Vor 100 Jahren begann in Verdun die bekannteste Schlacht des Ersten Weltkrieges

"Mama, warum hast du mich zur Welt gebracht?"

Veröffentlicht am 21.02.2016 um 00:01 Uhr – Von Sebastian Kunigkeit (dpa) – Lesedauer: 
Geschichte

Verdun ‐ Zehn Monate lang rangen Deutsche und Franzosen 1916 um Verdun - ein brutales Blutvergießen, das sich ins tief in das Gedächtnis beider Nationen eingebrannt hat. Heute vor 100 Jahren begann die Schlacht, der 300.000 Soldaten zum Opfer fielen.

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In der komplett umgestalteten Schlachtfeld-Gedenkstätte wird zu diesem Anlass eine "kleine Revolution" angekündigt: Künftig spielen im Mémorial de Verdun auch die Erlebnisse deutscher Soldaten eine zentrale Rolle. Die Neueröffnung der Dauerausstellung unterstreicht, dass Verdun über die Jahre auch zu einem Bezugspunkt der deutsch-französischen Aussöhnung geworden ist: Verkörpert von Bundeskanzler Helmut Kohl und Präsident François Mitterrand, die sich 1984 über den Gräbern von Verdun die Hand reichten.

Symbolträchtigste Schlacht des Ersten Weltkrieges

Verdun sei die symbolträchtigste Schlacht des Ersten Weltkrieges, sagt Mémorial-Direktor Thierry Hubscher. Diese herausragende Stellung ist nicht auf den ersten Blick zu verstehen. Sie war weder die blutigste Schlacht des Konflikts, noch hatte sie nach Ansicht von Historikern große Bedeutung für den Kriegsverlauf. Die Deutschen konnten zunächst das wichtige Fort von Douaumont einnehmen, in heftigen Kämpfen rückten sie bis auf wenige Kilometer an Verdun heran. Nur geradeso hielten die Franzosen stand. Doch dann eroberten sie Stück für Stück das verlorene Terrain zurück, nach zehn Monaten verlaufen die Linien fast genauso wie zuvor.

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"Es hat sich eigentlich mit Verdun gar nichts geändert", sagt der deutsche Historiker Herfried Münkler. "Aber das steht natürlich auch paradigmatisch für diesen Krieg: Stellungskrieg und Materialschlachten." In der "Hölle von Verdun" entfaltet sich auf einem kleinen Gebiet der ganze Horror der industrialisierten Kriegsführung, mit Trommelfeuer, Giftgasattacken und Flammenwerfern. Soldaten versinken im Schlamm, das von Granattrichtern übersäte Gelände gleicht einer Mondlandschaft, neun Dörfer werden ausradiert.

"Im Gedächtnis der Deutschen ist die Schlacht von Verdun zum Inbegriff der Sinnlosigkeit und Grausamkeit des Ersten Weltkriegs geworden", schreibt Deutschlands Botschafter in Paris, Nikolaus Meyer-Landrut. In Frankreich wurde Verdun auch deshalb zu einem allgemeinen Bezugspunkt, weil ein großer Teil der Armee irgendwann einmal dort kämpfte. General Pétain ließ die Truppen regelmäßig austauschen, um Erschöpfung zu verhindern.

In der für 12,5 Millionen Euro erneuerten Gedenkstätte läuft der Besucher auf Glasscheiben über Nachbildungen des schlammigen Untergrunds. Im Dämmerlicht sollen Alltagsgegenstände einen Eindruck vom Leben der Frontsoldaten vermitteln. Briefauszüge lassen ahnen, was in ihnen vorging: "Mama, warum hast du mich zur Welt gebracht?" Eine riesige, gestaffelte Videowand zeigt Filmszenen und gemalte Bilder mit Schlachtszenen, darüber ein deutsches Flugzeug. Es ist auch ein Versuch, nach dem Tod der Veteranen des Krieges trotzdem ihre Erinnerungen weiterzuvermitteln.

Bild: ©picture-alliance / Vintage

300 Tage dauerte die Schlacht von Verdun, dabei starben auf beiden Seiten rund 300.000 Soldaten.

Kontrovers sei die stärkere Herausstellung der deutschen Soldaten nicht gewesen, sagt Mémorial-Direktor Hubscher: "Was vor 50 Jahren schwierig gewesen wäre, wird heute geradezu offensichtlich." Die Männer auf beiden Seiten hätten die gleichen Qualen und Ängste durchlitten. Historiker Münkler meint, weil in Verdun nur Deutsche und Franzosen kämpften, biete sich die Schlacht als Symbolpunkt der Umwandlung der einstigen "Erzfeindschaft" in "Erbfreundschaft" an.

Besuch von Angela Merkel und François Hollande

Auch Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande setzen 100 Jahre danach ein Zeichen: Am 29. Mai werden sie gemeinsam auf dem früheren Schlachtfeld erwartet. "Ich weiß nicht, ob sie noch weiter gehen werden in der Verbrüderung oder im Austausch von Freundlichkeiten", sagt Thierry Hubscher lachend mit Blick auf die legendäre Geste Kohls und Mitterrands. "Aber ich denke, dass es auch etwas Symbolisches geben wird."

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Die anfängliche Begeisterung für den Krieg machte 1914 auch vor den deutschen Katholiken nicht halt. Für den Theologen und Historiker Martin Lätzel hatte das aber noch mehr Gründe als nur den allgemeinen nationalen Imperialismus. Im Interview mit katholisch.de spricht der Autor eines aktuellen Buches zum Thema zudem über die Rolle des Papstes während des Ersten Weltkrieges und erläutert, was die Kämpfe in den Schützengräben mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu tun haben.
Von Sebastian Kunigkeit (dpa)