Milliarden ungenutzt, wenig aufgebaut
Seitdem lebt die 31-Jährige in einer Hütte aus Wellblech über einer Bambus-Konstruktion. "In der Winterkälte haben meine Kinder gelitten. Ihre Hände und Füße waren geschwollen", erzählt sie. In der Sommerhitze ist es in der Hütte so heiß, dass sie Kopfschmerzen bekommt. Doch an einen Wiederaufbau ihres Hauses kann Thami derzeit nicht denken. Dafür fehlt ihr das Geld. Mit diesem Problem ist Thami nicht allein. Das Erdbeben vom 25. April kostete etwa 9.000 Menschen das Leben und zerstörte mehr als 600.000 Häuser. Millionen Menschen verloren Familienmitglieder, ein Dach über dem Kopf, Nutztiere wie Kühe und Hühner sowie Saatgut für die Felder. Und das in einem Land, das zu den 20 ärmsten der Welt zählt.
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Nach dem Erdbeben in Nepal sind Tausende Tote geborgen und Zehntausende Verletzte versorgt. Die Nothilfe ist geleistet. Doch nun wird Geld für den Wiederaufbau des armen Landes gebraucht. Viel Geld.Von der Regierung in Kathmandu kommt bislang nur wenig Hilfe. 225 Euro hätten sie pro Haushalt bekommen, erzählen zahlreiche Menschen in den betroffenen Gebieten. Der einzige Beamte in seinem Dorf, sagt zum Beispiel Haribansa Thami, sei nach dem Erdbeben davongerannt. "Ich bin wütend auf die Regierung. Wir wählen sie in der Erwartung, dass sie etwas für uns tun, doch nach der Wahl lehnen sie sich zurück und werden träge."
Erste Hilfsgüter wie Zeltplanen und Reissäcke haben die Menschen in den Tagen und Wochen nach dem Erdbeben irgendwann erreicht, auch dank unzähliger internationaler Organisationen und nepalesischer Bürgerinitiativen. Es ist der Übergang von der Soforthilfe zum Wiederaufbau, der nicht klappt. Und das, obwohl Nepal bei einer Geberkonferenz 3,9 Milliarden Euro einsammelte. Die Regierung bewege sich viel zu langsam, sagt Mattias Bryneson, Nepal-Direktor der Organisation Plan International. "Wenn es jetzt keine Projekte gibt, in welche die vier Milliarden fließen können, dann wird das zugesagte Geld wieder abgezogen."
Ein Grund für die Verzögerung ist Nepals Wiederaufbaubehörde (NRA), die den ganzen Prozess koordinieren soll. Weil die notorisch zerstrittenen Politiker sich im vergangenen Jahr vor allem mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung beschäftigten, kam die Behörde erst im Dezember zustande. Mitte April floss das erste Geld an die Betroffenen, und auch nur an 600 Familien. "Was die Regierung sich leistet, ist unfassbar", meint Elitsa Dincheva von SOS-Kinderdörfer. Auch Hilfsorganisation könnten noch immer keine Wohnhäuser für die Menschen bauen - wegen fehlender Vorgaben der Regierung.
Lok Bahadur Lopchen Tamang, der im Distrikt Dolakha für Bildung zuständig ist, schreibt nach eigenen Angaben immer wieder an die Zentralregierung. Doch bekomme er keine Pläne für den Bau der Schulgebäude. "Wenn die so weitermachen, wird es 20 Jahre dauern", schimpft er. Tausende Menschen in Nepal konnten und wollten nicht so lange warten. Vor allem in Kathmandu-Tal, wo die Menschen im Schnitt mehr Geld besitzen als auf dem Land, begannen die Bewohner auf eigene Faust, ihre Häuser wieder zu errichten. An die überall propagierte Vorgabe "Build back better", also besser und erdbebensicherer wieder aufzubauen, hält sich dabei kaum jemand.
Auch die Einnahmen aus dem für Nepal wichtigen Tourismus sprudeln nicht mehr wie zuvor. Im vergangenen Jahr kamen nach offiziellen Angaben 30 Prozent weniger Besucher, in diesem Jahr 25 Prozent weniger. Im Tourismusort Pokhara etwa sieht der Kellner Santosh Okharel nun vor allem leere Tische und Stühle. "Mein Gehalt besteht normalerweise vor allem aus Trinkgeldern", sagt er. "Wenn es so weitergeht, muss ich zusammenpacken und in einen Golfstaat gehen."
Der Wiederaufbau wird lange dauern
Max Santner, Nepal-Direktor des Roten Kreuzes, hat die Hoffnung nicht aufgegeben. "Nepal wird letztendlich seinen Weg aus der Katastrophe finden", glaubt er. "Aber es wird länger dauern, als wir das gerne hätten, oder als unsere Spender sich das wünschen."