verfolgt wird? Die Frage klingt absurd. Doch in bestimmten Ländern werden vielfach nicht einmal Morde an Frauen polizeilich untersucht.

Und die übergeordnete Frage: Reden wir genug über die gleiche Würde von Mann und Frau? Verdeutlichen wir jenen, die bei uns leben, unsere Werte so klar, wie wir müssen? Oder relativieren wir? Ironisieren wir? Zerreden wir? Versteht jemand, der mehr oder weniger neu bei uns ist, dass eine noch so freizügig auftretende Frau nicht das frei zu nutzende Eigentum von Männern ist?

"Köln" wird gesetzliche Verschärfungen für Asylsuchende bringen. Das ist ein geläufiges Muster. Politik nutzt Emotionen des Augenblicks, und die Frage des Fremden ist hochgradig emotional, in anderen Worten, hochgradig wandelbar. Die erstickten Syrer in dem Wurst-Lastwagen an der österreichisch-ungarischen Grenze und das Bild des ertrunkenen dreijährigen Flüchtlingsjungen verstärkten damals eine beispiellose Welle der Aufnahmebereitschaft. "Köln" aber geht uns nicht ans Herz, sondern an die Haut. An die Haut der Frauen. Auch wenn der rein rechnerische Hinweis erlaubt sein muss, dass nicht einmal ein Tausendstel der Flüchtlinge, die letztes Jahr nach Europa kamen, "Köln" waren.

Die Autorin

Gudrun Sailer ist Journalistin in Rom und Redakteurin bei "Radio Vatikan".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.
Von Gudrun Sailer