Den Glauben in die Jetztzeit überführen
Die studierte Architektin und Denkmalpflegerin ist seit rund einem Jahr Geschäftsführerin und Kuratorin der Gesellschaft.
Frau Meißner, warum braucht es überhaupt einen Verein für christliche Kunst?
Meißner: Das lange Bestehen unseres Vereins zeigt, dass es wohl seit jeher das Bedürfnis für einen Dialog zwischen Kunst und Kirche gab – auch schon in den vergangenen Jahrhunderten, weil die Kirche Auftraggeberin großer Kunstwerke war oder die Kirche durch Ankäufe bedeutende Künstlerpersönlichkeiten gefördert hat. Das sieht man vor allem bei Kunst aus dem Mittelalter: Ohne die Kirche wäre diese Kunst heute nicht so vorhanden.
Meines Erachtens benötigt die Kirche die Kunst, weil der Mensch lieber schaut als liest. Zentrale Aussagen der Bibel sind über Bilder kommuniziert worden. Diese traditionellen Bilder sind allen im Gedächtnis.
Frage: Ihr Verein arbeitet mit zeitgenössischen Künstlern. Welche Kunst stellen Sie aus?
Meißner: Wir versuchen mit unseren Ausstellungen, aktuelle Bilder für den Glauben zu finden, aber in größtmöglicher Offenheit. Das bedeutet: Erstens sind wir ökumenisch ausgerichtet. Ich würde mich schwertun, entweder nur katholische oder nur evangelische Kunst auszustellen. Es gibt schon Unterschiede, aber es geht im Grunde um den christlichen Glauben, den man in diesen Bildern finden kann, wie zum Beispiel in unserer letzten Ausstellung "die Gabe", wo es um das Geben geht, einem ganz zentralen Begriff der Bibel.
Zweitens wird man in unseren Ausstellungen nicht das Gefühl haben, dass man eine Kirche betritt. Da gibt es einen großen Unterschied, nämlich die Freiheit der Darstellung. Es geht nicht um die Bebilderung von biblischen Themen, sondern es geht um die Wiedergabe christlicher Inhalte, die Frage nach der Existenz, die Frage nach Gott. Diese Fragen stellen sich eben auch Künstler – manchmal sehr unkonventionell – und wir stellen das aus.
Frage: Welche Ziele verfolgt der Verein neben den Ausstellungen? Was sind seine Aufgaben?
Meißner: Der Verein soll als Kommunikationsplattform dienen: Wir bringen durch Gesprächsrunden Künstler und Theologen zusammen und arbeiten als Bindeglied zwischen den beiden Kirchen. Die letzte Ausstellung war eine Kooperation mit der Kunstpastoral München, die kommende Ausstellung wird begleitet von einer Installation in der evangelischen Kirche Sankt Lukas in München. Wesentlich ist auch die Wertschätzung, die wir den Künstlern entgegenbringen: Viele Künstler arbeiten heute so, dass man sich fragen muss, was man davon überhaupt auf dem freien Markt verkaufen kann. Trotzdem leisten sie extrem wichtige Kulturarbeit. Diese Künstler finden bei uns eine Plattform: Wir nehmen ihre Arbeit ernst und können sie zum Beispiel über Honorare direkt fördern. Wir haben im Gegensatz zu anderen Galerien die Freiheit, dass wir uns keine Gedanken darüber machen müssen, was markttauglich ist.
"ich" von Ulf Aminde
Das Kunstwerk "ich" von Ulf Aminde fasziniert Benita Meißner. Der Künstler hat das Wort "ich" auf 3,5 mal 6 Meter großes Papier gestempelt. "Er hat versucht, das Blatt mit dem Wort zu schwärzen. Es ist ihm nicht gelungen, er hat irgendwann aufgegeben." Daraus entwickelte sich die besondere Wirkung des Kunstwerks. "Die daraus entstandene Wolkenformation war gar nicht intendiert, aber es ist jetzt mehr als die Wolke geworden. Im Grunde ein schönes Bild für die Gemeinde, weil viele "ichs" nebeneinander ein ganz neues Bild ergeben." Das Bild war in der Münchner Kirche St. Paul ausgestellt. "Diese Arbeit ist aber nicht für die Kirche entstanden, sondern aus dem Umgang mit der eigenen Persönlichkeit des Künstlers. Aber er hat sich immer vorgestellt, es einmal in einer Kirche zu zeigen. Unsere Anfrage hat ihn sehr gefreut."Frage: Wie genau wählen Sie die Künstler aus, die Sie ausstellen?
Meißner: Wir fragen nicht, ob jemand Kirchensteuer zahlt. Es geht darum, dass Kunst berührt, darum, dass sie Gedanken anregt, sich Bilder in den Köpfen festsetzen, die auf christlichen Werten basieren und wo der Glaube auch in die Jetztzeit überführt wird; wo wir nicht in tradierten Bildern verharren, sondern auch Neues erleben. Das ist das Großartige an der Kunst: dass Künstler durch ihre Kreativität Bilder liefern und Gefühle vermitteln, die wir noch nicht kennen und uns überraschen. Das sollen diese Ausstellungen leisten – und das tun sie auch. Gespräche mit Besuchern bestätigen das.
Frage: Wenn die Kirchenzugehörigkeit nicht das Kriterium ist – wie muss die Kunst beschaffen sein, damit Sie sie in einer Ihrer Ausstellungen zeigen?
Meißner: Bei der Auswahl der Kunstwerke spielt das Bauchgefühl eine große Rolle. Man muss es zunächst einmal spüren, das ist ganz entscheidend. Dann ist es oft so, dass eine Vertiefung mit dem Kunstwerk ganz tolle, geistige Bilder freisetzt und mehr ist als nur die Oberfläche. Das ist die Qualität im Kunstwerk: Es löst spontan etwas aus, aber wenn ich dann nochmal und nochmal hinschaue, dann kommen noch weitere Bilder. In den Ausstellungen möchte ich, dass der Besucher das, was ich anfänglich verspürt habe, auch verspürt und mitnimmt. Wenn sich dieses Bauchgefühl jedoch nicht einstellt, kann ich die Auswahl nicht vertreten.
Frage: Sie sagten zu Beginn, dass die Kirche die Kunst braucht, weil der Mensch lieber schaut als liest. Was heißt das? Haben die Menschen keine Lust mehr zu lesen und wollen nur noch schauen?
Meißner: Das ist eine schwierige Frage. Wir möchten mit unseren Ausstellungen nicht nur an der Oberfläche bleiben. Daher haben wir hier ein Angebot wie eine Bücherei, in der ich mir einen Comic, einen Film oder ein dickes Buch ausleihen kann, die alle sehr gehaltvoll sein können. Wir haben also Kunstwerke, die sich schnell erschließen – aber dadurch natürlich keine schlechten Kunstwerke sind. Und dann stellen wir auch Kunst aus, die eher wie ein 300-Seiten-Roman funktioniert: Dafür braucht man Zeit, man muss sich einlassen. Bei den Besuchern merke ich manchmal eine gewisse Ungeduld, wenn sich Dinge nicht sofort erschließen. Wir leben in einer schnellen Zeit, in der nach schnellen Antworten verlangt wird. Aber das kann ich nicht immer einlösen.
"Ex Biblia": Die nächste Ausstellung
Die Ausstellung "Ex Biblia" zeigt Werke von Sofie Bird Møller, eine dänische Künstlerin, die eine lutherische Bibel aus dem Jahr 1855 überarbeitet hat. "Durch die Überarbeitung entstehen anregende Bilder, die Altes kommentieren und Neues zeigen", erklärt Kuratorin Meißner. Zu sehen ist die Ausstellung vom 4. März bis zum 23. April 2016 in München.Frage: Was hat christliche Kunst heute für eine Bedeutung? Ist sie für die Gesellschaft noch wichtig?
Meißner: Für manche Menschen ist es sehr hilfreich, aktuelle Bilder zu bekommen, die für den Glauben stehen. Historische Bilder verstehen wir heute gar nicht mehr in ihrer Botschaft. Wie viele Menschen gehen überhaupt noch in ihrer Kirche zu den altbekannten Bildern und versuchen, dort für sich ein Bild des eigenen Glaubens zu finden? Über die Jahrhunderte hat sich einfach viel verändert. Die Kunst ist in der Lage, ein aktuelles Bild des Glaubens zu geben. Dadurch schauen die Menschen neu hin. Wenn es ein – ich sag mal – gewagtes Bild ist, dann steht es für die Offenheit der Kirche. Diese Offenheit wird eben nicht nur durch die Predigt vermittelt, sondern auch über Kunstwerke, die Form des neuen Altars oder eben die Bilder.
Frage: Kunst ist aber immer auch deutungsoffen. Wie gehen Sie als Verein damit um?
Meißner: Das finde ich wunderbar. Unser Raum ist kein Raum nur für Christen. Wir sind ein offenes Haus, es kommen die unterschiedlichsten Menschen zu uns. Es ist wichtig, dass man nicht engstirnig ist in der Auswahl und im Angebot, sondern sich durch die Kunst, weil sie eben nicht explizit ist, andere Dinge erschließen – je nachdem mit welchem kulturellen Rucksack sich der Betrachter dem Bild nähert. Ich möchte nicht, dass ein Mensch islamischen Glaubens an unserer Schwelle kehrt macht, sondern ich möchte die Tür aufmachen und sagen: "Komm rein und schau!" Die Kreativität ist ein Geschenk Gottes. Wenn man sieht, wie manche Menschen mit diesem Geschenk umgehen können, dann ist das für mich schon eine Bestätigung des Glaubens.