Zürich oder Huonder: Wer geht zuerst?
Anfang März hatte Huonder eine alte Debatte neu aufgelegt. Fast 1.000 Mitarbeiter sollten ihm in einer Umfrage eine seit langem im Raum stehende Frage beantworten: Soll der Kanton Zürich in ein eigenständiges Bistum ausgelagert werden? Damit verbunden wurde zugleich die Einstellung zu einer weiteren eventuellen Neugründung Urschweiz bestehend aus den sogenannten Urkantonen Uri, Schwyz, Obwalden und Nidwalden abgefragt. Um den Besonderheiten der Schweizer Kirche gerecht zu werden, bat Huonder auch die kirchlichen Körperschaften auf kantonaler Ebene um Rückmeldung. Neben den Diözesen nach kirchlichem Recht existiert in der Schweiz ein System von katholischen Landeskirchen nach öffentlichem Recht auf Basis der Kantone. Die Kirche hat dadurch einen teilstaatlichen Charakter.
In seiner Antwort an den Churer Bischof führt der Synodalrat der Zürcher Landeskirche nun gleich eine Reihe von Argumenten für ein eigenes Bistum an: Die Stadtpastoral in der 400.000-Einwohner-Stadt würde gestärkt, die Zusammenarbeit mit der kantonalen Körperschaft vereinfacht und der ökumenische Dialog durch die Anwesenheit eines Bischofs vor Ort aufgewertet. Zudem lebten allein im Kanton Zürich 390.000 Katholiken und damit "mehr als in allen anderen Kantonen der Schweiz".
Ist ein Bistum Zürich gerechtfertigt und wünschbar?
Die Synodalen verweisen außerdem auf die lange Geschichte der Idee eines "Bistums Zürich": Schon nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) habe es in der Schweizer Bischofskonferenz Überlegungen für Neuordnungen gegeben. Verschiedene Gremien kamen in den 1980er Jahren in diversen Prüfberichten und Beschlüssen immer wieder zu dem Ergebnis, "dass die Errichtung eines Bistums Zürich sachlich gerechtfertigt und wünschbar sei", heißt es im Schreiben. Letztlich sei das Vorhaben jedoch nach 1990 von der Bischofskonferenz nicht mehr weiter verfolgt worden. Mit seiner aktuellen Initiative reagiert Huonder auf neuerliche Anläufe der Laienvertretungen aus den vergangenen Jahren.
Neben den kirchlichen Kantonen hatte Huonder auch die politischen Vertreter um ihre Meinung gebeten. Dort fiel das Votum deutlich anders aus: Gleich vier Kantone sprachen sich gegen ein "Bistum Zürich" aus. Der Regierungsrat von Uri befürchtete in seiner Stellungnahme wegfallende Kooperationen und finanzielle Mehrbelastungen. Die Kollegen aus Schwyz warnten in ihrem Schreiben vor einem Ungleichgewicht in der Rest-Diözese Chur. Auch Nidwalden meldete Bedenken finanzieller Natur an.
Auch die evangelischen Landeskirchen hatten sich auf Bitten Huonders zur eventuellen Neuordnung auf katholischer Seite geäußert. In ihrer nun veröffentlichten Antwort erklärte die reformierte Kirche Zürichs, man sehe die "Schaffung eines Bistums Zürich grundsätzlich als Chance". Man erwarte sich von einem katholischen Bischof in der Stadt eine Verbesserung des ökumenischen Dialogs einerseits, ein stärkeres gemeinsames Auftreten der Christen in der Gesellschaft andererseits. Als evangelische Kirche freue man sich zudem auf "wertvolle Impulse" für die eigene Katholizität, hieß es vom Kirchenrat. Und schließlich hatten die Reformierten noch einen Tipp, wie die großen Erwartungen an eine neues Bistum auch erfüllt werden könnten: Die Zürcher Katholiken sollten sich ihren Bischof selbst wählen dürfen.
So weit dürfte der Vatikan selbst mit Blick auf den gebilligten Sonderweg des Schweizer Kirchensystems nicht gehen. Die Ernennung von Bischöfen ist, so schreibt das Kirchenrecht eindeutig fest, allein Sache des Papstes. Gleiches gilt für die Errichtung von Diözesen. Gleichwohl könnte man in Rom durchaus Gefallen an einer Abtrennung des Züricher Gebiets von Chur finden: Im Bistum gibt es notorische Streitereien, die bereits in der Vergangenheit einen ähnlichen Schritt zur Folge hatten. Im Jahr 1997 gründete Papst Johannes Paul II. (1978-2005) aus einem Teil des Bistums Chur das Erzbistum Vaduz und versetzte zugleich den nicht eben wohl gelittenen Churer Bischof Wolfgang Haas als ersten Erzbischof ins Fürstentum. Besonders die Zürcher Katholiken hatten Anstoß am konservativen Kurs des Kirchenmannes genommen.
Der Widerstand gegen den Bischof feiert fröhlich Urständ
Keine fünfzehn Jahre später feierte der Widerstand des Churer Gottesvolkes gegen ihren Bischof fröhlich Urständ. Diesmal ging es um den bis heute amtierenden Vitus Huonder, einen ebenfalls profiliert-konservativen Bischof. Der Konflikt entspringt dabei einer komplexen Gemengelage. Auf der einen Seite steht Huonder, ein Mann des deutlichen Wortes, dessen Aussagen jedoch auch schon ins Problematische abglitten. Ihm gegenüber stehen Schweizer Katholiken, die für vieles offen sein mögen, mit Regeln und Hierarchie der Kirche allerdings zuweilen fremdeln. Die Konfrontation der Churer mit ihrem Bischof gipfelte jüngst in einem Appell des Generalvikars Martin Kopp: Das Bistum brauche als Nachfolger Huonders dringend einen, der für Frieden sorgt; unter dem derzeitigen Bischof - dessen "Alter ego" Kopp laut Kirchenrecht immerhin sein soll - sei die Diözese zerrissen und gespalten.
Allerdings: Vitus Huonder wird im April kommenden Jahres 75 Jahre alt. Franziskus dürfte dann kaum mehr Zeit als nötig verstreichen lassen, um Huonder in den Ruhestand zu entlassen und den Churer Bischofsstuhl für einen neuen Hirten frei zu machen. Zumindest dieser Grund für eine Bistumsteilung fiele dann weg.